Die Bundesregierung will schnellere Asylverfahren und Prozesse. Dafür hat sie einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der verletzt immerhin schon mal weniger Menschen -und Verfahrensrechte als der vorausgehende, erklärt Constantin Hruschka.
Der Bundestag befasst sich in seiner Sitzung am Donnerstag erstmals mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren. Der Entwurf dient vorrangig der Umsetzung der diesbezüglich im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele. Die wesentlichen Inhalte der vorgeschlagenen Änderungen sind folglich auf das behördliche Asylverfahren, das Asylgerichtsverfahren, die Widerrufsprüfung und die Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung ausgerichtet.
Ein erster Entwurf vom Oktober war in der Verbändekonsultation starker Kritik ausgesetzt, da die vorgeschlagenen Maßnahmen die Verfahrensrechte von Asylsuchenden und die Rolle der Rechtsvertretung erheblich eingeschränkt hätten. Im Vergleich dazu ist der nunmehr vorgelegte Entwurf deutlich schmaler und enthält weniger rechtstaatliche problematische Vorschläge. Allerdings sind die nunmehrigen Änderungen im wesentlichen kosmetischer Natur und es ist zumindest sehr zweifelhaft, ob das Ziel der Beschleunigung von Asylverfahren und Asylgerichtsverfahren mit diesen Änderungen erreicht werden kann.
Nicht nur kosmetischer Natur sind vor allem zwei vorgesehene Änderungen: Zum einen die vom Bund zu fördernde "behördenunabhängige, unentgeltliche, individuelle und freiwillige Asylverfahrensberatung", für die § 12a Asylgesetz (AsylG) neu gefasst werden soll und als zweites die Möglichkeit für das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), in bestimmten Konstellationen als Tatsacheninstanz zu entscheiden.
Guter Plan: Asylverfahrensberatung außerhalb vom BAMF
Die Asylverfahrensberatung soll konzeptionell vor der Anhörung stattfinden und kann auch Rechtsdienstleistungen umfassen. Sie soll "die besonderen Umstände des Ausländers, insbesondere, ob dieser besondere Verfahrensgarantien oder besondere Garantien bei der Aufnahme benötigt" in den Blick nehmen.
Schon bisher gibt die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführte Asylverfahrensberatung, die vom Verfahrensbereich institutionell getrennt ist und den Schutzsuchenden den Ablauf des Asylverfahrens erklären soll. Dies bindet allerdings einerseits personelle Kapazitäten beim BAMF, andererseits ist die Beratung durch die Behörde keine unabhängige Beratung. Seit Jahren fordern daher Verbände und Initiativen, diese gesetzlich vorgesehene Beratung außerhalb der Behörde anzusiedeln.
Mit einer solchen Beratung haben beispielsweise die Schweiz und die Niederlande sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie kann insbesondere dazu beitragen, dass die Asylsuchenden den Zweck von Anhörung und den Ablauf der Asylverfahren besser verstehen. Daneben soll die unabhängige Beratung dazu beitragen, frühzeitig besonders vulnerable Personen, wie Opfer von Gewalttaten oder Folter, zu erkennen und die notwendigen Informationen – bei entsprechender Zustimmung der schutzsuchenden Person – gezielt ans BAMF weitergeben. Dies kann im Verfahrensablauf eine nachhaltige Unterstützung bedeuten und damit konkrete Hilfe für die betroffene Person.
"Länderleitentscheidungen" durch das BVerwG
Zweite wesentliche Änderung soll sein, dass das BVerwG für einen kleinen Bereich der Gerichtsverfahren zur Tatsacheninstanz wird. Diese Änderung wird seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen gefordert, insbesondere seit der bundesweit sehr uneinheitlichen Rechtsprechung zu den Schutzsuchenden aus Syrien.
In dem Entwurf ist nun die Einfügung einer eng begrenzen Revisionsmöglichkeit gegen Urteile vorgesehen, in denen ein Oberverwaltungsgericht (OVG) "in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht" (§ 78 Abs. 8 E-AsylG).
Diese Regelung stellt im Grunde einen Paradigmenwechsel dar, der allerdings durch die Notwendigkeit, dass dieses OVG die Revision zulassen muss und die Nichtzulassungsbeschwerde sowie die Anschlussrevision ausgeschlossen sind, klar begrenzt bleibt. Gleichzeitig stellt die vorgeschlagene Änderung einen weiteren Schritt auf dem Weg des Asylrechts zu einem Sonderrecht, das ausserhalb der üblichen verwaltungsrechtlichen Vorgaben durchgeführt wird, dar und ist somit rechtspolitisch zumindest problematisch.
Ende der divergierenden Rechtsprechung zweifelhaft
Ob die vor allem durch die unterschiedliche Rechtsprechung der OVG und Verwaltungsgerichtshöfe zum Herkunftsland Syrien ausgelöste Debatte um eine Neuordnung des Asylprozessrechts zur Vereinheitlichung und besseren Akzeptanz der Praxis damit zielführend beendet werden kann, ist aus zweierlei Gründen zweifelhaft.
Zum einen bleibt eine Berufung wegen "ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils", wie sie § 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorsieht, im Asylbereich weiter ausgeschlossen, da § 78 Abs. 3 AsylG diese Möglichkeit nicht vorsieht.
Zum anderen sind die Streitigkeiten über solche Fragen stark von den Entwicklungen in den Herkunfts- und Zielstaaten abhängig. Sie unterliegen somit einem permanenten Aktualisierungs- und Anpassungsbedarf, hinsichtlich dessen durch Länderleitentscheide seitens des BVerwG wohl nur partiell eine Entlastung der Gerichte erreicht werden kann. Zudem ist völlig ungeklärt, wie die entsprechende Expertise zur Situation in den Herkunftsländern beim bisher damit nicht befassten BVerwG aufgebaut und aktuell gehalten werden kann.
Viele Änderungen im Asylverfahrensrecht ohne große Wirkung
In dem Entwurf sind viele weitere Änderungen im Asylverfahrensrecht vorgesehen. Darunter die gesetzliche Verankerung der Möglichkeiten "ausnahmsweise in geeigneten Fällen" in Asylverfahren Bild- und Tonübertragung einzusetzen, die klare Regelung für das BAMF, das Asylverfahren in der Regel innerhalb von sechs Monaten behördlich abgeschlossen sein sollen und die Einfügung der Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 1 Bst. b der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie). Letztere entsprechen der Genfer Flüchtlingskonvention und regeln im Wesentlichen den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft für palästinensische Flüchtlinge und für Personen, die im Herkunftsland Staatsangehörigen gleichgestellt sind.
Darüber hinaus sind noch die leichtere Zurückverweisung von Verfahren an die Verwaltungsgerichte und viele kleinere Änderungen hinsichtlich des Verfahrensablauf beim BAMF geplant. All das wird wohl wenig an der grundlegenden Problematik der Überlastung des BAMF ändern, da die notwendige Konzentration auf das Kerngeschäft der Prüfung des Schutzbedarfs durch verfahrensrechtliche Änderungen sicher nicht gefördert wird.
Bisher ermöglicht es das Prozessrecht beispielsweise nicht, dass grundfalsche oder sehr schlecht bearbeitete Bescheide zur Überarbeitung an das BAMF zurückgewiesen werden können. Solange dies aber nicht vorgesehen ist, wird– wie in den Jahren seit 2016 an der hohen Aufhebungsquote von Bescheiden sichtbar ist - die schnelle Entscheidung zu Lasten der Qualität immer auch eine Option für die Behörde sein.
Ob die notwendige Entlastung der Behörde durch die Änderungen bei der Asylverfahrensberatung und bei der Widerrufsprüfung allein erreicht werden kann, ist zweifelhaft – dennoch ist letztere Änderung sinnvoll. Denn bisher musste jede Anerkennung eines Flüchtlings iSd § 3 AsylG nach drei Jahren vom BAMF überprüft werden. Die Widerrufsquote war bei diesem Status allerdings verschwindend gering, so dass der Aufwand in keiner Relation zu den folgenden Maßnahmen stand – man schaute sich etwa im Jahr 2017 100 Prozent der Fälle an, um 1,5 Prozent der Anerkennungen zu widerrufen. Nun wird eine anlassbezogene Prüfung ermöglicht, zudem werden die Erlöschenstatbestände neu geordnet und größtenteils in die Widerrufsvorschriften überführt, was insbesondere aus verwaltungspraktischer Sicht sachgerecht ist.
Drei rechtsstaatlich problematische Vorhaben
Aus Sicht des asylrechtlichen Schutzes und aus rechtstaatlicher Sicht sind drei vorgeschlagene Änderungen besonders problematisch.
Dies ist als erstes der Vorschlag, dass bei unklarer Lage im Herkunftsland Entscheidungen durch das BAMF bis zu 21 Monate aufgeschoben werden können. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung, die kaum zurechtfertigen ist. Denn diese Situation steht nicht in der Verantwortung der Asylsuchenden. Dies führt vor allem dazu, dass in einer Situation, in der wohl regelmäßig mindestens die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt, der notwendige Schutz während fast zwei Jahren nicht gewährt wird.
Als zweites problematisch ist die für das BAMF vorgesehene Möglichkeit, nach § 31 Abs. 3 S. 2 E-AsylG bei unzulässigen Folgeanträgen auf eine Prüfung der Abschiebungsverbote zu verzichten. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta muss aber beim Vollzug einer Abschiebung geklärt werden, ob aktuell ein Abschiebungsverbot besteht. Alles andere ist – insbesondere bei lange zurückliegenden Entscheidungen über Abschiebungsverbote - menschenrechtlich sehr bedenklich.
Als drittes rechtsstaatlich problematisch ist die Möglichkeit für das BAMF nach § 77 Abs. 4 E-AsylG während des laufenden Asylklageverfahrens den Streitgegenstand durch Neubescheidung zu ändern. Insbesondere nichtvertretenen Asylsuchenden werden so die menschenrechtlich garantierten Verfahrensgarantien und Verteidigungsmöglichkeiten beschnitte und teilweise ganz versagt.
Entwurf wenig zielführend und wenig sinnvoll
Rein formal betrachtet ist der Gesetzentwurf geeignet, als Umsetzung der oben genannten Ziele des Koalitionsvertrags durchzugehen. Eine substanzielle Beschleunigung der Verfahren ist durch die vorgeschlagenen Änderungen aber nicht zu erwarten, die damit – wie so oft in der Vergangenheit beim Thema Beschleunigung – den im Titel erhobenen Anspruch nicht werden erfüllen können. Sinnvoller und zielführender wäre ein anderer Weg, nämlich die – im Vergleich zu anderen Verwaltungsverfahren – im Asylverfahren geltenden Sonderregeln abzuschaffen und schlichtweg zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung die vollständige Anwendung der VwGO vorzusehen.
Dies wird vom Gesetzgeber aber explizit als nicht zielführend verworfen. Die umfassende inhaltliche Prüfung des Schutzbedarfs ist der Kern des Asylverfahrens, mit einem Fokus auf diese Aufgabe und eine professionelle Begleitung der Asylsuchenden schon im erstinstanzlichen Verfahren haben Länder wie etwa die Schweiz und die Niederlande, die im Asylverfahren den Fokus darauf legen, auch im Hinblick auf die Beschleunigung und Akzeptanz der Verfahren sehr gute Erfahrungen gemacht.
Darüber hinaus stellt sich grundlegend die Frage, ob angesichts der anstehenden Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die eine Vereinheitlichung der Asylverwaltungs- und -gerichtsverfahren zum Ziel hat, eine so detaillierte Änderung des deutschen Rechts sinnvoll ist, obwohl der Reformprozess politisch unterstützt wird, ist zudem zumindest äußerst fraglich.
Der Entwurf steht in der Nacht um 0.45 Uhr auf der Tagesordnung, dann geht er zur Weiterberatung an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat.
Der Autor Dr. Constantin Hruschka ist Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Zuvor arbeitete er als Leiter der Abteilung Protection der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH sowie als Jurist für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Er unterrichtet Europäisches Recht und Internationales, Europäisches und nationales Asyl- und Flüchtlingsrecht an den Universitäten Bielefeld, München und Fribourg (Schweiz).
Entwurf zur Beschleunigung von Asylverfahren: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50137 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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