Innenminister Horst Seehofer will die Identifikation von Ausreisepflichtigen und die Terminplanung von Abschiebeflügen strafrechtlich schützen - damit künftig weniger Abschiebungen scheitern. Ein ominöses Vorhaben, meint Christian Rath.
Ansatzweise steht es schon im Koalitionsvertrag: "Ziel ist, die Zuführungsquoten zu Rückführungsmaßnahmen deutlich zu erhöhen." Gemeint ist: Künftig sollen mehr Abschiebungen erfolgreich abgeschlossen werden. Wer in Deutschland kein Aufenthaltsrecht erhält oder wem dieses entzogen wird, soll das Land auch wirklich verlassen - jedenfalls öfter als bisher: Im Jahr 2018 kamen auf rund 26.000 vollzogene Abschiebungen mehr als 31.000 gescheiterte. Das gefährdet die Akzeptanz der Bundesregierung, aber auch die des Asylrechts.
Innenminister Seehofer hat deshalb einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben, der das deutsche Abschiebungswesen effizienter machen soll. Der Entwurf für das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz enthält eine Vielzahl von Vorschlägen, etwa eine Duldung zweiter Klasse für Ausreisepflichtige, die die Unmöglichkeit der Abschiebung selbst zu verantworten haben.
Besonders spektakulär sind aber zwei neue Strafvorschriften, die in § 95 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) eingefügt werden sollen. Denn sie erinnern an die Politik Ungarns, wo Flüchtlingshelfer bereits jetzt kriminalisiert werden. Anders als in Ungarn setzt Seehofer aber erst nach rechtskräftiger Feststellung der Ausreisepflicht an. Künftig soll mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren sanktioniert werden, wer die "Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht" beeinträchtigt, indem er Maßnahmen zur Identitätsfeststellung behindert oder über das Datum von Abschiebungen informiert.
Erfolgreicher abschieben – aber wohin?
Hauptproblem bei Abschiebungen sind fehlende Pässe. Oft ist auch unklar, aus welchem Staat die Ausreisepflichtigen kommen, die oft mit mehreren und wechselnden Identitäten agieren. Vor der Beschaffung eines Ersatzpasses muss also erst einmal festgestellt werden, welche Staatsangehörigkeit ein Ausreispflichtiger überhaupt hat. Zu diesem Zweck kann er gemäß § 82 Abs. 4 AufenthG jetzt schon verpflichtet werden, in seiner Botschaft oder vor Botschaftsangehörigen zu erscheinen. Oft reisen Spezialisten des jeweiligen Landes für wenige Tage an, um gleich eine Vielzahl von Ausreisepflichtigen zu sehen und zu sprechen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums erscheinen bei solchen Terminen allerdings nur 30 bis 40 Prozent der vorgeladenen Ausreisepflichtigen und auch diese verhalten sich oft nicht kooperativ (wozu sie auch nicht verpflichtet sind).
Seehofers Entwurf sieht daher eine Strafbarkeit für jeden vor, der "über geplante Maßnahmen zur Feststellung der Identität ausreisepflichtiger Ausländer mit dem Ziel einer Behinderung derselben informiert". Als konkrete Tathandlungen benennt die Begründung des Entwurfs: die "Beratung" konkreter Ausländer, an solchen Terminen "nicht teilzunehmen oder in sonstiger Weise den zuständigen Behörden keine Auskunft zu geben oder falsche beziehungsweise unvollständige Angaben zu machen". Auch die entsprechende "Aufforderung an einen unbekannten Personenkreis" soll künftig strafbar sein.
Gewisse Konturen bekommt dieses tatbestandliche Handeln nur durch die verlangte subjektive Absicht, dass die Beratung oder Aufforderung "mit dem Ziel einer Behinderung" der Identitätsfeststellung erfolgen muss. Im Einzelfall dürfte eine illegitime Absicht nur schwer festzustellen sein. Wer den Ausreisepflichtigen informiert, dass er den Botschaftsangehörigen keine Auskünfte geben muss, gibt ja nur die geltende Rechtslage wieder.
Es fragt sich zudem, welche Kausalität hier vorliegen soll. Bei Personen, die mit hoher Obstruktivität ihre Pässe vernichten und mit einer Vielzahl an Identitäten jonglieren, dürfte auch ohne jede weitere Information klar sein, dass sie an Identitätsfeststellungen gem. § 82 Abs. 4 AufenthG nicht bereitwillig mitwirken.
Medien, Flüchtlingshelfer, Anwälte – künftig alle strafbar?
"Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden." Seit 2015 steht dieser Passus im Aufenthaltsgesetz (§ 59 Abs. 1 Satz 8). Er soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Ausreisepflichtige zum Zeitpunkt einer geplanten Abschiebung auch in ihrer Wohnung oder Einrichtung angetroffen werden. Doch trotz dieser Vorschrift scheiterten Abschiebungen auch 2018 in einigen Tausend Fällen, weil die Ausreisepflichtigen am Flugtag eben nicht auffindbar waren.
Seehofer will daher künftig jeden bestrafen, der Abschiebungen beeinträchtigt, indem er "ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde geplante Zeitpunkte oder Zeiträume einer bevorstehenden Abschiebung veröffentlicht". Auch die Verschickung der Information "an einen unbestimmten Personenkreis", etwa per Newsletter, oder die Mitteilung an einen konkreten Ausreisepflichtigen genügt. Die objektive Tathandlung ist hier enger als bei der Behinderung von Identitätsfeststellungen. Hier geht es nur um die Veröffentlichung von Terminen, nicht um Beratung oder Aufforderung zu Verhaltensweisen.
Als Täter kommen Flüchtlingshelfer, Medien und Anwälte in Betracht. So werden etwa auf der Seite der Aktion Bleiberecht regelmäßig aktuelle Abschiebetermine veröffentlicht. Auch die Deutsche Presseagentur oder Spiegel Online haben schon über bevorstehende Abschiebeflüge nach Afghanistan berichtet - vor allem mit Blick auf die dortige Sicherheitslage. Pro Asyl versieht jetzt Pressemitteilungen, in denen künftige Abschiebungen thematisiert werden, mit dem Hinweis "Achtung, diese Mitteilung könnte künftig strafrechtliche Konsequenzen haben."
Das Bundesinnenministerium (BMI) betont, dass nur die Beeinträchtigung konkreter, individueller Abschiebungen bestraft werden soll. Diese Ansicht findet aber keinen Anhalt in der vorgeschlagenen Norm. Im Gegenteil: Anders als bei den Identitätsfeststellungen, wo im Tatbestand explizit das "Ziel einer Behinderung" genannt wird, fehlt eine solche Formulierung bezüglich der Information über Abschiebetermine. In der Formulierung "Wer die Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht dadurch beeinträchtigt" wird zwar ein gewisser Erfolg der Tathandlung verlangt. Soweit dieser vom Vorsatz mitumfasst sein muss, dürfte hier aber bedingter Vorsatz genügen. Eine Beschränkung der Strafandrohung auf die Beeinträchtigung der Abschiebung konkreter, namentlich bekannter Personen ist darin jedenfalls nicht zu erkennen.
Ungeklärte Grundrechtsfragen im neuen wie im alten Recht
Das BMI beteuert zwar, dass objektive Presseberichte von der geplanten Strafnorm nicht erfasst sein sollen. Doch auch hierfür gibt es keinen Anhalt im vorgeschlagenen Referentenentwurf. Weder im Normtext noch in der Begründung ist ein Medienprivileg oder ähnliches erwähnt.
Ohnehin fällt auf, dass der Referentenentwurf Grundrechtsfragen bei den neuen Strafvorschriften überhaupt nicht thematisiert. Dabei können sich ja auch NGO, die Abschiebetermine nennen, auf Grundrechte stützen. So kann sich Pro Asyl zum Beispiel auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn es mit Blick auf bevorstehende Abschiebeflüge nach Afghanistan die Rückführung von Ausländern in bürgerkriegsähnliche Zustände thematisiert. Auch die Berufung auf die Versammlungsfreiheit ist möglich, wenn zu Protesten gegen konkrete Sammelabschiebungen aufgerufen wird. Soweit man die geplante Änderung von § 95 AufenthG nicht schon als verfassungswidrig ansieht, müsste sie also zumindest verfassungskonform ausgelegt werden.
Und was wird mit Rechtsanwälten sein, die ihre Mandanten auf einen bevorstehenden Abschiebeflug nach Afghanistan oder Gambia hinweisen? Zu derartigen Fragen will das Innenministerium nicht Stellung nehmen. Angesichts der laufenden Ressortabstimmung sei die "Diskussion einzelner hypothetischer Fallkonstellationen" nicht angezeigt, heißt es.
Strafbar blieben am Ende wohl nur Informationen über Abschiebetermine, die in bewusst-konfrontativer Diktion formuliert und zum Beispiel mit der Aufforderung verbunden werden, sich am Tag der geplanten Abschiebung dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Solche Aufrufe sind in der Praxis aber die seltene Ausnahme. Die Aktion Bleiberecht verbindet etwa die Nennung von Abschiebeterminen dagegen mit durchaus legitimen Aufforderungen wie "Überprüfen Sie den Stand ihres Verfahrens und des Aufenthaltsstatus" oder "Informieren Sie sich über rechtliche Möglichkeiten."
Vom "besonderen Unrechtsgehalt" der zu bestrafenden Handlungen, den der Referentenentwurf in seiner Begründung anführt, bleibt bei näherer Betrachtung also wenig übrig. Eher sollte in den Blick genommen werden, dass die Norm, deren Effizienz hier geschützt werden soll (§ 58 Abs 1 Satz 8 AufenthG - Nichtankündigung von Abschiebeterminen), selbst verfassungsrechtlich umstritten ist. Denn sie stellt kurzfristigen Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte oder das Bundesverfassungsgericht vor oft extreme Herausforderungen.
Ein ganz schlechtes Beispiel
Die geplanten neuen Strafvorschriften für die Beeinträchtigung von Abschiebungen haben (bei verfassungskonformer Auslegung) unter dem Strich also kaum Anwendungsmöglichkeiten und sind deshalb eher dem Bereich der symbolischen Gesetzgebung zuzuordnen. Die Empörung betroffener Medien und Organisationen ist vom Innenministerium dabei möglicherweise sogar einkalkuliert, um gegenüber den eigenen (christsozialen) Anhängern Tatkraft zu demonstrieren.
Vielleicht sind diese Passagen des Gesetzentwurfes auch nur Verhandlungsmasse für die regierungsinterne Abstimmung mit den SPD-Ressorts, um wichtigere Punkte durchzubekommen.
Allerdings sind solche Manöver gefährlich in einer Zeit, in der etwa in Ungarn oder Italien tatsächlich in ganz anderer Weise gegen Flüchtlingshelfer vorgegangen wird. Ein deutscher Innenminister sollte nicht den Eindruck erwecken, dass Einschränkungen und Einschüchterungen der Zivilgesellschaft legitime Mittel der Migrationspolitik sein können.
Geordnete-Rückkehr-Gesetz: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34445 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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