Was im StGB begonnen wurde, wird nun nicht in der StPO konsequent fortgeführt. Chancen auf geschlechtsneutrale Formulierungen wurden überraschenderweise verpasst, wie Verena Greiner beobachtet. Warum eigentlich?
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, regte schon im Vorfeld der Bundestagswahl in einem Tagesspiegel-Interview eine gendergerechte Sprache in Gesetzestexten an. Im Strafgesetzbuch (StGB) wurden dazu bereits vor Jahren Tatsachen geschaffen. Im Jahr 2007 wurde die Erwähnung des Bewährungshelfers in den §§ 56d ff., § 67g und in §§ 68a ff. StGB geschlechtsneutral gefasst, wie die Begründung zur Gesetzesänderung betont. Seitdem ist in den Paragrafen die Rede von "Bewährungshelferin oder Bewährungshelfer". Auch aus dem "Verurteilten" wurde die "verurteilte Person". Und das zu einer Zeit als noch kein Rechtsanspruch auf Eintragung eines dritten Geschlechts bestand.
Die nächste Gelegenheit für eine konsequente Anpassung in der Strafprozessordnung (StPO) kam nun im Sommer 2021. Denn auch das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO erfasst die Person des Bewährungshelfers, etwa in § 453 Abs. 1 S. 5 StPO bzw. § 463 d StGB. Und obwohl aber mit der Reform eine ganze Reihe von Formulierungen in der StPO sprachlich präzisiert wurden, blieb es beim "Bewährungshelfer" – eine "Bewährungshelferin" wurde ihm nicht sprachlich zur Seite gestellt. Auch "der Verurteilte", der in der StPO an zahlreichen Stellen im Wortlaut präsent ist (u.a. §§ 454, 465 StPO), wurde keinem sprachlichen "update" unterzogen.
Alternativen, generisches Maskulinum, Verständlichkeit?
Nach der Entscheidung im StGB, das männliche und weibliche Geschlecht in der Terminologie des Bewährungshelfers hervorzuheben, sollten solche sprachlichen Änderungen hinsichtlich derselben Personengruppe in allen Gesetzen bei später sich anbietenden Gesetzesänderungen in Gleichlauf gebracht werden.
Ansonsten erschließt sich von der Logik her nicht, weshalb in einem bestimmten Gesetz Geschlechterneutralität forciert wird und in einem anderen Gesetz dieselbe Personengruppe von der gesellschaftlichen Genderwelle nicht profitiert. Eine solche Inkonsequenz ist nicht plausibel und für die Bürgerinnen und Bürger, die sich an die Gesetze zu halten haben, nicht nachvollziehbar. Eine laxe sprachliche Handhabung des Gesetzgebers könnte bei der Leserschaft zu folgender Einstellungshaltung führen: Wenn schon der Gesetzgeber sprachlich nicht konsequent ist, muss ich es im täglichen Sprachgebrauch nicht sein. Eine sprachliche Gleichbehandlung im Alltag gebietet sich jedoch bereits aus Respekt gegenüber den Mitmenschen.
Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber sich im Hinblick auf die durch Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG) zum 17. Dezember 2018 bestehende Möglichkeit, das dritte Geschlecht im Geburtenregister eintragen zu lassen, bewusst für die Beibehaltung des generischen Maskulinums entschieden hat. Allerdings soll gemäß § 42 Abs. 5 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) zugleich die Gleichstellung von Frauen und Männern in Gesetzesentwürfen sprachlich zum Ausdruck kommen. Drei geschlechtliche Varianten auch noch in Einklang mit dem Gebot der Verständlichkeit von Gesetzestexten für jedermann i.S.d.§ 42 Abs. 5 GGO zu bringen, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.
Gesetzestexte sind sowieso häufig für juristische Laien schwer verständlich. Die Darstellung von drei Geschlechtsvarianten sprengt den Rahmen der Übersichtlichkeit. Das mag in einer Stellenanzeige anders sein.
Sprachliche Gleichstellung im StGB schon 2007
Dass eine Gleichstellung zumindest von Frauen und Männern sprachlich im Gesetzeswortlaut möglich ist, zeigt der im Jahr 2007 sprachlich vorgenommene Schliff in §§ 56 ff., 68 ff. StGB. Diese sprachliche Korrektur hält sich bereits über Jahre und es wurde kein Anstoß im Hinblick auf Verständlichkeit daran genommen.
Hintergrund dürfte sein, dass im Rahmen der Novelle im StGB 2007 nicht die sprachliche Korrektur primär im Fokus der Diskussion stand, sondern die sprachlichen Anpassungen lediglich aus Anlass der Vereinheitlichung und Vereinfachung von Regelungen der Führungsaufsicht im StGB vorgenommen wurden.
Insofern hätte en passant problemlos auch die StPO einer sprachlichen Schönheitsoperation im Gleichklang zum StGB unterzogen werden können.
Die Gesetzesreform zum 1. Juli 2021 lässt zudem erkennen, dass der Gesetzgeber sich durchaus mit sprachlichen Nuancen auseinandergesetzt und versucht hat, den Gesetzestext dem allgemeinen Sprachgebrauch anzupassen. Abwertungen oder Benachteiligungen sollten ausdrücklich ausgeschlossen werden.
So wird in § 459i StPO der "Verletzte" nunmehr im Wege der aktuellen Änderung der StPO sprachlich umschrieben als "demjenigen, dem ein Anspruch auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten aus der Tat erwachsen ist". Auch im Jugendgerichtsgesetz (JGG) wurden im Zuge der aktuellen Gesetzesreform sprachliche Änderungen eingepflegt. So wurde in § 35 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 der Begriff "Hilfsschöffe" gegen "Ersatzschöffe" bzw. entsprechend in § 42 Abs. 1 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ausgetauscht. Ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf sei die Bezeichnung "Hilfsschöffe" veraltet und der Wortbestandteil "Hilfs" könnte als abwertend empfunden werden.
Nur aus Versehen keine Anpassung?
In den Gesetzesmaterialien ist jedoch kein Hinweis zu finden, dass dem Gesetzgeber im Bewusstsein war, sich damit sprachlich von den Änderungen im StGB abzusetzen und willentlich keine sprachlichen Anpassungen einer gendergerechten Sprache vorgenommen hat. Wäre ein entsprechendes Bewusstsein bei den an der Gesetzgebung Beteiligten vorhanden gewesen, wäre die Begründung im Regierungsentwurf zur Änderung bei den "Hilfsschöffen" sicherlich anders ausgefallen.
In der Begründung zum Regierungsentwurf fällt jedoch auf, dass in der Begründung zur sprachlichen Änderung der Regelung des § 35 JGG von der Wahl der Jugendschöffen und Jugendschöffinnen die Rede ist und sodann lediglich dargelegt wird, wie die sprachliche Änderung vorgenommen wurde. Die Begründung lautet im Wortlaut wie folgt:
"Entsprechend der sprachlichen Änderung im allgemeinen Gerichtsverfassungsrecht und aus den gleichen Gründen wie dort (...) wird auch in der Regelung des § 35 JGG zur Wahl der Jugendschöffen und Jugendschöffinnen der bisherige Begriff 'Jugendhilfsschöffen' durch den Begriff 'Jugendersatzschöffen' ersetzt."
Eine Vorgabe von der Rechtsprechung, im Gesetzeswortlaut stets geschlechtsneutral zu formulieren, existiert nicht. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2018 befasst sich nur mit der Bezeichnung von Bankkunden in Formularen und Vordrucken der Bank. Der BGH hat sich dahingehend positioniert, dass kein zivilrechtlicher Anspruch einer Bankkundin darauf bestehe, in Formularen und Vordrucken nur mit grammatisch weiblichen Personenbezeichnungen erfasst zu werden. Der BGH führt zwar zudem auch aus, dass die Gesetzessprache im Hinblick auf den allgemein üblichen Sprachgebrauch auf die Verwendung des generischen Maskulin ausgelegt sei. Eine verbindliche Vorgabe zur Verwendung einer bestimmten sprachlichen Handhabung von Geschlechtervarianten in Gesetzestexten ist damit jedoch nicht ausgesprochen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hatte die Bankkundin keinen Erfolg.
Aufsehenerregender Vorschlag aus dem BMJV
Für Aufsehen sorgte 2020 der Gesetzesentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs – und Insolvenzrechts aus dem Haus des BMJV. Der Vorschlag wurde vom ebenfalls beteiligten Bundesinnenministerium mit der Begründung abgelehnt, dass die sprachliche Fassung unzulässig sei, da das generische Femininum zur Verwendung für weibliche und männliche Formen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt sei.
Im "Handbuch der Rechtsförmlichkeit" wird ausgeführt, dass herkömmlich die sprachliche Gleichbehandlung durch das generische Maskulinum erfolgt und die sprachliche Gleichbehandlung nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder Klarheit gehen darf. Die Verwendung von Paarformen wie "Beamte und Beamtinnen", geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen ("die Lehrkraft") oder kreative Umschreibungen unter Verzicht auf Personenbezeichnungen werden nur als Möglichkeiten dargestellt. Eine konkrete Empfehlung, vom bisherigen Usus der Verwendung des generischen Maskulinums abzurücken, wird hingegen nicht ausgesprochen. Die aktuellste Version des 298 Seiten starken Werks stammt allerdings auch aus dem Jahr 2008.
So gendert der Freistaat
Auch in der aktuellen Gesetzgebung des Freistaats Bayern ist die Verwendung etwa von Paarformen zu erkennen. So sind ausweislich § 4 Nr. 2 der 13. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) im Rahmen der sog. 3G-Regelung "Schülerinnen und Schüler", die regelmäßigen Testungen im Rahmen des Schulbesuchs unterliegen, von der Vorlage eines negativen Testergebnisses ausgenommen.
Der Freistaat Bayern folgt insofern konsequent seinen eigenen im Jahr 2001 aufgestellten Richtlinien zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern, welche u.a. die Verwendung von Paarformen vorsehen. Zugleich sollen die Normen jedoch auch verständlich sein. Insofern würde die Aufnahme des dritten Geschlechts in den gesetzlichen Sprachgebrauch in der Lesart sperrig wirken.
Gemessen daran ist es auch nicht zu beanstanden, dass das dritte Geschlecht außer im Fall von Stellenausschreibungen, bei denen sprachlich die drei Geschlechter ausweislich § 11 AGG in die Anzeige aufgenommen werden müssen, nicht im Gesetzeswortlaut auftaucht.
Die Autorin ist Richterin am AG Straubing, sie ist tätig in den Referaten Ordnungswidrigkeiten, Insolvenz und ist Mitglied der auswärtigen Strafvollstreckungskammer.
Gesetzestexte: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46208 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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