"Google Nest" und "Kindertransporthilfe des Bundes" geben sich als Webseiten des IT-Konzerns bzw. des Familienministeriums aus. Die eine wirbt mit besonders datenschutzfeindlichen Produkten, die andere mit dem Versprechen, 55.000 syrische Flüchtlingskinder nach Deutschland zu holen. Beide wirken täuschend echt – und begeben sich damit in rechtliches Gefahrengebiet.
Nachahmung ist das ehrlichste Kompliment, sagt man. Sie kann aber auch die bissigste Kritik sein – dann nämlich, wenn die Imitation voll von bewussten Übertreibungen ist, die die Unzulänglichkeiten des Originals auf die Schippe nehmen. So geschehen auf der Webseite "Google Nest", die vier vermeintlich neue Google-Produkte vorstellt: Google Trust, einen Versicherungsvertrag, den man mit seinen persönlichen Daten bezahlt, Google Hug, eine Kontaktvermittlung für vereinsamte Internetnutzer, Google Bee, eine persönliche Drohne in Bienenform, und schließlich Google Bye, ein automatisch generiertes Charakterprofil, das Google nach dem Tod seiner Nutzer veröffentliche.
Die Neuerungen wurden am 7. Mai auf der Internetkonferenz re:publica von zwei angeblichen Mitarbeitern des Unternehmens präsentiert – und das so seriös, dass viele Zuhörer den Scherz lange Zeit für bare Münze nahmen. Auch die Webseite kommt komplett im Google-Look daher und könnte von nichtsahnenden Besuchern durchaus für voll genommen werden. Auf Drängen des Unternehmens wurde sie inzwischen offline genommen, es existieren aber zahlreiche Kopien.
Parodie muss als solche erkennbar sein
"So sehr einem hier der David gegen Goliath Effekt zu schaffen macht: Googles Säbelrasseln war in diesem Fall nicht ganz von der Hand zu weisen", meint dazu David Ziegelmayer, Rechts- und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei CMS Hasche Sigle. Zwar müsse sich der Konzern, auch auf Grund seiner enormen Größe und Bekanntheit, ein beträchtliches Maß an (überspitzter) öffentlicher Kritik gefallen lassen. Die Trennlinie sei aber dort zu ziehen, wo die Parodie nicht mehr als solche erkennbar ist.
Google hatte erklärt, es sei ausreichend, wenn die Seite einen deutlichen Hinweis auf den satirischen Charakter einfügt, wie etwa bei dieser vermeintlichen Mercedes-Werbung aus dem Jahr 2013. Das wiederum hätte den Spaß verdorben, fanden die Macher. "Im Bereich der Satire und Parodie, im weiteren Sinne auch der Kunst, wird gern und unzutreffend angenommen, dass alles erlaubt sei", meint Ziegelmayer. Einen Freibrief für jegliche Äußerungen und besonders für das Unterschieben von Inhalten würden diese Darstellungsformen aber keineswegs bedeuten.
Wettbewerbs- und wohl auch markenrechtliche Ansprüche würden in einem Fall wie diesem zwar ausscheiden, da die Macher von Google-Nest keine kommerziellen Interessen verfolgen. Allerdings sei von der Rechtsprechung anerkannt, dass auch Unternehmen eine Art eigene "Persönlichkeit" besitzen, die verletzt werden kann. Daneben kämen auch urheberrechtliche Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz in Betracht, etwa wenn geschützte Logos, Bilder oder Designs des parodierten Unternehmens übernommen würden.
Meinungsfreiheit schützt keine falschen Tatsachenbehauptungen
Ähnlich sei die Rechtslage im Fall der "Kindertransporthilfe des Bundes" zu bewerten, die vorgibt, 55.000 hilfsbedürftige syrische Kinder nach Deutschland holen zu wollen. Die Seite gibt sich als Projekt des Bundesfamilienministeriums aus, inklusive eines Porträtbildes und signierten Schreibens, in dem Ministerin Manuela Schwesig die Notwendigkeit betont, Kindern aus Krisengebieten beizustehen. Erst durch den Klick auf "Kontakt" wird klar, dass es sich bei den Urhebern der Seite nicht um das Ministerium, sondern um das "Zentrum für politische Schönheit" handelt, das unumwunden zugibt: ""Amtsanmaßung" ist ein zentraler Begriff der Aktion."
Dass hier die Politik, dort die Privatwirtschaft aufs Korn genommen wird, macht keinen großen Unterschied, denn die Meinungsfreiheit schützt beides – zumal die Datensammlung durch einen IT-Riesen wie Google fast schon eine politische Dimension hat. Dementsprechend sieht Ziegelmayer im Wesentlichen dieselben Probleme wie schon bei Google-Nest. Hinzu kämen in diesem Fall aber Unterlassungsansprüche von Schwesig persönlich, wenn man in der Seite die "versteckte" Behauptung erblickt, einen Aufruf gestartet zu haben, den es so gar nicht gibt. Die Meinungsfreiheit schütze aber keine falschen Tatsachenbehauptungen.
Dass Ministerium oder Ministerin tatsächlich mit juristischen Schritten drohen, ist nicht bekannt – und bei dem heiklen Thema auch nicht zu empfehlen. Die CDU hatte dagegen 1972 wegen eines ihr untergeschobenen Wahlplakates mit der Aufschrift "Die Reichen müssen noch reicher werden – deshalb CDU" vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe geklagt und Recht erhalten (Urt. v. 01.09.1972, Az. 10 U 137/12). Damals räumten die Richter durchaus ein, dass "der kundige Betrachter" sich bei dem Plakat denken müsse: "Da kann doch etwas nicht stimmen". Ob man das über eine engagierte deutsche Flüchtlingspolitik wohl auch sagen würde?
Constantin Baron van Lijnden, Google-Nest und die Kindertransporthilfe: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12025 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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