Wohl über 30 Menschenleben hat die Abweichung von der Route des Kreuzfahrtschiffs gekostet, dessen Kapitän nun ebenso in der Kritik steht wie die Reederei. Dabei geht es rechtlich durchaus ein wenig durcheinander. Im LTO-Interview erklärt Seerechtler und Kapitän Dr. Klaus Ramming, wer auf hoher See das Sagen hat und ob der Kapitän tatsächlich erst als Letzter von Bord gehen darf.
LTO: Herr Dr. Ramming, nach der Havarie der Costa Concordia werden deren Kapitän Francesco Schettino fahrlässige Tötung und die Herbeiführung eines Schiffsunglücks vorgeworfen. Außerdem soll er ein Notsignal zu spät abgesetzt haben. Vor allem aber konzentriert sich auch die mediale Empörung darauf, dass er das Schiff verlassen hat, bevor alle Passagiere von Bord waren. Kurz und knapp: Gibt es eine Vorschrift, die es dem Kapitän eines Schiffes verbietet, dieses zu verlassen, bevor alle Passagiere in Sicherheit sind?
Ramming: Eine solche ausdrückliche Rechtsvorschrift gibt es im internationalen und im deutschen Recht nicht. Ob das italienische Recht dies vorsieht, kann ich nicht sagen. Aber: Der Kapitän ist grundsätzlich zur Bordanwesenheit verpflichtet.
Außerdem muss er die Rettungsmaßnahmen an Bord, hier namentlich die Evakuierung des Schiffes, durchführen und leiten. Das kann er normalerweise nur, wenn er sich auch selbst an Bord befindet und direkten Kontakt mit seiner Besatzung hat, um ihr Weisungen zu erteilen, was durch UKW, über die schiffseigene Telefonanlage oder notfalls mündlich durch Zuruf oder Boten erfolgen kann. Erst wenn die Evakuierung erledigt ist, geht der Kapitän von Bord. Jenseits aller juristischen Feinheiten ist es auch ein Gebot von Moral und Anstand, dass der Kapitän so lange auf dem Schiff bleibt.
Kapitän und Besatzung müssen die Rettungsmaßnahmen einleiten
LTO: Sie selbst sind ausgebildeter Kapitän. Der Kapitän, aber auch die Mannschaft eines Schiffes müssen also durchaus rechtlich über die normale strafrechtliche Verantwortlichkeit für Leib und Leben anderer Menschen hinausgehend dafür einstehen, dass im Katastrophenfall die Passagiere in Sicherheit gebracht werden?
Ramming: Natürlich trifft Kapitän und Schiffsbeatzung eine gesteigerte Verantwortlichkeit für das Wohl der Passagiere, die sich auch in einer erhöhten straf- bzw. zivilrechtlichen Einstandspflicht niederschlägt. Kapitän und Besatzung dürfen in Notfällen nicht einfach untätig bleiben, sondern müssen die gebotenen Rettungsmaßnahmen einleiten.
Tun sie dies nicht oder nicht in der gebotenen Weise, machen sie sich strafbar beziehungsweise haften gegenüber den Passagieren nach Maßgabe der anwendbaren zivilrechtlichen Bestimmungen.
LTO: Sie sprechen es bereits an: Welches Recht gilt überhaupt "auf hoher See"?
Ramming: Grundsätzlich gilt an Bord eines Schiffes das Recht des Staates, dessen Flagge das Schiff führt. Im Falle der Costa Concordia ist dies nach meiner Kenntnis die italienische Flagge.
Dieses Recht regelt insbesondere das Verhältnis zwischen Kapitän und Besatzung einerseits und den Passagieren andererseits und namentlich die Pflichten von Kapitän und Besatzung im Hinblick auf Rettungsmaßnahmen. Hinzu kommt in Bezug auf die Costa Concordia, dass die Havarie in italienischen Hoheitsgewässern stattgefunden hat.
Weisungsbefugt für alle Vorgänge an Bord ist der Kapitän
LTO: Die Hafenbehörde hat, nachdem der Kapitän zunächst behauptet hatte, es gebe nur einen Stromausfall auf dem Kreuzfahrtschiff, später auf eigene Faust Rettungsmaßnahmen eingeleitet, auch die Reederei Costa Crociere ist offenbar der Auffassung, sie hätte etwas ändern können, wenn sie früher Bescheid gewusst hätte. Wer hat auf See das Sagen, wenn es zu einer solchen Katastrophe kommt?
Ramming: Es ist nicht ungewöhnlich, dass zu Beginn eines solchen Vorfalles erst einmal Unklarheit darüber herrscht, was eigentlich passiert ist. Der Kapitän muss zunächst feststellen, ob es Schäden am Schiff gibt und ob und vor allem wie viel Wasser eindringt. Gleichzeitig muss er ermitteln, ob die Stabilität des Schiffes gefährdet ist.
Bei alldem muss er sich, abhängig von seinem Kenntnisstand und seiner Einschätzung der dem Schiff drohenden Gefahr, jeder zur Verfügung stehenden Hilfe bedienen. Eine Maßnahme kann die Kontaktaufnahme mit dem Reeder sein, der weitere technische Hilfe geben kann. Gegebenenfalls muss der Kapitän, der mit eigenen Mitteln der Lage nicht Herr wird, auch einen Notruf absetzen, um sicherzustellen, dass schnell Hilfe von außen kommt.
Die Weisungsbefugnis für alle Vorgänge an Bord liegt grundsätzlich beim Kapitän. In entsprechenden Fällen übernehmen die Behörden des Küstenstaates die Leitung der weiteren Rettungsmaßnahmen. So war es auch im Falle der Costa Concordia, wo die italienischen Behörden tätig geworden sind.
Abweichung von der Route kann Haftung des Reeders begründen
LTO: Der zwischenzeitlich unter Hausarrest stehende Schettino und die Reederei Costa Crociere versuchen mittlerweile, den jeweils anderen für das Unglück verantwortlich zu machen, immer wieder geht es um eine Abweichung von der üblichen Route des Kreuzfahrtschiffes, um werbewirksam an der Insel Giglio vorbeizufahren, vor der das Unglück dann geschah. Wären eine solche Abweichung und die Frage, wer die Anweisung dazu gegeben hat, aus Ihrer Sicht rechtlich erheblich?
Ramming: Es kann im Hinblick auf die straf- und die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Kapitäns und des Reeders und seiner Geschäftsführung einen erheblichen Unterschied machen, ob der Kapitän allein die Weisung gegeben hat, dicht an der Insel Giglio vorbeizufahren, ob dies schon häufiger vorgekommen ist, ob der Reeder hiervon Kenntnis hatte oder ob er dies gar selbst angeordnet hat.
Hatte der Reeder Kenntnis von einem entsprechenden Verhalten an Bord oder hat er sogar entsprechende Anweisungen erteilt, hat er auch die Gefahr geschaffen, dass die Costa Concordia bei der Vorbeifahrt die Insel zu dicht passiert. Dies würde die Haftung für den Vorfall auch auf den Reeder selbst ausdehnen.
LTO: Es drohen Schadensersatzklagen, in Deutschland begehren erste Reisende Ersatz ihrer Schäden von verlorener Kleidung bis entgangenen Urlaubsfreuden. Eine italienische Verbraucherschutzorganisation will mit zwei US-Kanzleien ca. 160.000 Euro pro Person geltend machen. Wagen Sie nach den bisher bekannten Fakten schon eine Prognose für das Strafverfahren gegen Schettino, möglicherweise aber auch für die drohenden Verfahren gegen die Reederei?
Ramming: Nach allem, was ich aus der Presse über das Verhalten des Kapitäns weiß, wäre an eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung, Gefährdung des Schiffsverkehrs und unterlassener Hilfeleistung zu denken. So wäre es jedenfalls nach deutschem Strafrecht. Das italienische Strafrecht wird über ähnliche Tatbestände verfügen. Ob darüber hinaus auch der Geschäftsführung des Reeders ein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, kann ich zurzeit nicht beurteilen.
LTO: Herr Dr. Ramming, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. Klaus Ramming ist Rechtsanwalt bei Lebhuhn & Puchta in Hamburg und Vorsitzender des Deutschen Vereins für Internationales Seerecht. Er ist ausgebildeter Kapitän und Diplom-Ingenieur für Seeverkehr und schwerpunktmäßig tätig im Schifffahrts- und Transportrecht.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Mehr auf LTO.de:
Nischenfach Seerecht: Karriere voll auf Kurs
Sicherheitsdienste gegen somalische Piraten: Wettrüsten als fragwürdige Strategie
Havarie der Costa Concordia: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5385 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag