Inhaftierte organisieren sich bundesweit in einer Gewerkschaftsstruktur. Sie begehren auf gegen die geringe Bezahlung ihrer Arbeit und mangelnde soziale Absicherung.
Elf Euro verdiente er am Tag für die Herstellung von Büromaterialien. Sozialabgaben wurden nicht abgeführt, aber einen Urlaubsanspruch gab es - und freie Kost und Logis: Oliver Rast arbeitete während seiner Zeit in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel in der Buchbinderei. Reich geworden ist er damit nicht, das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) betrachtet die Tätigkeit der arbeitsfähigen Inhaftierten als Teil der Resozialisation.
Doch gegen dieses "Lohndumping", wie Rast es nennt, und die mangelnde soziale Absicherung der Inhaftierten organisieren sich inzwischen bundesweit Häftlinge. In rund 70 der 200 Justizvollzugsanstalten sei die "Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation" (GGBO) inzwischen vertreten. Rast ist ihr Sprecher. Im Mai 2014 hat er die Gewerkschaft als nicht eingetragenen Verein gegründet, gemeinsam mit Mehmet Aykol, während beide in der JVA Tegel inhaftiert waren.
Aykol hat in den bisher 20 Jahren seiner Haft über die Fernuniversität Hagen Jura studiert und brachte die juristischen Ideen in die Gründung ein. Rast selbst ist politisch aktiver Buchbinder. Er wurde im Jahr 2007 erstmals inhaftiert. Der Westberliner war ursprünglich Juso Mitglied, stand dann der Alternativen Liste nahe und sei in "Tuchfühlung" mit der Militanten Gruppe (MP) gekommen, sagt er. Diese galt seinerzeit als terroristische Vereinigung – Rast wurde inhaftiert. Zu seiner politischen Orientierung passt für ihn die langjährige Mitgliedschaft in den, wie er sie nennt, "Basisgewerkschaften"‚ 'Industrial workers of the world' und 'FAU Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union'.
Widerstand gegen das "Vollzugliche Arbeitswesen"
Seit September 2014 ist Rast aus der Haft entlassen. Er arbeitet in Vollzeit als Buchhändler und ist gleichzeitig bundesweit in Sachen GGBO unterwegs. Er spricht mit Kommunal- und Landespolitikern, mit Gewerkschaftsvertretern und Juristen. "Bundesweit sind rund 63.000 Menschen inhaftiert", sagt Rast. Davon seien rund 41.000 in Arbeitsverhältnissen. In vielen Ländern – Strafvollzug ist Länderangelegenheit – gebe es für diese Arbeit extra das sogenannte Vollzugliche Arbeitswesen.
So heißt es etwa auf der Website des Landes Hessen, "der Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen (VAW) bietet mit seinen 19 Niederlassungen Privatkunden, Firmen und Behörden ein breites Leistungsspektrum zu attraktiven Konditionen." Mit derartigen Sätzen, so meint er, ließen sich die eingesessenen Gewerkschaften ins Boot holen: "Die Arbeit in den Gefängnissen ist betriebswirtschaftlich organisiert. Bei potenziellen Auftraggebern wird damit geworben, dass durch ihre Übernahme durch Häftlinge die Kosten in der Fertigung für die Unternehmen reduziert werden könnten, weil sozialabgabenfrei gearbeitet wird", so Rast.
Für die Arbeiter bedeutet das zum Beispiel, dass sie keine Rentenversicherungsansprüche erwerben. Zwar gebe es eine Arbeitslosenversicherung, allerdings würden die Ansprüche darauf anders berechnet als in der freien Wirtschaft. "Wir fordern nur soziale Mindeststandards", sagt Rast.
Dass sich dafür nun eine Lobby bildet, fasziniert ihn selbst. Dabei sei alles hochgradig schwierig: "Wer sich in den Gefängnissen für die GGBO engagiert, riskiert, Privilegien zu verlieren", sagt der 43-Jährige. Umschlüsse, also die Möglichkeit, in der Zelle eine anderen Gefangenen eingeschlossen zu werden, fänden nicht mehr statt, die Inhaftierten seien zusätzlichen Durchsuchungen ihrer Zellen ausgesetzt. "Dabei ist es doch gut, wenn die Gefangenen sich engagieren. Wenn etwas während der Haft resozialisierend ist, ist es die GGBO." Es gehe immerhin um Kollegialität, Autonomie und eine Sozialreform. Außerdem setzten sich die Mitglieder für ihr Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ein.
Tanja Podolski, Gewerkschaft für den Knast: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17573 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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