Nach Medienberichten wies auch das Berufungsgericht im französischen Rennes die Klage einer Französin ab, die bereits erstinstanzlich erfolglos die Herausgabe des eingelagerten Spermas ihres verstorbenen Mannes für eine künstliche Befruchtung begehrt hatte. Vor wenigen Wochen hat das OLG Rostock in einem ähnlichen Fall entschieden. Und damit auch über die Frage: Was ist eine Befruchtung?
In dem von dem OLG Rostock am 7. Mai 2010 (Az. 7 U 67/09) unter großer medialer Beachtung entschiedenen Fall verlangte die Klägerin von dem beklagten Klinikum eine eher ungewöhnliche "Sache" heraus: Die neun unter dem Namen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes eingelagerten, mit den Samenzellen des Ehemanns bereits imprägnierten und kryokonservierten Eizellen, um sich diese in einem anderen Kinderwunschzentrum für die Infertilitätsbehandlung implantieren zu lassen. Die Entscheidung des OLG Rostock ist von großer Brisanz.
Nachdem in der Vorinstanz das LG Neubrandenburg (vgl. LG Neubrandenburg, Urt. v. 12.08.2009, Az. 2 O 111/09) den Herausgabeanspruch der Klägerin abgelehnt hatte, gab das OLG Rostock der Klage statt und änderte das Urteil des LG Neubrandenburg ab. Die Besonderheit des vom OLG Rostock entschiedenen Falles liegt darin, dass die Beklagte die der Klägerin entnommenen Eizellen nach einer morphologischen Kontrolle mit dem Samen des Ehemannes der Klägerin imprägniert (lat. "schwängern") und im Vorkernstadium kryokonserviert hatte (d.h. die Eizellen wurden im flüssigen Stickstoff eingefroren), als ihr Mann noch am Leben war.
Kryokonservierte Eizellen als Sache i.S.d. § 985 BGB?
Auf dem ersten Blick mutet es doch etwas merkwürdig an, dass nunmehr auch in einem solchen Fall ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB – welcher nach seinem eindeutigen Wortlaut die Herausgabe von Sachen im Sinne von § 90 BGB umfasst – auch auf kryokonservierte Eizellen Anwendung finden soll.
Bei der hier streitigen Herausgabe geht es im ersten Schritt nicht ohne Weiteres nur um eine Sache im Sinne von § 90 BGB, sondern um eine kryokonservierte Eizelle, welche bereits mit einer Samenzelle imprägniert ist. Auf diese Frage nach der Sacheigenschaft von imprägnierten Eizellen ging das OLG Rostock allerdings gar nicht erst ein.
Es beschäftigte sich vielmehr sogleich mit der Frage nach einem Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Embryonenschutzgesetz - ESchG), gegebenenfalls einer Beihilfe zu einem solchen Verstoß durch die Herausgabe der Eizelle.
Ein solcher Verstoß gäbe dem Klinikum als Besitzer der imprägnierten Eizelle das Recht, die Herausgabe einer Sache an die klagende Eigentümerin zu verweigern, weil ihm die Herausgabe nach § 275 Abs. 1 BGB rechtlich unmöglich ist. Ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Besitzer zur Herbeiführung eines Rechtserfolgs, den die Rechtsordnung nicht anerkennt, verpflichtet werden oder sich durch die Erfüllung der Verpflichtung zur Herausgabe selbst strafbar machen würde.
Kein Verstoß gegen das Verbot der post-mortem-Befruchtung?
Das OLG Rostock hat entgegen dem Landgericht Neubrandenburg einen solchen Verstoß der für die Beklagten Handelnden gegen das Verbot der post-mortem-Befruchtung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 2 und § 27 StGB abgelehnt, so dass dem Klinikum die Herausgabe der Eizellen nicht rechtlich unmöglich war.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe nur bestraft, wer wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tode künstlich befruchtet. Diese Voraussetzungen lagen nach Ansicht des OLG Rostock im entschiedenen Fall nicht vor.
Maßgeblich für diese Beurteilung war, was unter dem Tatbestandsmerkmal des "befruchtens" zu verstehen ist. Eine Legaldefinition des Merkmals "befruchten" findet sich im ESchG nicht. Zur Auslegung des rechtlich unbestimmten Begriffs ist aber ein Rückgriff auf die (Human-) Biologie unabdingbar. Der Vorgang des Befruchtens ist nicht schon allein durch das Eindringen der Samenzelle in die Eizelle gegeben, sondern erst die Vereinigung zweier habloider Gameten zu einer einzelnen Zygote stellt die Befruchtung als solche dar.
OLG Rostock: Befruchtung schon mit Imprägnierung – und damit zu Lebzeiten
Auf dieser Basis hat das OLG Rostock entschieden, dass die Befruchtung der von der Klägerin herausverlangten Eizellen bereits zu Lebzeiten des Ehemannes begonnen und die Kryokonservierung diesen Vorgang unterbrochen hatte.
Die damit nur noch ausstehende Vollendung der Befruchtung ist nach Auffassung des OLG Rostock von dem Straftatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG aber nicht erfasst. Das Argument des beklagten Klinikums, dass die Befruchtung noch nicht abgeschlossen sei und daher bei Herausgabe Beihilfe zur Verwirklichung des Tatbestands der post-mortem-Befruchtung verwirklicht würde, überzeugte das OLG also nicht. Denn der Wortlaut der Vorschrift lasse eine Auslegung des Wortes "befruchten" sowohl im Sinne eines Tätigwerdens durch Imprägnieren mit Samen als auch im Sinne eines dauernden Vorgangs vom Imprägnieren mit Samen bis zur Entstehung des Embryos zu.
Letztlich kommt das OLG Rostock also zu dem Schluss, dass das Tatbestandsmerkmal "befruchten" mit dem "Verwenden" der Samenzelle gleichzusetzen sei. Da das Verwenden und damit Befruchten der Eizelle bereits vor dem Tod des Ehemannes der Klägerin geschehen sei, liege mangels post-mortem-Befruchtung keine (Beihilfe zur) Strafbarkeit nach dem ESchG, mithin auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Herausgabe vor.
Aushöhlung des Verbots der post-mortem-Befruchtung?
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mangels einer gesetzlichen Definition des Merkmals "befruchten" naturgemäß Raum für eine Auslegung des Wortlauts besteht. Ob diese aussehen kann oder sollte wie die des OLG Rostock, ist allerdings fraglich.
Insbesondere, wenn man sich auf den gesetzgeberischen Willen stützt, erscheint die vom OLG vorgenommene Begriffsbestimmung zweifelhaft, wollte der Gesetzgeber doch eine post-portem-Befruchtung durch § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG verbieten.
Denn öffnet nicht die Auslegung des OLG Rostock von "befruchten" im Sinne von "Verwenden" einer Samenzelle letztlich den Weg zu einer Umgehung des Straftatbestands dadurch, dass zukünftig grundsätzlich bereits imprägnierte Eizellen kryokonserviert werden könnten? Liefe das Verbot der post-mortem-Befruchtung dann nicht in der Konsequenz ins Leere, folgte man der Auffassung des OLG Rostock?
Da das OLG Rostock die Revision zugelassen hat, bleibt abzuwarten, ob sich der BGH mit dieser Frage wie auch der Frage nach der Sacheigenschaft und Eigentumsfähigkeit von imprägnierten Eizellen auseinandersetzen wird. Dies wäre wünschenswert. Letztlich bedarf die Frage, was eine Befruchtung ist, der Klärung und ist - auch im Sinne des Bestimmtheitsgebotes, welches zweifelsohne für Strafvorschriften Anwendung findet - durch den Gesetzgeber klar zu definieren.
Die Autorin Dr. Bianca Büchner ist Rechtsreferendarin und Absolventin der Zusatzqualifikation für Pharmarecht, Marburg. Im Rahmen ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit dem Thema "Körpersubstanzen als Forschungsmaterialien".
Bianca Büchner, Herausgabe kryokonservierter Eizellen : . In: Legal Tribune Online, 22.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/786 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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