Ein Streit in der Hamburger FDP eskaliert: Der Landesvorstand greift zu drastischen Mitteln und will vier kritische Julis aus der Partei werfen. Doch die bekommen jetzt anwaltliche Unterstützung von einer FDP-Bürgerrechts-Ikone.
In Hamburgs FDP liegen die Nerven blank: Die u.a. von den zwei Bundestagsabgeordneten Michael Kruse und Ria Schröder geführte Landespartei geht massiv gegen parteiinterne Kritiker:innen vor.
Gegen vier Jungliberale (JuLi) wurde am Donnerstag ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet und ihnen zudem auf Grundlage von § 10 Abs. 5 S.4 Parteiengesetz die Ausübung ihrer Mitgliedsrechte untersagt. Seither brennt in der Hansestadt im doppelt übertragenen Sinne der "Baum": Denn im Verfahren gegen die eigene Partei werden die Vier nun von keinem geringeren als dem Bundesinnenminister a.D. und langjähriger FDP-Bürgerrechts-Ikone Gerhart Baum anwaltlich vertreten.
Bei den vier jungen FDP-Mitgliedern handelt es sich um JuLi-Landeschefin Theresa Bardenhewer, ihren Amtsvorgänger und Mitglied im FDP-Landesvorstand, Carl Cevin-Key Coste sowie die stellvertretenden JuLi-Landesvorsitzenden Nils Knoben und Gloria Teichmann.
Ihnen wird offenbar vorgeworfen, im Rahmen ihrer öffentlichen geübten Kritik am Kurs der Landespartei bei den Themen Energie-Embargo im Kontext Ukraine-Krieg und Hamburger Corona-Hotspotregel über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Die Jungliberalen hatten u.a. gegenüber LTO die Ankündigung des FDP-Landesvorsitzenden Kruse, gegen die von der Bürgerschaft bis zum 30.April geltenden schärferen Corona-Maßnahmen gerichtlich vorzugehen, scharf kritisiert. JuLi-Coste hatte Kruses Ankündigung als PR-Aktion bezeichnet, die einer Rechtsstaatspartei nicht würdig sei.
"Gleichschaltung" und "politische Säuberung"
Wobei: Was genau den vier FDP-Mitgliedern nun vorgeworfen wird, wissen diese selbst nicht so genau. Wie auch, bis heute liegt ihnen noch keine schriftliche Begründung der gegen sie verhängten Maßnahmen vor. Auf Nachfrage von LTO erklärt hierzu ein Sprecher der Landespartei:
"Die Gründe für Ordnungsmaßnahmen sind das Verbreiten von schwerwiegenden Vorwürfen ('Gleichschaltung', 'politische Säuberung') und das wiederholte Brechen von Regeln, die sich der FDP-Landesvorstand auferlegt hat." Auseinandersetzungen um programmatische Positionen gebe es in diesem Zusammenhang angeblich keine, so der Sprecher.
Fragt man bei der JuLi-Landesvorsitzenden Bardenhewer und ihrem Amtsvorgänger Coste nach, was an den Vorwürfen dran sei, so räumen diese zwar ein, dass u.a. in einer unabgestimmten Presseerklärung diese Worte in Richtung Landesvorstand gefallen seien, man sich aber unverzüglich hiervon wieder distanziert habe: "Wir haben den Landesvorstand der FDP Hamburg wenig später um Entschuldigung gebeten. Es geht scheinbar nicht darum, das Parteiausschlussverfahren zu gewinnen, sondern uns unter Druck zu setzen. Die Begründung des Antrages auf Parteiausschluss liegt mir nicht vor, insofern kann ich hierzu nur spekulieren", sagt Bardenhewer. Sie bekomme viel Zuspruch von allen Seiten, das motiviere sie, "in diesem Verfahren nicht aufzugeben."
Gerhart Baum: "Ausschlussverfahren schadet der FDP"
Nicht nur Zuspruch, sondern handfeste anwaltliche Unterstützung bekommen die Jungliberalen in der Streitigkeit, über das demnächst das Schiedsgericht der Partei in Hamburg entscheiden muss, nunmehr vom renommierten FDP-Anwalt und Ex-Politiker Gerhart Baum.
Baum zeigte sich entsetzt über den Kurs der Hamburger FDP-Spitze: "Meinungsverschiedenheiten und Ausübungen der Meinungsfreiheit innerhalb einer Partei sind keine Ausschlussgründe, wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt hat", so Baum. Es schade zudem der FDP, wenn sie sich diesen Auseinandersetzungen nicht stelle und stattdessen mit dem Schwert eines Ausschlussverfahrens reagiere.
Ganz "abwegig" findet es der ehemalige Bundesinnenminister, diesen Mitgliedern mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte zu nehmen. Die FDP sei die Partei der Freiheit, dazu, so Baum, gehöre innerparteiliche Meinungsfreiheit. Und Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Partei könnten eben auch öffentlich ausgetragen werden. "Die Materie, um die es hier geht, Energieembargo gegenüber Russland und Reaktion auf die Bedrohung durch die Pandemie, sind in der ganzen Gesellschaft zur Zeit Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen."
Anfechtung "sämtlicher Beschlüsse des Bundesparteitages"?
Baum hat daher am Samstag für seine Mandantschaft beim Landesschiedsgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht. Der Antrag, der LTO vorliegt, richtet sich gegen den Beschluss der Partei, den vier Mitgliedern mit unmittelbarer Wirkung die Mitgliedsrechte abzuerkennen. Eine Sanktion, die dem Antrag auf Einleitung auf Parteiausschluss noch mal "einen draufsetzt" und in der Praxis äußerst selten beantragt wird, da sie nur "in dringenden und schwerwiegenden Fällen" berechtigt ist. Für den Jungliberalen Coste würde eine wirksame Aberkennung seiner Mitgliederrechte ernsthafte Konsequenzen haben: Auf dem vom 22.-24.April stattfindenden Bundesparteitag der FDP könnte er nicht als Delegierter teilnehmen. In seinem Schriftsatz warnt Baum daher: "Sollten die Antragsteller auf dem Bundesparteitag ausgeschlossen sein, behalten wir uns vor sämtliche Beschlüsse des Bundesparteitags anzufechten".
Möglicherweise könnte es jedoch vor dem Schiedsgericht erst gar nicht zu einer Überprüfung kommen, ob sich die Vier derart massiv parteischädigend verhalten haben. Denn in seiner Antragsschrift rügt Anwalt Baum auch eine Reihe von Verfahrensfehlern, die der Landesvorstand nicht eingehalten habe: "Der Landesvorstand hat mit dem gesamten Beschluss das notwendige Verfahren nicht eingehalten." Baum attestiert dem Vorstand u.a. die Einladungsfrist nicht eingehalten, den Antrag nicht begründet und den Betroffenen nicht ausreichend rechtliches Gehör verschafft zu haben." Den Antragstellern hatten lediglich knapp 10 Stunden, um eine schriftliche Stellungnahme zu einem Antrag auf Parteiausschluss ohne Angabe von Gründen zu verfassen", heißt es in der Antragsschrift, die neben Baum auch sein Anwaltskollege Prof. Julius Reiter unterzeichnet hat.
Schlingerkurs des Landesverbandes
Vor diesem Hintergrund erscheint es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass sich das Vorgehen des Landesverbandes letztlich als juristischer Schnellschuss erweist. Passen würde eine juristische Niederlage jedenfalls zu einem Schlingerkurs der Parteispitze, wie er bereits im Kontext Corona-Hotspotregel zu Tage getreten ist. Hier hatte FDP-Landesvorsitzender Kruse zunächst eine Klage gegen die bis zum 30. April in Hamburg geltenden Maßnahmen angekündigt, wenige Tage später kritisierte er dann aber die AfD, die genau dieses in die Tat umgesetzt hatte, dabei jedoch mit ihrem Eilantrag gegen die Hotspotregel vor dem VG Hamburg Schiffbruch erlitten hatte.
Kruse kommentierte die Entscheidung des VG Hamburg in einer Erklärung kurioserweise wie folgt: "Dass eine anderweitige Klage gegen die Hotspot-Regelung im Eilverfahren abgelehnt wurde, zeigt, einmal mehr, dass es sich bei den Antragstellern nicht um Freunde der Freiheit handelt, sondern genau um das Gegenteil. Die Kläger haben den Bürgern, die in der Corona-Politik zu Recht Augenmaß einfordern, einen Bärendienst erwiesen."
Apropos Bärendienst: Diesen könnte der FDP-Landesvorstand am Ende der eigenen Partei mit seinem Vorgehen gegen vier kritische Parteimitglieder erweisen. Insbesondere dann, wenn das Landesschiedsgericht zugunsten der Jungliberalen entscheidet.
Landesvorsitzender erklärt sich für "befangen"
Vermutlich wegen der diversen anstehenden Landtagswahlen will sich die Bundesebene zu den Querelen von Hamburg aktuell nicht äußern - sowohl der Bundesverband der JuLis ("Wir befassen uns mit der Thematik, stehen aber für eine öffentliche Stellungnahme nicht zur Verfügung") als auch die Bundespartei ("verbandsinterne Angelegenheit des Landesverbandes Hamburg") wollen das Hamburger Chaos gegenüber LTO nicht kommentieren.
Welche Konsequenzen eine juristische Niederlage für die Hamburger-Parteispitze hätte, ist offen: Landesvorsitzender und MdB Kruse bemüht sich offenbar bereits frühzeitig, aus dem Verfahren mit weißer Weste herauszukommen. Über seinen Sprecher lässt er klarstellen, dass er sich aufgrund einer von ihm erklärten Befangenheit nicht an den Beratungen und den Abstimmungen zum Parteiordnungsverfahren der vier Jungliberalen beteiligt habe.
Parteiausschluss und sofortiges Ruhen der Mitgliedschaft: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48174 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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