2/2: Tötung des Angreifers auch in Deutschland gerechtfertigt
Die deutsche Notwehrnorm ist deutlich knapper formuliert. § 32 Strafgesetzbuch (StGB) bestimmt schlicht: "Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig". Eine gewisse Einschränkung des Notwehrrechts findet unter dem Merkmal der Gebotenheit statt. So ist die Notwehrhandlung etwa dann nicht geboten, wenn ein krasses, geradezu eklatantes Missverhältnis zwischen dem zu schützenden Rechtsgut und den Schäden besteht, die der Angreifer hinzunehmen hätte. Illustriert wird diese Fallgruppe zumeist am Beispiel eines Rollstuhlfahrers, der einen Kirschendieb auf frischer Tat ertappt und dessen einzige Möglichkeit zur Verteidigung seines Eigentums darin bestünde, den Rechtsbrecher zu erschießen. In einem derartigen Fall ist der Angriff schlicht hinzunehmen.
Solche Erwägungen greifen im Falle von Zimmerman jedoch offensichtlich nicht Platz. Martin hatte ihn physisch attackiert und ihm mehrere (Platz)wunden zugefügt. Nach Zimmermans eigener, nicht widerlegter Aussage soll Martin ihn zunächst mit einem Hieb niedergestreckt und seinen Kopf sodann mehrfach gegen den Bordstein geschlagen haben; die Bilder seiner Verletzungen lassen sich damit in Einklang bringen. In einer derartigen Situation konnte Zimmerman mit gutem Grund annehmen, dass ihm schwerer körperlicher Schaden oder gar der Tod drohte, und durfte Martin daher erschießen.
Dementsprechend wurde der Ausgang des Verfahrens unter amerikanischen Rechtsexperten bei Weitem nicht so kontrovers diskutiert wie in der Öffentlichkeit. Andrew Hammel, Professor für anglo-amerikanisches Recht an der Universität Düsseldorf, führt dazu aus: "Jedes andere Ergebnis als ein Freispruch wäre sehr verblüffend gewesen – ein Kollege hat bereits vor über einem Jahr genau diesen Prozessausgang vorhergesagt. Juristisch interessant ist an dem Fall eher die Frage, welche zukünftigen Implikationen er für das amerikanische Notwehrrecht und den Umgang mit ethnischen Minderheiten im Rechtssystem haben kann."
Nach deutschem Recht wäre die Schwelle übrigens noch niedriger gewesen. Zwar wird vor dem Gebrauch einer Schusswaffe grundsätzlich das Abgeben eines Warnschusses gefordert. Darauf kann jedoch verzichtet werden, wenn der Verteidiger sich in einer Lage befindet, in welcher dies nicht mehr praktikabel erscheint – sicherlich also dann, wenn er, bereits benommen am Boden liegend, mit Schlägen malträtiert wird und die Gefahr besteht, dass der nächste oder übernächste Treffer ihm den Griff zur Waffe unmöglich machen wird.
Vorgeschichte wohl bedeutungslos
Magengrimmen bereitet vielen Menschen wohl die Tatsache, dass Zimmerman Martin zunächst ohne triftigen Grund und aus einem lediglich vagen Verdacht heraus verfolgt und die Konfrontation somit heraufbeschworen hat. Aus rechtlicher Sicht kommt diesem Umstand aber nur geringe Relevanz zu. Zwar existiert in Deutschland die Figur der Notwehrprovokation, unter welche Fälle subsumiert werden, in denen der spätere Verteidiger den Angreifer herausgefordert hat – für diese Konstellationen werden unterschiedliche Beschränkungen des Notwehrrechts diskutiert.
Auch das würde aber voraussetzen, dass Zimmerman den Angriff Martins überhaupt in vorwerfbarer, das heißt mindestens fahrlässiger Weise heraufbeschworen hätte. Davon kann man, soweit der Sachverhalt aufgeklärt ist, nicht ausgehen. Zwar hat der Nachbarschaftspolizist Martin letztlich grundlos verfolgt und zur Rede gestellt. Darin allein liegt aber keine derart starke Herausforderung, dass man Martins anschließende physische Attacke als nachvollziehbaren, womöglich gar selbst gerechtfertigten Akt verstehen könnte. Ob Zimmerman den 17-Jährigen* beleidigt oder beschimpft hat, bleibt Spekulation – gerichtlich bewiesen ist es jedenfalls nicht.
Woher rührt also die unzutreffende Vorstellung, das amerikanische Notwehrrecht sei so viel schneidiger als das deutsche? Zum einen erklärt sie sich wohl aus der Unkenntnis des fremden Rechtssystems, verbunden mit nationalen Klischees, in welchen Amerikanern die Rolle des Colt-schwingenden Cowboys zugeschrieben wird. Die Umstände des Falls waren sicher geeignet, diesen Eindruck auf den ersten Blick zu bestätigen.
Darüber hinaus mag aber auch ein faktischer Unterschied eine Rolle spielen, wie Hammel erläutert: "Anders als in den USA ist das öffentliche Tragen und Führen von Waffen in Deutschland verboten. Dementsprechend ist der Einsatz von Schusswaffen in einer Notwehrsituation hierzulande ein beinahe rein theoretisches Problem – in Amerika hingegen ist er oftmals das effizienteste und aus Sicht des Verteidigers sicherste Mittel, um einen Angriff zu beenden."
*hier stand zunächst unzutreffenderweise, dass Martin 19 Jahre alt gewesen sei. Geändert am 23.07.2013 um 13:58
Constantin Baron van Lijnden, Aufregung über US-Notwehrrecht unberechtigt: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9188 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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