Gescheiterte Großprojekte und das Baurecht: Was die Alten Ägypter besser gemacht haben

von Dr. Thomas Senff

03.10.2017

Stuttgart 21, Flughafen BER, Elbphilharmonie – Beispiele für kostspieligen Stillstand auf der Baustelle kennt Deutschland mittlerweile zur Genüge. Thomas Senff mit dem baurechtlichen Erklärungsversuch.

Was wäre passiert, wenn Cheops vor ungefähr 4.500 Jahre gewusst hätte, dass der Bau der Großen Pyramide weit über 20 Jahre dauern und unvorstellbare Kosten verursachen wird? War dem Pharao klar, dass die Ägypter dafür 2,3 Millionen tonnenschwere Steinquader in den weit entfernten Steinbrüchen aus dem Fels schlagen und teils hunderte Kilometer über den Nil transportieren mussten, um sie schließlich in Gizeh passgenau in schwindelerregende Höhen spitz aufzutürmen? Ahnte der Gottkönig, dass die Große Pyramide jede bis dahin gültige Vorstellung von Bauzeit und Kosten um ein Vielfaches übertreffen wird?

Die Antwort darauf ist einfach. Denn nach allem was wir wissen, hatte Cheops keine Zweifel darüber, was auf ihn zukam – und dennoch hat der Pharao dieses großartige Bauprojekt in Auftrag gegeben. Können wir daraus heute etwas lernen? Zweifellos. Denn Cheops hat so Einiges richtig gemacht.

Ähnlich wie damals das Alte Ägypten steht die im Vergleich noch recht junge Bundesrepublik vor atemberaubenden Herausforderungen was die Planung und den Bau von großen Infrastrukturprojekten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten angeht. Die Reformkommission Bau von Großprojekten, eingesetzt vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, schätzt in ihrem Endbericht vom 29. Juni 2015, dass der Bund alleine für Hochbauten etwa zwei Milliarden Euro und für Verkehrswege elf Milliarden Euro mit deutlich steigender Tendenz ausgeben wird - und zwar pro Jahr. Die Zahlen dürften heute noch weit höher liegen. Stromtrassen, Autobahnen, Flughäfen, Eisenbahnlinien und nicht zuletzt die Schaffung eines leistungsfähigen, flächendeckenden Internets sind nur einige Stichworte in diesem Zusammenhang.

Können die Deutschen überhaupt noch bauen?

Und immer wird es um ein Großbauprojekt gehen, was bei allen Beteiligten nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21, dem Berliner Flughafen BER, der Elbphilharmonie und neuerdings dem Umbau der Kölner Philharmonie nicht nur Freude am Projekt, sondern wahrscheinlich auch das eine oder andere mulmige Gefühl hervorrufen wird.

Doch für Letzteres besteht kein Anlass. Es gibt kein Naturgesetz, nach welchem die Kosten und Terminpläne bei Großbauvorhaben zwangsläufig nach kurzer Zeit explodieren. Es haben keine Naturgewalten in Stuttgart und Berlin gewütet, die weltweit die Skepsis darüber haben aufkommen lassen, ob die Deutschen überhaupt noch in der Lage dazu sind, Flughäfen und Bahnhöfe zu bauen. Vielmehr kann jedes Projekt zum Erfolg geführt werden, wenn man die notwendigen Vorkehrungen hierfür trifft. Dass dennoch zum Teil erhebliche Probleme bei Großbauprojekten auftreten, sollte niemanden überraschen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, diese Probleme von vorneherein zu minimieren und – was mindestens genauso wichtig ist – sich auf geeignete Konfliktlösungsmechanismen zu einigen, die im Fall der Fälle sofort greifen können. Wer allerdings gleichsam blind in ein Großbauvorhaben hineinstolpert, darf sich nicht wundern, wenn nach kurzer Zeit die Anfangseuphorie verflogen ist und die Projektbeteiligten sich in einer Art Stellungskrieg wiederfinden. Dann ist die Baustelle nach dem Fachjargon verbrannt, also durch endlose und kostenfressende Auseinandersetzungen bedroht, lahmgelegt zu werden.

Die Krux mit der "baubegleitenden Planung"

Was kann man tun? Erneut fällt die Antwort hierauf leichter als man meinen möchte. Zunächst sollte klar sein, was eigentlich gebaut werden soll. Als Cheops den Bau der Großen Pyramide in Auftrag gab, stand die Planung. Die Steinmetze in den dreihundert Kilometer entfernten Tura-Steinbrüchen wussten genau, wie sie jeden einzelnen Quader zu fertigen hatten. Die Baumeister hatten das immense statische Problem der Grabanlage vollständig gelöst, bevor auch nur das Baufeld abgesteckt wurde. Die Pyramide war fertig in den Sand gezeichnet, bildlich gesprochen. Nennenswerte Änderungen nicht vorgesehen.

Dies kann man hingegen nicht von jedem Großbauprojekt in Deutschland sagen. Unter Profis ist die baubegleitende Planung ebenso gefürchtet wie alltäglich. Dabei werden Bauvorhaben begonnen, obwohl die Planung noch gar nicht vollständig vorliegt. Das Ganze soll dann irgendwie während der Bauausführung geheilt werden. Es mag harmlos klingen, dass während der Bauausführung noch weiter geplant wird. In der Praxis stellt dies alle Projektbeteiligten aber vor kaum lösbare Zielkonflikte.

Termin- und Kostensicherheit setzen Planungssicherheit voraus. Das wusste nicht nur Cheops, sondern weiß auch der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA), welcher die für nationale Bauprojekte ganz überwiegend maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB Teil B) gestaltet. Nicht zufällig findet sich in § 3 Abs. 1 VOB Teil B die klare Festlegung, dass der Bauherr die Planungsverantwortung und der Bauunternehmer die Ausführungsverantwortung zu tragen hat.

Zitiervorschlag

Gescheiterte Großprojekte und das Baurecht: . In: Legal Tribune Online, 03.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24807 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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