Drei Anläufe gab es bereits, nun versucht es auch Verteidigungsminister Pistorius: Die Bundeswehr soll schneller gegen Extremisten in den eigenen Reihen vorgehen können. Ob und wie das gelingen kann, erklärt Simon Gauseweg.
Extremisten in Sicherheitsbehörden gefährden Staat und Gesellschaft. Ganz besonders gilt das für Extremisten in der Bundeswehr. So sieht es auch ein jüngst veröffentlichter Referentenentwurf des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg). Darin heißt es: "Dem Dienstherr ist nicht zuzumuten, nachweislich extremistischen Bestrebungen anhängende Soldatinnen und Soldaten in den Streitkräften zu dulden und sie weiterhin zu alimentieren und je nach konkreter Verwendung auch weiterhin militärisch auszubilden."
Dem ist inhaltlich nichts hinzuzufügen. Die Frage ist allerdings, ob es Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit diesem Entwurf tatsächlich gelingt, Extremisten aus den Reihen der Bundeswehr effektiv und schnell zu entfernen.
Die Diskussion um Extremisten in den Streitkräften nahm 2017 neue Fahrt auf – damals wurde der rechtsextreme Oberleutnant und Berufssoldat Franco A. gefasst. Er hatte Terroranschläge auf Politiker geplant. Das Verfahren gegen ihn fand erst im August dieses Jahres einen Abschluss: Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision zurück und bestätigte das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main, das Franco A. unter anderem wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, unerlaubten Waffenbesitzes und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte.
Bislang sind gerichtliche Disziplinarverfahren für die Bundeswehr der einzige Weg, Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit mit einer Dienstzeit von mehr als vier Jahren aus der Bundeswehr zu entfernen. Im Falle von Franco A. musste das Strafverfahren abgewartet werden, mit dessen Ende er aufgrund der Höhe der Freiheitsstrafe ohne Weiteres aus der Bundeswehr ausschied. Während dieser Zeit wurde er jedoch, trotz Verbot der Ausübung von Dienstgeschäften, von der Bundeswehr versorgt – wenn auch mit reduzierten Bezügen.
Drei Verteidigungsministerinnen, drei Anläufe…
Es gab schon mehrere Anläufe, um ein schnelleres Verfahren einzuführen, sie blieben jedoch alle erfolglos. Zunächst hatte die ehemalige Verteidigungsministerin und heutige EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (CDU) noch 2017 angekündigt, das Disziplinarrecht der Bundeswehr zu reformieren. Konkrete Pläne zu dieser Reform wurden nicht bekannt; Kritiker befürchteten damals, durch die angekündigten "weiteren Prüfschleifen", möglicherweise bis hoch ins Ministerium, würden die Disziplinarvorgesetzten geschwächt und das Verfahren in die Länge gezogen werden.
Von der Leyens Nachfolgerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte 2020 vorgeschlagen, den Entlassungstatbestand des § 55 Abs. 5 Soldatengesetz (SG) auszuweiten. Die Vorschrift erlaubt es, Soldaten auf Zeit innerhalb der ersten vier Jahre ihres Dienstes zu entlassen, "wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde." In der Praxis ist § 55 Abs. 5 SG damit ein äußerst weitgehendes Mittel.
Kramp-Karrenbauer schlug vor, die Anwendbarkeit von den ersten vier auf die ersten acht Jahre der Dienstzeit auszubauen. Bei vielen Zeitsoldaten hätte dieser Zeitraum die gesamte Dienstzeit umfasst, bei höheren Unteroffizieren und Offizieren immerhin zwei Drittel. Nach Widerstand durch den Deutschen Bundeswehrverband und den damaligen Koalitionspartner SPD kam auch diese Änderung nicht zustande. Sie hätte auf Extremisten im Status von Berufssoldaten – wie Franco A. – auch keine Auswirkungen gehabt.
Das Ziel, Entlassungen per Verfügung zu ermöglichen, verfolgte auch die nächste Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Während ihrer Amtszeit erwog man im BMVg wohl sogar den Wegfall der gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen insgesamt und eine Orientierung am Beamtendisziplinarrecht Baden-Württembergs. Dort werden alle Disziplinarmaßnahmen per Disziplinarverfügung ausgesprochen, § 38 Landesdisziplinargesetz Baden-Württemberg. Da eine so verfügte Entlassung auch Soldaten in ihrem Status beträfe, stellte sie letztlich einen Verwaltungsakt dar, die der Entlassene nach regulärem Verwaltungsrecht angreifen könnte. So funktioniert auch bereits die Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG.
Als Alternative wurde erwogen, einen neuen Entlassungstatbestand einzufügen und insbesondere an die mangelnde charakterliche Eignung für den Soldatenberuf anzuknüpfen. Noch zu Lambrechts Amtszeit hatte man sich wohl bereits Ende 2022 für die zweite Variante entschieden. Der nun vorgelegte Entwurf greift darauf zurück und enthält genau diesen Entlassungstatbestand.
Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung
Zusammengefasst kann nach Pistorius’ Gesetzentwurf entlassen werden, wer "in schwerwiegender Weise Bestrebungen verfolgt", die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Völkerverständigung richten oder auswärtige Belange Deutschlands gefährden.
Der Begriff der „Bestrebung“ ist den Verfassungsschutzgesetzen entlehnt; für den Bund findet man ihn etwa in § 4 Abs. 1 S. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz sowie § 1 Abs. 1 Gesetz über den militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz). Gemeint sind damit, auslegungsbedürftig, "ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen", die die genannten Schutzgüter beeinträchtigen oder außer Kraft setzen sollen.
Der Entwurf verlangt allerdings, dass diese Bestrebungen "in schwerwiegender Weise" verfolgt werden müssen. Damit sollen wohl Entlassungen wegen Bagatellen ausgeschlossen werden. Es wäre ungünstig, führte das dazu, dass in der Praxis hiervon auch lediglich vermeintliche Bagatellen erfasst würden. Kurz diskutiert wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht im September 2022 etwa, ob beispielsweise ein an eine Toilettentür geschmiertes Hakenkreuz zur fristlosen Entlassung führen könne, oder nicht. Angesichts der Rechtsprechung des Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist das in der Tat diskussionsfähig (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 18.06.2020, 2 WD 17.19). Es mag sein, dass, wer ein Hakenkreuz schmiert, nicht notwendigerweise gefestigter Nationalsozialist sein muss. Auch dümmliche Provokation aus Frustration wegen verschiedenster Gründe mag einige dazu motivieren. Die charakterliche Eignung zum Soldatenberuf fehlt in solchen Fällen dennoch eindeutig.
Als weitere Voraussetzung soll hinzutreten, dass der Verbleib im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Hier knüpft der Entwurf an § 55 Abs. 5 SG an.
Entlassung per Verwaltungsakt für alle Soldaten, Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten
Der Gesetzentwurf ist, mit entsprechenden Verweisen in verschiedenen Gesetzen, auf alle Soldatinnen und Soldaten, von freiwillig Wehrdienstleistenden über Soldaten auf Zeit bis hin zu Berufssoldaten, anwendbar.
Da die Entlassung,, entsprechend zu § 55 Abs. 5 SG, per Verwaltungsakt verfügt wird, ist ein zügiges Verfahren möglich. Zum Schutz der Betroffenen soll ein neuer § 47a SG besondere Verfahrensvorschriften einführen, die das ansonsten nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu führende Verfahren ergänzen. Insbesondere werden zwei verpflichtende Anhörungen eingeführt: Soldatinnen und Soldaten, die dem Extremismus-Vorwurf ausgesetzt sind, müssen sich bei Einleitung des Verwaltungsverfahrens und zum Abschluss der Ermittlungen äußern können.
Eine Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung (WBO), die an die Stelle eines Widerspruchs im Verwaltungsverfahren tritt, sowie die Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung. Das Wehrdienstverhältnis und damit auch die Zahlung von Bezügen enden damit unmittelbar nach Zustellung der Entlassungsverfügung. Dass Soldaten mit mehr als vier Dienstjahren (also solche, die nicht auch nach § 55 Abs. 5 SG entlassen werden können) trotzdem bis zur Bestandskraft ein Überbrückungsgeld erhalten, dürfte in die Abwägung etwaiger Klagen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit einfließen. Denn die Härte einer fristlosen Entlassung wird hierdurch abgemildert, wodurch das Rechtsschutzbedürfnis sinkt (aber nicht gänzlich entfällt). Im Falle der Bestandskraft der Entlassung ist das Überbrückungsgeld zum Teil zurückzuzahlen, womit "Fehlanreize für ein bewusstes Hinauszögern des Verfahrens" vermieden werden sollen.
Wird das Verfahren wirklich schneller?
Es wird sich allerdings zeigen müssen, ob diese Systematik das Verfahren tatsächlich beschleunigt. Anstelle des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit erster Instanz vor dem Truppendienstgericht und Berufung vor dem Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts treten ein zweistufiges Verwaltungsverfahren (Verfügung und Beschwerde) und Anfechtungsklage, Berufung und ggf. Revision im Verwaltungsverfahren. Schon das bisherige Disziplinarverfahren zieht sich im Schnitt über vier Jahre. Ermittlungs- und Überprüfungstiefe dürften schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit im Verwaltungsverfahren nicht besonders unterschiedlich sein. Anstatt die Verfahren aufgrund zu langer Dauer von den Truppendienstgerichten zu den Verwaltungsgerichten zu schieben, könnte eine bessere Ausstattung von Wehrdisziplinaranwaltschaft oder Truppendienstgerichten eine Alternative sein.
Damit bleibt der Vorteil, dass Extremisten für die Dauer ihres Entlassungsverfahrens keine regulären (wenn auch gekürzten) Bezüge, sondern lediglich ein Überbrückungsgeld erhalten, das (wenn auch nur teilweise) zurückgefordert wird. Dieser Schritt, der möglicherweise auch durch entsprechende Fragen auf der Wehrrechtstagung angeregt wurde, geht jedenfalls in die richtige Richtung.
Unabhängig davon, ob der vorgelegte Gesetzesentwurf das Parlament passiert, oder nicht: Noch immer gibt es zu viele Extremisten in der Bundeswehr, vor allem Rechtsextremisten und sog. „Reichsbürger“. Es ist gut, dass das BMVg das Problem erkannt und die Marschrichtung ausgegeben hat, sie aus der Truppe zu entfernen. Der vorgelegte Gesetzentwurf eröffnet hierfür effektive Möglichkeiten. Ob diese tatsächlich weit genug reichen und schneller und effektiver als die bisherigen Möglichkeiten sind, wird sich noch zeigen müssen. Die Entfernung von Staatsfeinden aus den Streitkräften darf nicht länger im Schneckentempo geschehen. Im Laufschritt wäre besser.
Simon Gauseweg ist Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er ist Offizier der Reserve.
Gesetzentwurf zu Extremisten in der Bundeswehr: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52771 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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