Projekte wie der Freiheitsfonds verfolgen auf aktivistische Weise politische Ziele. Dabei finanzieren sie sich über Spenden. Ihre Rechtsform ist dabei nicht auf den ersten Blick klar – und doch so relevant. Felix Flaig zum Vereinsrecht.
Die "größte Gefangenenbefreiung in der bundesdeutschen Geschichte": So wirbt der Freiheitsfonds für seinen "Freedom Day", der am 05. Oktober stattfinden soll. Zum Anlass dieses Tages sollen in großem Umfang private Gelder für die Arbeit des Fonds gesammelt werden. Das Projekt, welches vom Berliner Aktivisten und Journalisten Arne Semsrott im Dezember 2021 ins Leben gerufen wurde, bezahlt Geldstrafen für Menschen, die wegen sogenannten Schwarzfahrens eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sodass diese aus dem Gefängnis freikommen können. Damit soll einerseits das Modell der Ersatzfreiheitsstrafe kritisiert, andererseits für eine Aufhebung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein nach § 265a Strafgesetzbuch geworben werden.
Dafür setzt sich auch der sogenannte 9-Euro-Fonds ein, welcher seit mehr als einem Monat aktiv ist und das erhöhte Beförderungsentgelt für Schwarzfahrer im Nahverkehr bezahlen will. Dieses wird unabhängig von den strafrechtlichen Konsequenzen fällig.
Beide Projekte verfolgen ihre politischen Ziele im Wege einer Mischung aus Aktivismus und Crowdfunding und testen dabei rechtliche Grenzen aus. Zwar ist weder das Bezahlen des erhöhten Beförderungsentgelts noch der Geldstrafen illegal. Auch weist der 9-Euro-Fonds auf seiner Homepage explizit darauf hin, dass er nicht zum Schwarzfahren aufruft. Dennoch sind die "Aktivisten", die aus den Geldtöpfen unterstützt werden, rechtlich gesehen Straftäter. Zudem werden durch die Arbeit der Fonds zivil- und strafrechtliche Sanktionsmechanismen bewusst unterlaufen.
Private Konten und Transparenzfragen
Der Begriff "Fonds" beschreibt einen Geldmittelbestand, der für einen bestimmten Zweck vorgesehen ist. Eine rechtliche Organisationsform verbirgt sich dahinter nicht. Sowohl hinter dem Freiheitsfonds als auch dem 9-Euro-Fonds stehen letztlich Privatkonten. Alle Einnahmen und Ausgaben des Freiheitsfonds laufen über ein privates Konto von Organisator Arne Semsrott. Der 9-Euro-Fonds wickelt seine Transaktionen über ein Gruppenkonto der Plattform elinor Treuhand e.V. ab. Bei diesem Modell werden alle Nutzer der Plattform Mitglieder des e.V., sodass der Fonds jedenfalls indirekt als Verein organisiert ist.
Aus juristischer Perspektive spielt die Organisationsform auf den ersten Blick keine große Rolle, weil die Fonds nicht mit Haftungsrisiken verbunden sind, ein Anspruch auf Auszahlung besteht nämlich in keinem Fall. Vielmehr können Personen, die Gelder in Anspruch nehmen wollen, Anträge stellen, denen im Einzelfall entsprochen wird. Genau an dieser Stelle liegt allerdings auch ein Problem: Intransparenz. Denn die Organisatoren der Fonds sind in der Regel niemandem rechenschaftspflichtig - weder in Bezug auf den Umfang der Einnahmen noch hinsichtlich der Entscheidungsprozesse, die hinter den Auszahlungen stehen.
Johannes Fein empfiehlt daher einen solchen Fonds in der Rechtsform eines Vereins oder einer Stiftung auszugestalten. "Das sind dann steuerpflichtige Organisationen, sodass zumindest das Finanzamt draufschaut und sieht, wie viel Mittel reingehen und wie viel ausgegeben werden." Der Frankfurter Rechtsanwalt ist Experte im Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht und berät unter anderem Non-Profit-Organisationen zu rechtlichen Fragen. Wenn die Finanzen wie beim Freiheitsfonds über das Konto einer Privatperson laufen, besteht gegenüber dem Finanzamt keine Erklärungspflicht, solange keine Einzelperson dem Fonds innerhalb von zehn Jahren mehr als 20.000 Euro zuwendet. "Bei der Struktur als Verein hätte man den Vorteil, dass dieser eine Mitgliederversammlung hätte, die den Vorstand kontrolliert und der unter anderem eine Jahresabrechnung vorgelegt werden muss", ergänzt Fein.
Ob eine solche Kontrolle via Mitgliederversammlung beim elinor e.V., über den der 9-Euro-Fonds verwaltet wird, stattfindet, ist unklar. Die elinor GmbH als Betreiberin der Plattform möchte dazu keine Aussage machen. Der Freiheitsfonds veröffentlicht seine Zahlen zwar auf seiner Homepage, eine unabhängige Kontrollinstanz wie das Finanzamt gibt es allerdings nicht. Damit basieren beide Projekte im Wesentlichen auf dem Vertrauen der Spendenden in die dahinterstehenden Organisatoren.
Die Sache mit der Gemeinnützigkeit
Auf die Bereitschaft, Geld an den Fonds zu senden, wirkt sich dieser Umstand aber offenbar nicht aus. Laut Freiheitsfonds-Website konnten durch das Projekt bisher Geldstrafen in Höhe von etwa einer halben Millionen Euro bezahlt und 514 Menschen freigekauft werden. Mittlerweile wenden sich sogar Gefängnisse aktiv mit der Bitte an den Fonds, Gefangene auszulösen. Langfristig soll die Organisationsstruktur hinter dem Freiheitsfonds aber geändert werden. "Die Beabsichtigung ist schon, es in die Struktur eines Vereins zu bringen", sagt Hannah Vos. Sie ist eine Arbeitskollegin von Semsrott und möchte ihm dabei helfen, die Last seines Ein-Mann-Projekts zukünftig auf mehrere Schultern zu verteilen. In diesem Zuge soll auch geprüft werden, ob der Freiheitsfonds als gemeinnützig anerkannt werden kann.
Dieser steuerliche Status ist Vereinen vorbehalten. Sie erhalten damit unter anderem das Privileg, Spendenquittungen ausstellen zu dürfen, mit welchen Spendende dann ihre Zuwendungen an den Verein von der Steuer absetzen können.
Dass das funktioniert, erscheint aber unwahrscheinlich. Dafür müsste der Freiheitsfonds einen in § 52 Abs. 2 Abgabenordnung aufgelisteten Zweck verfolgen. Zwar käme in der Theorie sogar die Fürsorge für Strafgefangene als Zweck in Betracht. Allerdings wird das dahinterstehende politische Ziel, die Abschaffung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein, vermutlich zum Problem werden.
Denn der politischen Betätigung von Vereinen sind im Gemeinnützigkeitsrecht enge Grenzen gesetzt. Das hatte Attac im Jahr 2019 schmerzlich zu spüren bekommen, als der Trägerverein vor dem Bundesfinanzhof seinen Gemeinnützigkeitsstatus verlor. Zwar gehöre die politische Bildung auch zum Katalog gemeinnütziger Zwecke, allerdings nur, wenn politische Fragen in geistiger Offenheit diskutiert würden, so das Gericht. Das sei bei Attac nicht der Fall.
Ein organisationsrechtliches Kuriosum
"Anders gesagt: Vereine sollen sich nicht zu stark politisch positionieren und auch keinen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen, weil das nach Auffassung des Gerichts den politischen Parteien vorbehalten ist", erklärt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. "Was in gewisser Weise absurd ist, weil eine lebendige Demokratie aus mehr besteht als politischen Parteien, nämlich auch aus engagierten zivilgesellschaftlichen Akteuren, die Bewusstsein schaffen für Probleme und Debatten anstoßen."
Nach Ansicht der Juristin sollte das Gemeinnützigkeitsrecht daher reformiert und großzügiger ausgestaltet werden. Selbst dann bleibt aus der Lincolns Sicht für die Fonds aber ein Problem bestehen: "Hinzu kommt, dass mit den Fonds nur in einzelnen Fällen unterstützt wird, man im Gemeinnützigkeitsrecht aber immer das Prinzip der der Förderung der Allgemeinheit hat und keine Einzelfallhilfe. Man könnte aber argumentieren, dass die Fonds darauf abzielten, auf ein strukturelles Problem aufmerksam zu machen und eine Verbesserung zu erreichen, die der Allgemeinheit zugutekommt." Eine solche Argumentation müsste aber vom zuständigen Finanzamt erst einmal akzeptiert werden.
Mit ihrer Arbeit bleiben Projekte wie der Freiheitsfonds oder der 9-Euro-Fonds damit ein organisationsrechtliches Kuriosum. Sie sind nicht politisch genug, um eine Partei zu sein, aber gleichzeitig zu politisch, um ein gemeinnütziger Verein zu werden. Ein besonderer Anreiz für die Organisatoren, die Vereinsstruktur anzunehmen und sich damit der Kontrolle des Finanzamts zu unterwerfen, besteht damit nicht. Solange sie auf das Vertrauen ihrer Spender bauen können, stellt das aber auch kein Problem dar.
Aktivismus per Crowdfunding: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49798 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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