Welche Standards müssen in Gefängniszellen der EU-Mitgliedstaaten erfüllt sein, damit dorthin ausgeliefert werden darf? Der EuGH verhandelt am Dienstag über eine – unfreiwillige – Vorlage des OLG Hamburg.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird ab Dienstag zu klären haben, wie die Mindeststandards für Haftbedingungen in der EU aussehen und wann ein Europäischer Haftbefehl in einem Mitgliedsstaat überhaupt vollstreckt werden darf. Konkret geht es dabei um die Verhältnisse in rumänischen Gefängnissen.
In Gang gebracht hat das Verfahren beim EuGH eine Vorlage des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) in Hamburg. Dass es zu dieser aber überhaupt kam, ist letztlich auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zurückzuführen. Das BVerfG hatte die Hamburger Richter im Januar 2018 zur Vorlage an den EuGH verpflichtet (Beschl. v. 19.12.2017, Az. 2 BvR 424/17).
Hintergrund ist ein Auslieferungsersuchen, welches das OLG schon seit geraumer Zeit beschäftigt. Das Gericht hat darüber zu entscheiden, ob einem Antrag Rumäniens nachgekommen und ein Mann zum Zweck der Strafverfolgung dorthin ausgeliefert werden darf. Der Mann, um dessen Auslieferung es geht, verbüßte noch bis zum 24. September 2017 wegen mehrerer in Deutschland begangener Straftaten eine Haftstrafe in Hamburg. Da lag bereits ein Auslieferungsersuchen aus Rumänien vor, wo man wegen des Verdachts der Begehung von Vermögens- und Urkundsdelikten gegen ihn ermittelte.
BVerfG rügt OLG
Das OLG bewilligte zunächst die Auslieferung, da nach der Rechtsprechung des EuGH klar gestellt sei, dass die Mitgliedstaaten zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls verpflichtet seien. Ausnahmen gebe es nur bei außergewöhnlichen Umständen, die das Gericht in dem Fall offenbar nicht erkannte.
Die gegen die Bewilligung der Auslieferung gerichtete Verfassungsbeschwerde des Mannes nahm dann jedoch das BVerfG zum Anlass, grundsätzlich zu erklären, wer im Zweifel über die Auslegung von Unionsrecht zu entscheiden hat: nämlich der EuGH.
Das OLG hatte sich zwar zunächst auf die Rechtsprechung des EuGH betreffend die Behandlung von Auslieferungsersuchen gestützt, war aber nach Ansicht des BVerfG ohne ausreichende Rückversicherung darüber hinausgegangen. Die Verfassungsrichter gingen davon aus, dass der EuGH die Mindestanforderungen an Haftbedingungen nach der Grundrechte-Charta (GRCh) noch nicht so präzisiert hat, dass auf dieser Grundlage die vom OLG zunächst gefällte Auslieferungsentscheidung zu begründen wäre.
Beurteilungsspielraum "in unvertretbarer Weise überschritten"
So hätte der EuGH unter anderem noch nicht ausreichend geklärt, unter welchen Gesichtspunkten Haftbedingungen nach Unionsrecht genau als unmenschlich einzustufen seien und wie dies gegebenenfalls kompensiert werden könne.
Karlsruhe monierte seinerzeit außerdem, dass das OLG auch die gewöhnlich erforderlichen Bedingungen für eine Kompensation des zu geringen Haftraums überhaupt nicht geprüft, sondern vielmehr eigene Kriterien herangezogen habe, die bisher so nicht verwendet worden seien. Das OLG hatte u.a. den Empfang von Besuch und das Waschen privater Wäsche als Kriterien herangezogen. Außerdem hatten die Hamburger Richter mit der Funktionsfähigkeit der europäischen Strafrechtspflege argumentiert und ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass bei zu strenger Beurteilung ausländischer Haftbedingungen Deutschland zu einem "safe haven" für Straftäter in Europa werden könnte.
BVerfG: OLG zur Vorlage an EuGH verpflichtet
Solche Kriterien seien von EuGH und EGMR jedoch bisher kaum herangezogen worden, rügte das BVerfG in seinem Beschluss. Angesichts der bestehenden Unsicherheiten hätte man die Frage aber dem EuGH vorlegen müssen. Da dies nicht geschehen sei, habe das OLG "den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen im Hinblick auf seine Vorlagepflicht in unvertretbarer Weise überschritten". Dies begründe einen Verstoß gegen das Grundrecht auf einen gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG).
Nachdem das OLG daraufhin den Beschluss des BVerfG beherzigte, ist nun der EuGH am Zug und muss ab Dienstag die konkreten Fragen der Hamburger Richter beantworten.
Diese wollen unter anderem wissen, welche Mindestanforderungen nach den Vorschriften über den Europäischen Haftbefehl und dem in der Grundrechtecharta verankerten Verbot der unmenschlichen Behandlung an die Haftbedingungen in dem Mitgliedstaat zu stellen sind, in den ausgeliefert werden soll. Außerdem soll der EuGH klären, ob es eine absolute Untergrenze für die Haftraumgröße gibt, welche Bedeutung der reinen Bewegungsfläche zukommt, und welche Relevanz die Ausstattung der Zelle, die Bewegungsmöglichkeiten außerhalb der Zelle und etwaige Beschwerdemöglichkeiten vor Ort haben.
Schließlich möchte das OLG wissen, ob es selbst eine umfassende Prüfung oder nur eine eher oberflächliche Evidenzkontrolle der Haftbedingungen vornehmen muss und ob trotz Unterschreitung von bestimmten Mindestbedingungen – wie etwa der Größe der Zelle – diese auch mit anderen Faktoren im Rahmen einer Abwägung kompensiert werden können.
Fortentwicklung der EuGH-Rechtsprechung zu erwarten
Es ist damit zu rechnen, dass der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zum Thema Haftbedingungen nun fortentwickeln wird. In seiner Terminankündigung verwies der Gerichtshof deshalb auch auf vorangegangene Entscheidungen. So hatte er 2016 bereits entschieden, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aufgeschoben werden müsse, wenn für die betreffende Person aufgrund der Haftbedingungen im Ausstellungsstaat eine echte Gefahr unmenschlicher Behandlung bestehe.
Im Juli des vergangenen Jahres hatte sich der EuGH zudem mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst und entschieden, dass sich eine Prüfung der Haftbedingungen im Ausstellungsstaat vor der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf die Haftanstalten beschränken müsse, in denen die betroffene Person konkret inhaftiert werden solle.
Mit einer Entscheidung des EuGH dürfte noch im Laufe des Jahres zu rechnen sein.
EuGH verhandelt über Haftbedingungen in der EU: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33661 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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