Seit zwei Wochen liest man von der Börse nicht nur im Wirtschaftsteil, es geht um die David-gegen-Goliath-Geschichte einer Internetgemeinde gegen große Hedgefonds. Kilian Wegner beleuchtet die Situation nach deutschem Recht.
In den vergangenen Tagen ließ sich an den U.S.-Kapitalmärkten Erstaunliches beobachten: Aktien von Unternehmen wie der Einzelhandelskette Gamestop, deren Kurs seit langem unter ferner liefen dümpelte, schossen plötzlich in astronomische Höhen, wodurch milliardenschwere Hedgefonds, die im Rahmen sogenannter Leerverkäufe auf fallende Kurse gesetzt hatten, in finanzielle Bedrängnis gerieten.
Die Ursachen dieser Entwicklung liegen zum Teil noch im Dunkeln. Ihr Ausgangspunkt ist dagegen ermittelt und sorgt für heftige Kontroversen: Es waren Nutzerinnen und Nutzer des Online-Diskussionsforums Reddit, die in einem Gesprächskanal mit der Kennung "r/WallStreetBets" darauf aufmerksam wurden, dass Hedgefonds Kurswetten gegen Unternehmen wie Gamestop, aber z. B. auch Nokia oder Blackberry platziert hatten. Dazu leihen sich die Hedgefonds Finanzinstrumente wie etwa Aktien, die ihnen gar nicht gehören, und verkaufen diese in der Annahme, dass der Kurs fallen werde (sogenannter Leerverkauf oder engl. short sale). Spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt kaufen sie sich die Aktien zu einem geringeren Preis wieder ein, um sie pünktlich dem Verleiher zurückzugeben. Der Differenzbetrag zwischen Verkaufs- und Einkaufspreise mehrt dann das Vermögen der Hedgefonds – jedenfalls wenn der Plan aufgeht.
Auf Reddit, wo die Nutzerinnen und Nutzer unter Pseudonymen kommunizieren, kam angesichts dieser Entwicklung der Plan auf, den Kurs der unter Druck stehenden Aktien durch gezielte Käufe zu steigern. Dadurch – so das Kalkül – sollten die Hedgefonds als Leerverkäufer gezwungen werden, ihre Wette auf sinkende Kurse zwecks Verlustbegrenzung aufzugeben (sogenannter short squeeze).
Wenn dadurch die Kurse steigen, können die Leerverkäufer aber nicht wie geplant Gewinn machen. Im Gegenteil: Sie laufen Gefahr, massive Verluste einzufahren. Um den Schaden zu begrenzen, müssen sie sich möglichst zeitnah mit denjenigen Aktien eindecken, auf deren Verfall sie eigentlich gewettet hatten und die sie zum Fälligkeitszeitpunkt wieder zurückgeben müssen. Dadurch wird der Kurs aber noch weiter in die Höhe getrieben, was die Situation für die Leerverkäufer weiter verschärft und an der Wall Street für Verluste in Milliardenhöhe gesorgt hat.
Zum Vergleich: Lagen die Gamestop-Aktien am 15. Januar noch bei rund 30 Euro pro Stück, waren es am vergangenen Freitag, 29. Januar rund 230 Euro, also mehr als das Siebenfache. Wer Gamestop-Aktien in dieser Zeit gekauft und den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg gefunden hat, konnte kräftig Gewinne einfahren oder sich zumindest des Gefühls erfreuen, den auf Reddit überwiegend schlecht beleumundeten Hedgefonds einen Denkzettel verpasst zu haben.
Wie wäre diese Entwicklung nach deutschem Recht zu beurteilen?
Die Ereignisse der vergangenen Wochen werfen viele Fragen auf, die von den Risiken solcher Geschäfte für die beteiligten Kleinanleger über Details ihrer technischen Abläufe hin zu Fragen nach der volkswirtschaftlichen und moralischen Bewertung des Geschehens an den Kapitalmärkten reichen.
Dieser Beitrag befasst sich allerdings gezielt damit, wie das Geschehen nach dem deutschen Marktmissbrauchsstrafrecht zu bewerten wäre, wenn es sich in dessen räumlichen Anwendungsbereich zugetragen hätte.
Erstens: Die ungedeckten Leerverkäufe
Nimmt man zunächst die ungedeckten Leerverkäufe der Aktien von Unternehmen wie Gamestop in den Blick, gegen die die Nutzerinnen und Nutzer des Unterforums "r/WallStreetBets" mobilisiert haben, so wären diese in Deutschland nach Art. 12 der EU-Leerverkaufsverordnung verboten – es sei denn, der Verkäufer hätte die in der Norm beschriebenen Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass die verkaufte Aktie am Stichtag auch wirklich geliefert werden kann. Ob dies im Einzelfall geschehen ist, lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen.
Ein Verstoß gegen das genannte Verbot ungedeckter Leerverkäufe stellt für sich genommen keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit gem. § 120 Abs. 6 Nr. 3 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) dar, die gem. § 120 Abs. 24 Var. 1 WpHG mit bis zu 500.000 Euro Geldbuße sanktioniert werden kann.
In besonderen Fällen kann ein ungedeckter Leerverkauf aber auch als strafbare Marktmanipulation oder gar als Betrug bewertet werden. Das gilt insbesondere dann, wenn der Leerverkäufer es von Anfang an für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, seine Lieferpflicht nicht erfüllen zu können.
Zweitens: Die Beiträge auf Reddit
Was ist mit den Kleinanlegerinnen und -anlegern, die Aktien von Gamestop & Co (oder entsprechende Optionen) erworben haben, um den Kurs zulasten von Leerverkäufern in die Höhe zu treiben: Liegt hier eine strafbare Marktmanipulation vor?
Blickt man zunächst auf den Tatbestand der sog. informationsgestützten Marktmanipulation (§ 119 Abs. 1 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 Abs. 1 lit. c) EU-Marktmissbrauchsverordnung, kurz: MAR), so ist das zweifelhaft. Wer Geschäfte mit Finanzinstrumenten öffentlich angekündigt, verbreitet damit keine falschen oder irreführenden Informationen, wie es der Tatbestand verlangt.
Anders kann es sein, wenn jemand öffentlich ankündigt, ein Finanzinstrument erwerben und/oder eine bestimmte Zeit halten zu wollen, obwohl in Wirklichkeit kein Kauf oder zumindest ein früherer Verkauf als angekündigt geplant ist und der Kurs durch die Ankündigung lediglich in die Höhe getrieben werden soll. Auch dann ist allerdings fraglich, ob eine solche falsche Ankündigung eine Eignung zur Kapitalmarktmanipulation aufweist. Denn das setzt – vereinfacht gesagt – voraus, dass ein verständiger Durchschnittsanleger die Information bei seiner Investitionsentscheidung berücksichtigen würde. Ob die pseudonyme Ankündigung in einem Reddit-Forenbeitrag eine solche Berücksichtigung erfahren würde, ist wegen der notorischen Unzuverlässigkeit einer solchen Quelle aber zweifelhaft.
Wenn allerdings eine hinreichend große Zahl von Nutzerinnen und Nutzer sich zur Verbreitung solcher falschen Ankündigungen zusammenschließt (oder ein einzelner Nutzer dies durch Anlegung zahlreicher Nutzerkonten suggeriert), so dass auch ein durchschnittlicher Anleger die (ggf. nur vorgetäuschte) schiere Masse der Ankündigungen nicht mehr ignorieren würde, wäre es durchaus denkbar, eine informationsgestützte Marktmanipulation anzunehmen.
Drittens: Der Kauf besagter Aktien
Noch komplizierter ist die Beurteilung der Frage, ob Kleinanlegerinnen und -anleger der Marktmanipulation schuldig sind, die im Fahrwasser des Gamestop-Phänomen Aktien (oder Optionen) erworben haben.
Einschlägig sein könnte der Manipulationstatbestand des Art. 12 Abs. 2 lit. a) MAR, der unter anderem speziell auf Fälle des sogenannten abusive squeeze zugeschnitten ist. Damit werden Situationen bezeichnet, in denen das Angebot auf dem Markt gezielt verknappt wird, um so eine Kontrolle der Preisbildung zu erlauben. Auf den ersten Blick ist der auf "r/WallStreetBets" entwickelte "short squeeze"-Plan hierfür ein Paradebeispiel, da hier Aktien gezielt gekauft werden, um Leerverkäufer zu zwingen, sich bei den von den Käufern verlangten Preisen einzudecken.
Bei näherer Betrachtung ist die Rechtslage aber komplexer: Der Wortlaut von Art. 12 Abs. 2 lit. a) MAR setzt voraus, dass eine oder mehrere "in Absprache" handelnde Personen sich eine marktbeherrschende Stellung sichern. Ab welcher Schwelle von einer marktbeherrschenden Stellung gesprochen werden kann, ist aber ungeklärt. Zweifelhaft ist zudem, ob das rein faktische Zusammenwirken von Menschen, die unter Pseudonymen in einem öffentlichen Forum kommunizieren oder das Forum nur passiv lesen oder lediglich aus der Presse von den Inhalten des Forums erfahren haben oder ganz ohne Kenntnis des Forums auf die steigenden Kurse aufspringen, tatsächlich als tatbestandsmäßige "Absprache zur Sicherung" einer solchen Stellung bezeichnet werden kann. Näher liegt es hier, von einem strafrechtlich unbeachtlichen Parallelverhalten auszugehen.
Ein Aktienkauf wird zudem auch nicht durch das bloße innere Motiv illegal, an einem short squeeze mitzuwirken. Es ließe sich ansonsten kaum abgrenzen, wo das völlig legitime Vereiteln einer Leerverkaufs-Strategie endet und wo ein illegaler short squeeze beginnt, zumal die Schmerzgrenze je nach konkretem Leerverkaufsgeschäft und Liquidität des Leerverkäufers individuell völlig unterschiedlich verlaufen dürfte. Dass das bloße Wissens um die Existenz erheblicher Leerverkaufspositionen auf dem Markt den Kauf von Aktien illegal machen soll, kann nicht richtig sein.
In Frage käme noch die sogenannte handelsgestützte Marktmanipulation nach Art. 12 Abs. 1 lit. a) MAR. Gemäß dieser äußert vage formulierten Norm stellen der Abschluss eines Geschäfts, die Erteilung eines Handelsauftrags sowie vergleichbare Handlungen eine Marktmanipulation dar, wenn damit die Aussendung von falschen oder irreführenden Signalen hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises des Tatobjekts einhergeht oder dadurch ein anormales oder künstliches Kursniveau erzeugt werden kann. Kernproblem dieses Tatbestandes ist, dass der Abschluss von Geschäften oder auch das Entwickeln und Ausführen komplexer Handelsstrategien ein grundsätzlich erlaubtes Verhalten ist. Dem einzelnen Geschäft als solchem kann man nicht ansehen, ob eine legale Marktaktivität oder eine illegale Marktmanipulation vorliegt.
Die Abgrenzung zwischen legitimem Marktverhalten und Marktmanipulation kann hier nur unter Rückbesinnung auf den Sinn des Verbots der Marktmanipulation gelingen: Das Verbot soll verhindern, dass die Informationsgrundlage für die Marktteilnehmer von Marktaktivitäten verzerrt wird, die sich nicht aus dem Markt heraus erklären lassen und deren wahre Ziele und Motive für die anderen Marktteilnehmer verborgen bleiben. Ob dies der Fall ist, ist durch eine Gesamtbetrachtung der fraglichen Handelsaktivität und ihres Kontexts festzustellen.
Bei den Aktienkäufen im Fahrwasser der Gamestop-Welle ist daher entscheidend, ob es den Käufern tatsächlich um den wirtschaftlichen Effekt des Geschäfts geht, er oder sie also mit dem Geschäft selbst Gewinne erzielen oder Verluste vermeiden möchte, oder ob nicht stattdessen die mit dem Geschäft verbundene Einwirkung auf den Preis im Vordergrund steht, um derentwillen die wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts lediglich hingenommen werden.
Bei den meisten Menschen, die in den vergangenen Tagen Aktien von Unternehmen wie Gamestop erworben haben, dürfte insofern eine gemischte Motivlage vorliegen: Einerseits besteht der Wille, die Leerverkäufer zu schädigen, andererseits dürften die meisten aber auch gehofft haben, selbst von den steigenden Kursen zu profitieren. Dann hat der Aktienerwerb auch keinen täuschenden Charakter. Lediglich wenn – was praktisch kaum nachweisbar sein wird – dem Erwerber die wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts völlig gleichgültig sind, kann eine handelsgestützte Marktmanipulation angenommen werden.
Viertens: Der Handelsstopp durch Trading-Apps
Als die Kurse für die Aktien von Gamestop & Co in die Höhe schossen und die Leerverkäufer ihre Positionen z. T. unter Inkaufnahme von Milliardenverlusten schließen mussten, haben zahlreiche Broker wie etwa das U.S.-Unternehmen RobinHood und das deutsche FinTech TradeRepublic für einige Zeit den Handel mit diesen Aktien eingeschränkt: Möglich war nur noch ein Verkauf, nicht aber mehr ein Kauf der Wertpapiere.
Als offizielle Begründung für diesen Schritt geben die Unternehmen an, die Kauf-Orders zum Schutz der Stabilität des Handels oder zum Schutz der Kunden vor unvorsichtigen Käufen getätigt zu haben. Kritiker werfen den Brokern hingegen vor, im Interesse der angegriffenen Leerverkäufer – mehrheitlich schwergewichtige Hedgefonds –gehandelt und daher mit der Teilsperre Marktmanipulation begangen zu haben.
Tatsächlich dürften die Gründe für das Verhalten der Broker kompliziertere Gründe haben, die der weiteren Aufklärung bedürfen. Sollte sich allerdings herausstellen, dass die Broker wirklich wider die Interessen ihrer Kundinnen und Kunden gezielt Kurse beeinflussen wollten, so wäre dies als (zumindest versuchte) handlungsgestützte Marktmanipulation einzustufen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob das Geschäftsmodell von FinTechs wie TradeRepublic generell mit dem Marktmissbrauchsrecht vereinbar ist. Gegen RobinHood wurde in den USA bereits der Vorwurf erhoben, die Orderdaten von Kunden vorab an Dritte zu verkaufen, um diesen einen Handelsvorteil im Wege des sogenannten Front Running zu ermöglichen. Es steht zu hoffen (auf Grund aktueller Anlässe aber leider auch zu bezweifeln), dass die BaFin solche Geschäftspraktiken, die strafbaren Insiderhandel darstellen, hierzulande effektiv unterbinden würde.
Der Autor Dr. Kilian Wegner ist Rechtsanwalt sowie Wissenschaftlicher Assistent an der Bucerius Law School in Hamburg und forscht schwerpunktmäßig zum Strafrecht, Strafprozessrecht sowie dem Wirtschaftsstrafrecht mit seinen europäischen und internationalen Bezügen.
Gamestop-Spekulation an der Börse: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44149 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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