Gesetzentwurf nach dem NSU-Ausschuss: Mehr Strafe für Hass-Ver­b­re­chen, mehr Macht für den Gene­ral­bun­des­an­walt

von Annelie Kaufmann

23.04.2014

Bundesjustizminister Heiko Maas legt einen Gesetzentwurf vor, um Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Mehr Kompetenzen für den Generalbundesanwalt will er und rassistische und menschenverachtende Motive von Straftaten härter bestrafen. Opfervertreter halten das bestenfalls für Symbolpolitik. Und sehen das Problem woanders.

Auf mehr als 1.000 Seiten hatte der Untersuchungsausschuss des Bundestags im August vorigen Jahres über den Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds berichtet, Behördenversagen aufgelistet und Empfehlungen ausgesprochen.

Für den Bereich Justiz stehen diese auf der Seite 863 unter den Nummern 22 bis 30. Diese Empfehlungen will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nun umsetzen - sein Gesetzentwurf wird zur Zeit mit den anderen Ministerien abgestimmt und liegt LTO vor. Maas will damit die Rolle des Generalbundesanwalts stärken und rassistische Motive bei Straftaten stärker berücksichtigen.

Der Untersuchungsausschuss hatte kritisiert, dass die Morde an den türkisch- und griechischstämmigen Händlern in mehreren Bundesländern auch deshalb nicht rechtzeitig aufgeklärt wurden, weil die Staatsanwaltschaften nicht gemeinsam ermittelten. Der Generalbundesanwalt hatte sich zunächst für nicht zuständig erklärt, allerdings lagen ihm auch keine ausreichenden Hinweise vor, um seine Zuständigkeit zu prüfen.

 

Mehr Infos und Zuständigkeit für den Generalbundesanwalt

Grundsätzlich ist der Generalbundesanwalt nur bei besonders gravierenden Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit zuständig. Er kann außerdem bei anderen schweren Straftaten in bestimmten Fällen die Ermittlungen an sich ziehen. Den Rahmen für diese Zuständigkeit gibt das Grundgesetz vor, die Einzelheiten sind im Gerichtsverfassungsgesetz geregelt.

Hier sieht der Gesetzentwurf nun mehrere Änderungen vor. Sie sollen sicher stellen, dass der Generalbundesanwalt frühzeitig eingebunden wird, wenn es um Fälle geht, die in seine Zuständigkeit fallen könnten. Zwar waren die Landesstaatsanwaltschaften schon bisher verpflichtet, den Generalbundesanwalt bei entsprechenden Anhaltspunkten schnell und umfassend zu informieren – im NSU-Fall haben sie das jedoch nicht getan.

Diese Informationspflicht soll deshalb in das Gesetz aufgenommen werden. Außerdem soll es künftig ausreichen, dass eine Tat "objektiv staatsschutzfeindlichen Charakter" hat. Es soll also nicht mehr darauf ankommen, ob der Täter subjektiv staatsschutzfeindliche Ziele hat, denn solche Tätervorstellungen sind meist schwer festzustellen. Auch länderübergreifende Taten sollen stärker berücksichtigt werden. Bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ländern soll der Generalbundesanwalt über die Zuständigkeit entscheiden.

Künast: "Das größte Versagen war beim BKA"

 

Wirklich neue Kompetenzen erhält der Generalbundesanwalt damit nicht, aber seine Rolle soll unterstrichen werden. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass Ermittlungen damit häufiger von den Ländern auf den Bund übertragen werden könnten. Ob das in der Praxis so kommen wird, bleibt abzuwarten.

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Renate Künast (Grüne), begrüßt die Änderungen. Als "bloße Zeitungsleser- und Auswerter" seien der Generalbundesanwalt und seine Mitarbeiter "überbezahlt". Die Bundesanwaltschaft müsse "die Kompetenz und die Verpflichtung erhalten, die Frage des Ob ihrer Zuständigkeit selber ermitteln zu können".

Änderungsbedarf sieht Künast aber vor allem bei anderen Behörden: "Das Bundeskriminalamt sollte eigentlich der Ort sein, an dem sich die kriminalistische Kompetenz ballt. Hier war es aber der Ort des größten Versagens, von der Nichtauswertung der Garagenliste in Jena über das Versanden-Lassen der Ceska-Spur bis zum besonders bornierten Festhalten an der Organisationstheorie." Die Ermittlungsbehörden hatten lange nach Tätern aus einer türkischen Mafia gesucht, rechtsextreme Motive jedoch nicht berücksichtigt. Die Polizei müsse deshalb "endlich in Ausbildung und personeller Zusammensetzung auf die Höhe einer Einwanderungsgesellschaft gebracht werden", so Künast.

Mehr Strafe für Hass und wieso das zu spät kommt

Maas hat deshalb einen weiteren Vorschlag in den Gesetzentwurf aufgenommen, der schon seit Jahren diskutiert wird. Rassistische und menschenverachtende Motive von Straftätern sollen zu höheren Strafen führen.

Tatsächlich finden die Beweggründe und Ziele des Täters bei der Strafzumessung zwar auch jetzt schon Beachtung. In § 46 des Strafgesetzbuchs (StGB) soll nun aber eingefügt werden, dass "rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende" Ziele besonders berücksichtigt werden müssen.

Maas will damit nicht nur erreichen, dass die Gerichte solche Motive stärker beachten. Vielmehr sollen schon Polizei und Staatsanwaltschaft stärker in diese Richtung ermitteln. Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, ist jedoch skeptisch: "Das ist eigentlich Augenwischerei, da wird Aktionismus dokumentiert, der an anderer Stelle besser angebracht wäre."

Er sieht das Problem vor allem bei den Ermittlungsbehörden. Wenn hier etwa rassistische Motive nicht erkannt werden, können die Gerichte das auch nicht im Verfahren berücksichtigen. "Es gibt auch jetzt noch immer wieder Fälle, in denen bei Ermittlungen rassistische Motive ausgeblendet werden, obwohl Neonazis Migranten angreifen und dabei 'Türkenschlampe' oder 'Scheiß-Ausländer' brüllen." Als Nebenklagevertreter habe er aber auch schon Ermittlungsberichte zu Gesicht bekommen, in denen von "Negern" oder "Zigeunern, mit einem Hang zur Lüge" berichtet wird, so Stolle. "Wir müssen das Problem des institutionellen Rassismus ganz klar benennen und dort ansetzen", fordert er.

Dafür braucht es allerdings mehr als Gesetzesänderungen. Auch die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses für den Bereich Justiz enden, unter der Nummer 33, mit einer Forderung, die darüber hinaus geht: Die Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizvollzugsbeamten müsse "die Grundlage dafür legen, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden."

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Gesetzentwurf nach dem NSU-Ausschuss: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11772 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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