Die "Superspreaderin" von Garmisch: Mit Symp­tomen in die Bar

Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Lorenz

15.09.2020

Eine 26-Jährige hat vermutlich dutzende Menschen beim Feiern in Garmisch mit dem Corona-Virus infiziert. Sie selbst hatte Symptome, wartete aber ihr Testergebnis nicht ab. Ob und wie sie haften könnte, erklärt Stephan Lorenz.

Am Wochenende ist bekannt geworden, dass in Garmisch eine Frau mit Symptomen einer COVID-19-Erkrankung bei einer Kneipen-Tour unter Missachtung ihrer Quarantänepflicht möglicherweise eine Vielzahl von Menschen mit dem Virus angesteckt hat. Hunderte Menschen ließen sich inzwischen testen, die Sperrstunde für Gaststätten wurde auf 22 Uhr vorgezogen und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 50 Teilnehmer beschränkt.

Die Erkrankung selbst, aber auch die Haftungsfragen könnten für die 26-Jährige noch spürbare Folgen haben: Die Übertragung des SARS-CoV-2-Virus durch eine infizierte Person auf eine andere erfüllt den Tatbestand sowohl einer Körper- als auch einer Gesundheitsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach der Norm ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper oder - unter anderem - die Gesundheit eines anderen widerrechtlich verletzt.

In Anlehnung an die (vor allem strafrechtliche) AIDS-Rechtsprechung gilt das wegen der Gefährlichkeit und der möglichen Spätfolgen einer Infektion auch dann, wenn der neu Infizierte keine Symptome zeigt. 

Mehr als allgemeines Lebensrisiko

Die Tathandlung liegt dabei nicht erst in dem regelmäßig nicht steuerbaren Ausstoßen des Virus z.B. durch einen Niesreflex, sondern bereits in der Exposition anderer durch die Anwesenheit des "Spreaders". Die Übertragung ist in dem hier angesprochenen Fall auch unter jedem Aspekt kausal. Insbesondere verwirklicht sich hier – anders als in Fällen gleichsam zufälliger Ansteckung - nicht lediglich ein allgemeines Lebensrisiko. Damit ist diese Übertragung auch rechtswidrig.

Da die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB jedoch eine Verschuldenshaftung ist, setzt sie Vorsatz oder zumindest Fahrlässigkeit auf Seiten des Spreaders voraus. Solange dieser seine Infektion nicht positiv kennt oder damit bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt rechnen muss, liegt kein Verschulden vor. Im Garmischer Fall musste die 26-Jährige schon aufgrund der nach einem Test angeordneten Quarantäne damit rechnen, mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert zu sein und diesen auf andere übertragen zu können. 

Das gilt selbstverständlich auch ohne angeordnete Quarantäne, wenn der Betroffene aus anderen Gründen (z.B. bei Auftreten von COVID-19-typischen Symptomen) mit einer Infektion rechnen muss. In einem solchen Fall liegt zumindest Fahrlässigkeit vor, wenn die Person sich nicht selbst isoliert. Bei der Feiernden in Bayern kann wohl bereits bedingter Vorsatz angenommen werden: Wer aufgrund eines SARS-CoV-2-Tests und einer Quarantäne-Anordnung den Kontakt zu anderen Menschen sucht, wird eine Übertragung der Infektion zumindest billigend in Kauf nehmen – und das reicht für die Annahme des Vorsatzes.

Eine Haftung des Spreaders lässt sich – auch im Falle bloßer Fahrlässigkeit – auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 Strafgesetzbuch (StGB, fahrlässige Körperverletzung) begründen. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie die darauf gegründeten Maßnahmen haben hingegen keinen Schutzgesetzcharakter i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Sie dienen allein dem Schutz der Allgemeinheit und können keine Anspruchsgrundlage für individuelle Schäden sein.

Da kommt einiges zusammen

Doch zwei Anspruchsgrundlagen haben die Infizierten gegenüber der 26-Jährigen. Und damit könnte sie verpflichtet sein, die Heilungskosten und den entgangenen Gewinn zu ersetzen, etwa, wenn der Angesteckte wegen der Krankheit nicht arbeiten konnte und keinen (vollen) Lohn bekommen hat. 

Zu dem zu ersetzenden Schaden zählen darüber hinaus die Kosten eines SARS-COV-2-Tests. Soweit der Geschädigte versichert ist, geht dieser Ersatzanspruch nach § 86 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), § 116 Sozialgesetzbuch (SGB) X auf den Versicherer über, ähnliches gilt nach § 6 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) für fortgezahlten Arbeitslohn. 

Weiter ist gem. § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu leisten. Bei bleibenden Spätfolgen ist auch eine Geldrente oder eine Kapitalabfindung als Ersatz für die Erwerbsfähigkeit denkbar. Im Übrigen können auch Familienangehörige nach Maßgabe von §§ 844, 845 BGB Im Todesfall und im Krankheitsfall Schadensersatz für den ausgefallenen Unterhalt verlangen. Das wird im Todesfall ergänzt durch das nach § 844 Abs. 3 BGB Angehörigenschmerzensgeld.

Und die Gastwirte?

Neben den Angesteckten beklagen die Gastwirte aus Garmisch bereits Einbußen, weil sie ihre Betriebe bereits um 22 Uhr schließen müssen – eine behördliche Auflage zur Eindämmung der Infektionen. Kann ein solcher Gastwirt von dem Spreader Schadenersatz für den entgangenen Gewinn verlangen?

Da es sich dabei um einen primären Vermögensschaden handelt, kommt eine Haftung im Rahmen des als "sonstigen Rechts" geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht, die relevante Norm ist damit auch für die Gastwirte § 823 BGB. Allerdings muss eine zum Schadensersatz verpflichtende Verletzung dieses Rechts "betriebsbezogen", d.h. unmittelbar auf den Betrieb gerichtet sein. Das würde voraussetzen, dass der Spreader mit seinem Handeln beabsichtigt hatte, den Betrieb zu schädigen. Das dürfte wohl nur in den seltensten Fällen zutreffen.

Feiern als sittenwidrige Schädigung

Größere Chancen für einen Schadenersatzanspruch des betroffenen Gastwirts bestehen im Rahmen einer Haftung der Infizierten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung i.S.v. § 826 BGB. Für den dort vorausgesetzten Vorsatz genügt nämlich auch ein bedingter Vorsatz. Dafür ist ausreichend, dass der Täter die konkrete Schädigung zumindest billigend in Kauf nimmt. 

Angesichts der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der Bekanntheit von Maßnahmen wie Betriebsschließungen kann durchaus davon ausgegangen werden, dass ein solcher bedingter Vorsatz für die Schädigung der vom Spreader besuchten Gaststätte vorliegt, wenn dieser – wie im Garmischer Fall – mit einer Infektion rechnen musste. In Anbetracht der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus ist auch objektiv Sittenwidrigkeit zu bejahen. Für den subjektiven Tatbestand ist es ausreichend, dass dem Täter die Tatsachen bekannt sind, welche die Sittenwidrigkeit begründen. Einbußen also, die Gastwirte aufgrund einer Schließung ihres Betriebes erleiden, könnten sie gegenüber der 26-Jährigen danach geltend machen.

Eine allgemeine Reduzierung der Sperrstunde, die von der Zahl der mit dem SARS-CoV-2-Virus Infizierten in einem bestimmten Gebiet abhängt, dürfte dem Schädiger aber wohl nicht mehr zurechenbar, jedenfalls aber nicht von seinem (bedingten) Vorsatz erfasst sein. 

Der Autor Prof. Dr. Stephan Lorenz ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der LMU München.

Zitiervorschlag

Die "Superspreaderin" von Garmisch: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42805 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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