Sicherheitsrechtler zum Gesetzentwurf über Auslesen von Handys bei Asylsuchenden: "Kann nicht schaden, die Daten zu haben"

Interview von Tanja Podolski

22.02.2017

2/2: "Wir reden hier nicht von unmittelbarer Terrorabwehr"

LTO: Es stünde den Flüchtlingen doch frei, an der Feststellung ihrer Identität auf andere Weise mitzuwirken.

Gazeas: Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass das Grundgesetz dem Staat in seinem Handeln Grenzen setzt. Unsere Verfassung gewährt jedem Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringt. Danach darf grundsätzlich jeder selbst bestimmen, welche Daten er von sich preisgibt. Dieses Recht ist ein Jedermann-Grundrecht, es gilt für Deutsche ebenso wie für Ausländer. Abgeleitet wird es aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Menschenwürde. Das sind elementare Menschenrechte.

LTO: Nun müssen wir nicht darüber diskutieren, dass auch in Grundrechte eingegriffen werden darf, wenn es dafür eine Rechtfertigung gibt.

Gazeas: Völlig richtig. Die Neuregelung wäre ein solches Gesetz, das einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht erlaubt. Aber Gesetze, die in Grundrechte eingreifen, müssen neben anderen Voraussetzungen vor allem verhältnismäßig sein. Das ist die Neuregelung in der geplanten Form nicht. Sie greift zu früh, geht zu weit und erlaubt zu viel.

Stellenwert der falschen Identität

LTO: Sie gehen von einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus, der nicht gerechtfertigt ist, weil die Maßnahme unverhältnismäßig ist?

Gazea: Genau. Zwar verfolgt die Maßnahme den völlig legitimen Zweck, sicherzustellen, dass Asylsuchende ihre richtige Identität und Staatsangehörigkeit angeben. Doch es geht hier nicht in erster Linie um den Kampf gegen den Terror, sondern gegen Mehrfachregistrierungen und Sozialhilfebetrug und darum, Tatsachen für die Prüfung des Asylantrags zu sammeln.

Den Stellenwert einer falschen Identitätsangabe kann man auf der anderen Seite an § 111 OWiG erkennen, eine Ordnungswidrigkeit im niedrigschwelligen Bereich, also nicht einmal eine leichte Straftat. Und wir wissen alle, dass ein Handy nicht nur ein Telefon ist. Man hat Fotos, Videos und jede Menge, vielleicht intime Kommunikationsdaten darauf gespeichert. Für Computer gilt dies ebenso.

"Flüchtlinge schlechter gestellt als ein Beschuldigter im Strafverfahren"

LTO: Ein Richtervorbehalt ist für die Entscheidung über die Auswertung der Datenträger derzeit offenbar nicht geplant. Die Auswertung sollen aber nur Bedienstete vornehmen dürfen, die die Befähigung zum Richteramt haben. Wie bewerten Sie diese Regelung, die wiederum aus dem Aufenthaltsgesetz übernommen werden soll?

Gazeas: Meines Wissens soll die Entscheidung, ob Datenträger ausgewertet werden sollen, von jedem zuständigen Mitarbeiter des BAMF angeordnet werden können. Nur die Auswertung ist einem Volljuristen vorbehalten. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen.

Verfassungsrechtlich ist ein Richtervorbehalt für diese Maßnahme nicht zwingend. Sollten die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßnahme angehoben und der Umfang der auswertbaren Daten beschränkt werden, so wie von mir angeregt, wäre ein Richtervorbehalt in meinen Augen auch nicht unbedingt notwendig, um das Schutzniveau hoch zu halten.

Bleibt man hingegen bei der geplanten Regelung, muss man sich vor Augen führen, dass ein Asylsuchender, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, im Hinblick auf den Richtervorbehalt schlechter gestellt wird als ein Beschuldigter im Strafverfahren, dessen Handy beschlagnahmt wird. – Letzteres muss grundsätzlich immer ein Richter anordnen - und hier besteht immerhin ein Anfangsverdacht einer Straftat.

LTO: Glauben Sie, dass noch nachjustiert wird.

Gazeas: Nachdem das Kabinett den Entwurf beschlossen hat, glaube ich das nicht mehr. Den Oppositionsparteien fehlt die Mehrheit, um Änderungen durchzusetzen. Ich rechne eher damit, dass das Bundesverfassungsgericht hier hoffentlich nachjustieren wird. Auch wenn es aufwändig ist, eine enge Norm zu verfassen, ist das für den Erhalt unserer rechtsstaatlichen Grundsätze jedoch notwendig. Wenn wir denen nicht mehr nachkommen, können wir gleich einpacken.

LTO: Herr Dr. Gazeas, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt in Köln und Lehrbeauftragter der Universität zu Köln. Er ist als Rechtsanwalt und Strafverteidiger im deutschen und internationalen Strafrecht tätig. In Forschung und Lehre befasst er sich insbesondere mit dem Terrorismusstrafrecht, dem Nachrichtendienstrecht und dem Recht der inneren Sicherheit. Er ist zudem Mitglied im Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht des DAV.

Das Interview führte Tanja Podolski.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Sicherheitsrechtler zum Gesetzentwurf über Auslesen von Handys bei Asylsuchenden: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22173 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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