Nachdem niemand mehr bezweifelt, dass der Co-Pilot die Unglücksmaschine vorsätzlich zerschellen ließ, suchen alle nach Antworten. Hätte man es ahnen können? Hätte seine Arbeitgeberin Germanwings es verhindern können, vielleicht müssen? Für die Selbstreinigung der Luftfahrt sind diese Fragen wichtig. Für die Haftung des Unternehmens gar nicht, erklärt Elmar M. Giemulla. Die Summen aber sind begrenzt.
LTO: Neben dem Schock, dem Schmerz und der Trauer wird sich für die Angehörigen der Opfer des Germanwings-Absturzes recht bald die Frage nach der Haftung der Fluggesellschaft stellen. Was bedeuten die neuen Erkenntnisse, dass der Co-Pilot die Maschine wohl vorsätzlich gegen den Berg gesetzt hat, für die Muttergesellschaft Germanwings?
Giemulla: Für die Frage nach der Haftung macht es keinen Unterschied, wie das Unglück passiert ist. Denn die Fluggesellschaft muss den Schaden der Hinterbliebenen in jedem Fall begleichen - und zwar verschuldensunabhängig. Das Recht knüpft die Haftung nämlich nur an das technische Risiko während der Luftfahrt an. Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung.
Diese Regelung ist auch nur fair. Denn egal, wer letzten Endes schuld war: Es handelt sich immer um ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände. Und die Luftfahrt ist so kompliziert, dass man den Hinterbliebenen nicht zumuten kann, auch noch das Verschulden der Fluggesellschaft oder ihrer Mitarbeiter nachzuweisen. Daher verzichtet der Gesetzgeber auf den Nachweis.
"Der Suizid des Co-Piloten könnte allenfalls die Haftungshöhe beeinflussen"
LTO: Macht es also die Germanwings überhaupt keinen Unterschied, ob nun ihr Co-Pilot das Flugzeug absichtlich hat abstürzen lassen?
Giemulla: Nein, gänzlich irrelevant ist das nicht: Es wird zumindest theoretisch im Rahmen der Haftungshöhe relevant.
Geregelt ist die Haftung im Montrealer Übereinkommen, das seit 2004 in Deutschland gilt, für verbindlich erklärt durch die EG-VO über die Entschädigung im Luftverkehr (Anm. d. Red: Verordnung 889/2002/EG*). Luftfahrtunternehmen im internationalen zivilen Luftverkehr, die Reisende zwischen den Staaten gegen Entgelt befördern, müssen verschuldensunabhängig dafür aufkommen, wenn den Passagieren dabei ein Schaden zustößt.
LTO: Inwiefern hat der Suizid des Piloten Einfluss auf die Haftungshöhe?
Giemulla: Die gänzlich verschuldensunabhängige Haftung, die nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden kann, ist in einer ersten Stufe auf einen Betrag von in etwa 141.000 Euro pro Fluggast beschränkt. Realistisch wird dieser aber selten überstiegen.
Für den darüber hinausgehenden Schaden haftet der Luftfrachtführer nach Art. 21 Abs. 1 des Übereinkommens unbegrenzt nur für vermutetes Verschulden, er kann sich also exkulpieren. Um von der Haftung freizukommen, muss er nachweisen, dass sein Verhalten nicht zum Schadenseintritt beigetragen hat.
"Keine Exkulpation: Der Luftfrachtführer haftet wie bei § 278 BGB"
LTO: Und die Germanwings kann sich nicht exkulpieren, auch wenn der Pilot offenbar Selbstmord begehen wollte? Das ist ja kein normaler, also erwartbarer und damit kalkulierbarer Umstand?
Giemulla: Eine Exkulpation wäre nur möglich, wenn der Schaden durch die unrechtmäßige Handlung eines unabhängigen Dritten verursacht worden wäre. Der Vorsatz des Co-Piloten aber, der bei der Germanwings angestellt, wird ihr zugerechnet. Der Schaden ist dann nämlich auf eine unrechtmäßige Handlung der "Leute des Luftfrachtführers" zurückzuführen - so steht es in Abs. 2 der Norm.
Diese Regelung wäre auch nicht anders denkbar. Der Co-Pilot ist im Rahmen der vertraglichen Verpflichtung der Germanwings gegenüber den Reisenden ihr Erfüllungsgehilfe. Diese Regelung ist also gestaltet wie die Haftung für Verschulden beim Vertrag § 278 Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) - und nicht wie § 831 BGB, wo man sich bereits dann exkulpieren kann, wenn man nachweist, dass man den Verrichtungsgehilfen ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht hat.
LTO: Die jetzt aufgeworfenen und medial viel diskutierten Fragen, ob Freunde, Kollegen, vor allem aber eben die Arbeitgeberin Germanwings hätte erkennen müssen, dass der Co-Pilot eine – vermutlich schwere – psychische Erkrankung hatte, sind also haftungsrechtlich irrelevant?
Giemulla: Zumindest im Rahmen der rechtlichen Auseinandersetzung wird es kein Thema sein, ob die Arbeitgeberin – zum Beispiel durch entsprechende Tests - hätte erkennen müssen, dass der Co-Pilot eine schwere psychische Erkrankung gehabt haben muss. Die Informationen, dass er seine Ausbildung für sechs Jahre unterbrochen hatte, sogar offensichtlich am Unglückstag wegen psychischer Probleme krankgeschrieben war, spielt rechtlich gesehen also keine Rolle. Ebenso wenig wie die Frage, ob die Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend gewesen sein könnten, sodass es überhaupt möglich war, dass nur eine Person im Cockpit sein konnte, die auch noch die Macht hatte, die Tür von innen zu verriegeln.
Es reicht, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand die Fakten klar sind, um die in finanzieller Hinsicht unbegrenzte Haftung der Germanwings zu begründen. Natürlich besteht dennoch ein erhebliches Interesse an der Aufklärung der Ursachen, nur eben kein rechtliches. Speziell in der Luftfahrt gibt es eine Art Selbstreinigungsmechanismus: Wenn wir schon einen so hohen Blutzoll zahlen mussten, soll zumindest alles getan werden, damit es nicht mehr passiert.
*Anm. d. Red.: Zunächst war hier eine andere, vor allem die Haftung für Verspätung regelnde Richtlinie zitiert. Dieser Hinweis war fehlerhaft. Wir bitten um Entschuldigung. Geändert am 30.03.2015, 10:48 Uhr.
Anne-Christine Herr, Germanwings' Haftung nach dem Absturz: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15092 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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