Zwangsmitgliedschaft vor dem BVerfG: "Die IHK ist eine Lob­byver­an­stal­tung für die großen Unter­nehmen"

Interview mit Dominik Storr

04.04.2014

2/2: "Sonderabgabe und Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz"

LTO: Nun scheint Karlsruhe aber entscheiden zu wollen. Mit welchen Argumenten haben Sie Ihre Verfassungsbeschwerde begründet?  
Storr: Ich argumentiere unter anderem damit, dass es sich bei dem IHK-Beitrag letztlich um eine verkappte Sonderabgabe handelt. Für diese gelten bekanntlich strenge Anforderungen – um sie zu wahren, hat man das Gesamtinteresse konstruiert und eine Zwangsmitgliedschaft daraus gebastelt. Von einer guten Arbeit der IHK profitieren aber nicht nur ihre Mitglieder, sondern die gesamte Gesellschaft, selbst diejenigen, die gar nicht erwerbstätig sind. Die Auswirkungen einer gut laufenden Wirtschaft sind eben überall spürbar.

Meines Erachtens verstößt die Erhebung des Mitgliedsbeitrags außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz: Warum sollten ausgerechnet die Unternehmer diese Zwangskorporation zahlen?

Sie können doch eine Boutiqueninhaberin in einem Berliner Hinterhof nicht mit Mercedes Benz vergleichen. Die kleinen Unternehmen bezahlen die Lobbyarbeit für die Großen. Die IHK sind eine Lobbyveranstaltung für die großen Unternehmen.

Schließlich halte ich die Zwangsmitgliedschaft für nicht verhältnismäßig, jedenfalls solange die Unternehmer nicht in demokratische Strukturen eingebettet werden, woran es derzeit mangelt.

"Zuletzt geprüft: 1998"

LTO: Die Argumentation ist nicht neu - warum scheint Karlsruhe nun nach über 50 Jahren wieder entscheiden zu wollen? Was hat sich verändert?

Storr: Ich stütze mich in meiner Argumentation auch auf einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2001 (Anm. d. Red: v. 17.12.2001, Az. 1 BvR 1806/98). Dort hat das Gericht klargestellt, dass der Gesetzgeber eine ständige Prüfpflicht habe, ob die Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche Zwangskorporation noch bestehen.

Denn schließlich können sich, darauf weist das BVerfG selbst hin, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, zum Beispiel die Struktur der in den Kammern zusammengefassten Unternehmen, aber auch die Entwicklung des Verbandswesens.

Eine solche Prüfung hat der Gesetzgeber seit 1998 nicht mehr durchgeführt. Die Frage, ob die Zwangsmitgliedschaft verhältnismäßig ist, ist also ganz neu aufgeworfen. Dabei ist meines Erachtens schon jetzt ein verfassungswidriger Zustand eingetreten, eben weil der Gesetzgeber seiner Prüfpflicht nicht nachgekommen ist.

"Anwaltskammern – ich hatte nur noch keine Zeit, dagegen vorzugehen"

LTO: Wagen Sie eine Prognose zum Ausgang des Verfahrens?

Storr: Wie gesagt, ich glaube schon, dass es eine Grundsatzentscheidung geben wird. Und ich bezweifele, dass die Kammern in Anbetracht der zunehmenden Homogenisierung der Märkte in Zukunft überhaupt noch eine Perspektive haben werden.

Sowas gibt es in kaum einem anderen Land mehr. In Holland zum Beispiel haben die Kammern noch ganz andere Funktionen, nehmen unter anderem die Aufgaben des Handelsregisters wahr. Und man sieht ja, dass die Wirtschaft dort auch funktioniert - zumindest einigermaßen.

LTO: Wenn wir schon beim Vergleichen sind: Sehen Sie einen Unterschied zum Beispiel zur  Anwaltskammer? Dort sind die Advokaten doch auch alle Zwangsmitglieder.

Storr (lacht): Ich hatte bisher nur noch keine Zeit, dagegen vorzugehen. Im Ernst: Ich kämpfe insgesamt gegen Zwangsmitgliedschaften und finde, dass die Unternehmer, vor allem der Mittelstand, in Deutschland völlig ohne Not geradezu stranguliert werden. Für manche von ihnen ist der Zwangsbeitrag gar existenzbedrohend.

Aber die Anwälte sind immerhin eine homogene Gruppe, also eine mit vergleichbaren Interessen. Da kann man jedenfalls noch eher argumentieren, dass es ein wahrzunehmendes Gesamtinteresse gibt. Anders wäre das natürlich, wenn man zum Beispiel pauschal alle Freiberufler über einen Kamm scheren würde.  

LTO: Herr Storr, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dominik Storr ist Rechtsanwalt in Stromberg. Er bezeichnet sich selbst als Bürgerrechtler und setzt sich auch in seiner anwaltlichen Arbeit nach eigenen Angaben ein für einen "demokratischen und sozialen Rechtsstaat".  

Das Interview führte Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Zwangsmitgliedschaft vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 04.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11564 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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