Am Montag hat die EU ihren ersten Korruptionsbekämpfungsbericht veröffentlicht. Den deutschen Abschnitt hat Michael Kubiciel vorbereitet. Im Gespräch mit LTO erklärt er, wie sich Korruption messen lässt, wie Deutschland im internationalen Vergleich abschneidet und welche politischen und rechtlichen Konsequenzen zu erwarten sind.
LTO: Herr Professor Kubiciel, nach Angaben der EU betragen die Kosten der Korruption für die europäische Wirtschaft rund 120 Milliarden jährlich. Das klingt nach furchtbar viel Geld.
Kubiciel: Da es zum wirtschaftlichen Schaden durch Korruption naturgemäß nur Schätzungen geben kann, kursieren auch unterschiedliche Werte darüber, wie hoch dieser im europäischen Wirtschaftsraum jährlich ausfällt. Die von der Kommission genannten 120 Milliarden Euro sind da noch ein ziemlich konservativer Wert.
LTO: Wie kommt man zu so einer Zahl oder überhaupt zu einer realistischen Einschätzung der Verbreitung von Korruption? Schließlich findet diese heimlich statt.
Kubiciel: Der Bericht wurde zentral in Brüssel erstellt; die Grundlage dafür bildeten die Untersuchungen von Experten in den einzelnen Mitgliedstaaten, den "National Research Correspondents". Für Deutschland habe ich diese Aufgabe wahrgenommen. Wir sollten allerdings keine eigenen, empirischen Erhebungen durchführen, sondern das vorhandene – sehr beträchtliche – Material zu dem Thema auswerten.
Konkret habe ich die Berichte verschiedener internationaler Organisationen durchgearbeitet, außerdem die strukturellen Bedingungen in Deutschland untersucht: Welche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung gibt es? Wie sieht die Gesetzeslage aus? Welche Befugnisse und personelle Ausstattung haben die Ermittlungsbehörden?
Eine gewisse Dunkelziffer verbleibt natürlich trotz aller Anstrengungen, aber man kann auf diese Weise schon ein relativ realitätsnahes Bild zeichnen. Es gibt beispielsweise auch Untersuchungen, in denen Unternehmensvertreter und Behördenleiter befragt werden, wie häufig ihnen korruptive Angebote gemacht wurden. Diese Zahlen tauchen in der Kriminalitätsstatistik der Polizei nicht auf, sind aber dennoch aufschlussreich.
"Deutsche Wirtschaft in der Champions League, Korruptionsbekämpfung nur im UEFA-Cup"
LTO: Welches Fazit zieht der Bericht für Deutschland?
Kubiciel: Der Bericht bemängelt in Bezug auf Deutschland u.a. das Fehlen von Regeln für Politiker und Spitzenbeamte, die in die Wirtschaft wechseln. Außerdem stellt er Nachholbedarf bei der Korruptionsbekämpfung in kleinen und mittleren Unternehmen fest, die ja auch auf bestechungsanfälligen Märkten in der Welt tätig sind. Außerdem wird auf Schwächen der Regeln über die Parteienfinanzierung sowie auf Strafbarkeitslücken für die Bestechung von Mandatsträgern sowie im geschäftlichen Verkehr hingewiesen.
LTO: Steht Deutschland im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten eher gut oder schlecht da? Und sind hier bestimmte Spielarten der Korruption besonders verbreitet?
Kubiciel: Korruption ist ein nicht zu vernachlässigendes Phänomen in Deutschland, aber kein grassierendes Problem wie in manchen Ländern Süd- und Südosteuropas. Wir stehen aber bei Weitem nicht so gut da, wie wir könnten und wie es unserer Rolle als führender Mitgliedstaat der EU entspräche. Plakativ formuliert könnte man sagen: Während Deutschland ökonomisch in der Champions League spielt, hat es sich in der Antikorruptionspolitik bislang nur für den UEFA-Cup qualifiziert.
Was die Ausprägungen der Korruption angeht, gibt es durchaus Unterschiede. Wir haben in Deutschland zum Beispiel nahezu keine "petty corruption", also Korruption auf unterer Ebene. Den Polizeibeamten, von dessen schikanösen Kontrollen Sie sich freikaufen müssen, gibt es praktisch nicht, auch in den Bauämtern ist die Lage über die letzten Jahrzehnte sehr viel besser geworden. Vergleichsweise viel Korruption gibt es hingegen beim internationalen Geschäftsverkehr und im Gesundheitswesen.
"Wenn sich keine Besserung einstellt, kann die EU Konsequenzen ziehen"
LTO: Und wie ist es um die EU-Institutionen selbst bestellt?
Kubiciel: Die Korruption in den EU-Institutionen war nicht Gegenstand der Untersuchung. Ich glaube auch nicht, dass dies gegenwärtig das vordringliche Problem in Europa ist. Die Antikorruptionsbehörde OLAF macht insgesamt eine sehr gute Arbeit. Was die Frage der Karenzzeiten für ehemalige Politiker und Spitzenbeamte betrifft, sind die EU-Institutionen weiter als Deutschland. Aber zweifellos gibt es auch auf EU-Ebene Aspekte, denen man größere Aufmerksamkeit schenken könnte. Ich erinnere nur an den Einfluss der – an sich wichtigen – Lobbygruppen und Verbände.
LTO: Welche Folgen haben die Ergebnisse des Berichts?
Kubiciel: Der Bericht wirkt zunächst politisch, indem er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik auf einzelne Problemfelder lenkt. Zudem setzt er eine Art Benchmark für den in zwei Jahren geplanten Nachfolgebericht, in dem der Fortschritt der Mitgliedstaaten untersucht werden soll. Das Besondere ist, dass die EU – anders als internationale Organisationen wie die UN oder der Europarat – die Möglichkeit hat, die Staaten zu gesetzgeberischen Maßnahmen bis hin zur Angleichung des Strafrechts auf ein Mindestniveau zu veranlassen. Die EU könnte sich zu diesem Schritt veranlasst sehen, wenn der Nachfolgebericht keine hinreichenden Verbesserungen feststellen sollte.
LTO: Ist es überhaupt eine glückliche Konstruktion, die Korruptionsbekämpfung den einzelnen Mitgliedstaaten zu überlassen?
Kubiciel: Grundsätzlich ist es besser, wenn die Mitgliedstaaten selbst tätig werden. Die Korruptionsprobleme unterscheiden sich von Land zu Land, daher braucht man passgenaue Lösungen. Ein supranationaler Gesetzgeber, der für 28 Mitgliedstaaten zuständig ist, kann Rahmen setzen, nicht aber Regelungen schaffen, die allen Mitgliedstaaten gerecht werden. Diese sind am besten "vor Ort" zu erarbeiten, gegebenenfalls mit technischer Hilfe internationaler Organisationen.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, EU-Korruptionsbekämpfungsbericht: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10864 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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