Die Große Koalition will ein lange diskutiertes kriminalpolitisches Projekt umsetzen: Künftig soll auf Straftaten wie Diebstahl oder Betrug nicht zwingend eine Geld- oder Freiheitsstrafe folgen, sondern auch ein Fahrverbot in Betracht kommen. Michael Kubiciel begrüßt die Suche nach Alternativen zu klassischen Strafarten, verweist jedoch auf bessere Lösungen aus dem Ausland.
Die in Gründung befindliche Große Koalition plant nach Angaben des CDU-Rechtsexperten Günter Krings, den "Instrumentenkasten der strafrechtlichen Sanktionen" zu erweitern. Die Vertreter der deutschen Wirtschaft werden gespannt sein, ob die vom NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) propagierte Unternehmensstrafe in diesem Werkzeugkasten enthalten sein wird.
Natürliche Personen, also: wir Bürger, dürfen hingegen schon jetzt ziemlich sicher sein, dass das Spektrum möglicher Strafarten für uns wachsen wird. Denn die Arbeitsgruppe Inneres und Justiz beabsichtigt, Fahrverbote als Alternative zu Geld- und Freiheitsstrafen einzuführen.
Neu ist dieses Vorhaben nicht: Bereits 1992 und 2002 beschäftigte dieses Projekt den Deutschen Juristentag, rechtspolitische Initiativen scheiterten bisher jedoch – zuletzt ein Gesetzesantrag des Bundesrates aus dem Jahr 2008.
Bislang: Fahrverbot als verkehrsspezifische Strafe und Maßregel
Wer bereits einmal mit einem Fahrverbot beglückt worden ist, wird sich verwundert fragen, was an diesem Vorhaben neu oder sogar innovativ sein soll. Tatsächlich enthält das deutsche Strafrecht ein ausgeklügeltes System verkehrsspezifischer Sanktionen. So erlaubt § 69 Strafgesetzbuch (StGB) dem Strafrichter einem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Straftäter ungeeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen.
Zu der verkehrsspezifischen Anlasstat muss also eine negative Prognose treten über die Eignung des Täters, am Verkehr teilzunehmen. Der Entzug der Fahrerlaubnis ist damit eine Maßregel der Besserung, die nicht auf die begangene Tat, sondern in die Zukunft blickt und die Gesellschaft vor einem ungeeigneten Kraftfahrer schützen soll.
§ 44 StGB ermöglicht demgegenüber ein Fahrverbot auch ohne negative Prognose. Voraussetzung ist lediglich eine Straftat, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Pkw begangen worden ist. Die Vorschrift folgt mit einiger Zwangsläufigkeit daraus, dass Verwaltungsbehörden neben einem Bußgeld ebenfalls ein bis zu dreimonatiges Fahrverbot für eine im Straßenverkehr begangene Ordnungswidrigkeit verhängen dürfen: Wenn eine bloße Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot nach sich ziehen kann, muss dies erst recht bei einer Verkehrsstraftat möglich sein.
Spezialprävention für "pflichtvergessene Kraftfahrer"
Damit ist freilich noch nicht gesagt, weshalb überhaupt ein Fahrverbot neben einem Bußgeld, einer Freiheits- oder Geldstrafe verhängt werden darf. Der Gesetzgeber hat diese Frage nicht beantwortet, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass das Fahrverbot eine Strafe ist, die auf eine verkehrsbezogene Straftat antwortet.
Deutlicher ist das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1969 geworden, auch wenn es dabei dem Gesetzgeber einigermaßen offen widerspricht. Das Fahrverbot reagiere nicht primär auf begangenes Unrecht, sondern bezwecke eine spezialpräventive Einwirkung auf "pflichtvergessene Kraftfahrer", die zur Beachtung der Verkehrsregeln angehalten werden sollen.
An diese spezialpräventive Begründung knüpfen Union und SPD nun an, geben aber zugleich den Verkehrsbezug des Fahrverbots auf. Künftig soll nämlich in Fällen allgemeiner Kriminalität ein Fahrverbot anstelle einer Geld- oder Freiheitsstrafe eingesetzt werden, um so "flexibel" auf einzelne Täter "einzugehen" und diese vom Weg in die Kriminalität abzuhalten. Dieses Ziel gilt wohlgemerkt nicht nur für Heranwachsende, sondern auch für Erwachsene, die ein Fahrverbot wohl noch nachhaltiger abschreckt als eine Geldstrafe.
Aus einer Straftat können schnell zwei werden
Allerdings sind nach einer Statistik des Kraftfahrzeugbundesamtes nur 66 Prozent der volljährigen Bevölkerung im Besitz einer Fahrerlaubnis. Ein Fahrverbot kommt also für mehr als ein Drittel der Bürger schon von vornherein nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass ein Fahrverbot, soll es Geld- oder gar Freiheitsstrafe ersetzen, gewiss länger gelten muss als die gegenwärtige Durchschnittsdauer von zwei Monaten.
Dann stellt sich jedoch die (auch verfassungsrechtliche) Frage der Gleichheit und Verhältnismäßigkeit mit voller Schärfe: Einen jungen Erwachsenen in einer ländlichen Region trifft ein Fahrverbot härter als seinen Altersgenossen in einer Stadt. Für Berufspendler kommt ein mehrmonatiges Fahrverbot einem Berufsverbot gleich und ist damit schlechterdings unverhältnismäßig.
Hinzu tritt eine von dem Erlanger Kriminologen Franz Streng treffend als "Sanktionseskalation" bezeichnete Gefahr: Gerade bei einem langen Fahrverbot kann irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem jemand dem – unter Umständen berechtigten – Drang nachgibt, sein Auto zu nutzen. Für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis droht jedoch § 21 Straßenverkehrsgesetz (StVG) eine weitere Strafe an: Aus einer Straftat werden also gleich zwei.
Wichtiger ist eine andere Überlegung: Untersuchungen zeigen, dass die Bevölkerung ein Fahrverbot lediglich für eine schuldangemessene Antwort auf eine verkehrsbezogene Straftat hält, nicht jedoch auf einen Fall allgemeiner Kriminalität wie eine Körperverletzung oder einen Diebstahl. Straftäter werden ein Fahrverbot also vielleicht gar nicht als Erinnerung an Pflichten begreifen, die keinerlei Bezug zum Straßenverkehr aufweisen.
Ehrenstrafen und gemeinnützige Arbeit
Bei aller Kritik an dem konkreten Vorhaben – die grundsätzliche Linie der Arbeitsgruppe Inneres und Justiz weist in die richtige Richtung. Strafen reagieren auf einen Sozialschaden und dürfen daher die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Daher ist ein Nachdenken über ein zeitgemäßes Strafartensystem überfällig.
Viele andere Länder sind Deutschland in diesem Punkt voraus. So wird in Großbritannien über (eine Verschärfung von) Internetverboten als Strafe nachgedacht. Vor allem aber hat in den USA die beklagenswerte Tendenz zu einer "Overcriminalization" (D. Husak) einen positiven Nebeneffekt: Dort werden seit geraumer Zeit neue Strafformen erprobt, und zwar nicht nur die berühmt-berüchtigten shame sanctions, sondern auch gemeinnützige Arbeit.
Letztere wäre (neben oder anstelle des Fahrverbots) auch in Deutschland eine sinnvolle Alternative zur Geld- und Freiheitsstrafe und nicht nur zur Ersatzfreiheitsstrafe. Denn während Fahrverbot, Geld- und Freiheitsstrafe etwas Nur-Negatives sind, weil sie dem Delinquenten lediglich ein Übel auferlegen, bringt die gemeinnützige Arbeit auch etwas Positives hervor – für die Gesellschaft und, so ist zu hoffen, auch für den Täter.
Der Autor Professor Dr. Michael Kubiciel ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung an der Universität zu Köln.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Fahrverbot für Diebe und Gewalttäter: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10135 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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