Die Bewegung Extinction Rebellion protestiert unkonventionell gegen die Klimakrise und will im Oktober weltweit Städte lahmlegen. Das Ziel: gewaltfrei Verhaftungen provozieren.
Die Extinction Rebellion wurde 2018 in Großbritannien gegründet und hat schnell im In- und Ausland Zulauf bekommen. Auf Deutsch kann der Name mit "Rebellion gegen das Aussterben" übersetzt werden. Nach eigenen Angaben ist die internationale Bewegung mittlerweile in zirka 70 Ländern vertreten. Auch in Deutschland sollen sich in einer Vielzahl von Ortsgruppen mehrere tausend Freiwillige engagieren.
Die Ziele der Extinction Rebellion sind unter anderem das öffentliche Ausrufen des Klimanotstands, um die Dringlichkeit des sofortigen Kurswechsels zu kommunizieren. Zudem sollen die Regierungen endlich entschieden handeln. Mit einem sofortigen Umsteuern in der Klimapolitik soll beispielsweise eine Netto-Null-Treibhausgas-Emission bis zum Jahr 2025 erreicht werden.
Die Extinction Rebellion hat von Anfang an durch ungewöhnliche Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. In Zürich wurde beispielsweise das Wasser des Limmat ohne Ankündigung giftgrün eingefärbt und anschließend trieben einige Teilnehmenden regungslos auf dem Wasser. In Hamburg wurde auf der Promenade an der Elbe ein Trauerzug mit Kindersarg abgehalten und dann blutrote Farbe über die Stufen der Promenade verschüttet, um insbesondere gegen die Verschmutzung durch die Kreuzfahrtschiffe zu demonstrieren.
Ein international am meisten wahrgenommenes Ereignis war im November 2018 die Blockade der wichtigsten Brücken über die Themse in London durch mehrere tausend Demonstranten - gefolgt von mehreren Dutzend Festnahmen.
Eigener Hashtag für Deutschland: #Berlinblockieren
Am 7. Oktober 2019 soll nun eine weltweite Protestwoche starten. Neben Berlin sollen auch Amsterdam, Paris, New York und mehrere weitere Städte lahmgelegt werden. Durch Störaktionen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten soll die logistische Infrastruktur der Städte blockiert werden. Die Extinction Rebellion plant somit einen globalen Aufwand gegen die Klimakrise - inklusive Verkehrschaos. Und natürlich gibt es für Deutschland auch einen eigenen Hashtag: #Berlinblockieren.
Gewalt lehnt die Extinction Rebellion aber kategorisch ab. Die Gewaltfreiheit ist eine tragende Säule des zivilen Ungehorsams und wird auch von der Extinction Rebellion konsequent durchgesetzt. Als kürzlich bei einer Sitzblockade jemand "Fuck Cops" gerufen hatte, war dies für die Teilnehmenden von der Extinction Rebellion schon genug, um ihre Protestaktion abzubrechen.
Zudem stehen die Teilnehmenden an den Protestaktionen auch zu ihrem Verhalten und verzichten regelmäßig auf den Schutz der Anonymität. Viele sind nicht nur bereit, sich bei den Protesten in Gewahrsam nehmen zu lassen, es ist vielmehr sogar das erklärte Ziel der Organisatoren.
Die Extinction Rebellion will 3,5 Prozent der Bevölkerung auf ihre Seite bringen. Dies sei nach Erkenntnissen aus der Protestforschung bei vielen anderen Bewegungen der Punkt gewesen, an dem die gesamte Stimmung in einem Land gekippt sei. Und nach der Ansicht der Extinction Rebellion gebe es keinen besseren Weg weitere Unterstützer zu gewinnen, als wenn normale Bürgerinnen und Bürger sehen, dass andere für Ziele, die diese ebenfalls teilen, aufgrund ihres zivilen Ungehorsams von der Polizei verhaftet werden.
Diesbezüglich ist die Gewaltfreiheit beim zivilen Ungehorsam auch wichtig, um für weite Teile der Zivilbevölkerung anschlussfähig zu bleiben.
Ziviler Ungehorsam: Habermas & das BVerfG haben ihn definiert
Der zivile Ungehorsam ist eine Form politischer Partizipation. Allgemein gesprochen: Durch einen aus Gewissensgründen vollzogenen und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen prangert der handelnde Staatsbürger einen Missstand an.
Der Philosoph Jürgen Habermas definierte den zivilen Ungehorsam in recht engen Grenzen: Ziviler Ungehorsam sei ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er sei ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließe die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; und er verlange die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; zudem sei der zivile Ungehorsam auch immer auf gewaltfreie Mittel des Protestes beschränkt.
Auch Karlsruhe hat sich an einer Definition versucht. Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird - so das Bundesverfassungsgericht - ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen. Kennzeichnend sei aber stets, - so das die Karlsruher Richter weiter - dass der Ungehorsam unbedingt gewaltfrei und damit unter Ausschluss jeden Risikos für andere auszuüben sei, ferner öffentlich und demgemäß prinzipiell kalkulierbar und im übrigen zeitlich und örtlich verhältnismäßig im Sinne praktischer Konkordanz unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände (BVerfG, Urt. v. 11. 11.1986, Az .1 BvR 713/83 - Strafbarkeit von Sitzdemonstrationen).
Ziviler Ungehorsam ist kein Rechtfertigungsgrund
Der zivile Ungehorsam ist somit eine gewaltfreie Protestform, die aber über das reine Demonstrieren hinausgeht und deshalb rechtliche Konsequenzen haben kann. Das Grundgesetz kennt zwar seit 1968 ein verfassungsrechtliches Widerstandsrecht. In Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes heißt es: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."
Dieser Widerstandsartikel richtet sich auch unmittelbar an die Bürger. Dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Widerstandsrecht durchbricht somit die Bürgerpflicht zum Rechtsgehorsam und legitimiert sogar die Anwendung von Gewalt durch Privatpersonen. Jedoch umfasst die geschützte Ordnung ausschließlich die Ordnung der parlamentarischen Demokratie des sozialen und föderalen deutschen Rechtsstaates. Das Schutzgut ist somit sehr eng umrissen: Der Verfassungsstaat. Und eben nicht der Planet.
Darüber hinaus kennt das deutsche Recht auch keinen allgemeinen Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams. Weder aus dem verfassungsrechtlichen Widerstandsrecht noch aus sonstigen Artikeln der Verfassung oder Paragraphen der Gesetze lässt sich ein eigenständiger Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams herleiten. Die Rechtfertigung eines Verhaltens, welches als ziviler Ungehorsam angesehen wird, kann mangels eines eigenen Rechtfertigungsgrundes somit nur über die allgemeinen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe erfolgen. Ob diese jeweils einschlägig sind, ist aber immer eine Frage des Einzelfalls.
Bei den Blockade-Aktionen der Extinction Rebellion regelmäßig nicht einschlägig ist das verfassungsrechtlich gewährleistete Demonstrationsrecht aus Art. 8 Grundgesetz. Dadurch werden Verkehrsbehinderungen und Zwangswirkungen, die mit Demonstrationen einhergehen, nur so weit gerechtfertigt, wie sie als notwendige Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind. Daran fehlt es aber, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern vielmehr beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist niemand befugt, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte und absichtliche Behinderungen zu steigern (BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, Az. 1 BvR 713/83).
Rechtliche Konsequenzen sind Teil des Plans
Die Demonstranten der Extinction Rebellion gehen aber auch gar nicht davon aus, dass ihr Verhalten gerechtfertigt oder entschuldigt ist. Die rechtlichen Konsequenzen sind vielmehr ein elementarer Teil des Plans, um mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Über die rechtlichen Konsequenzen werden die Teilnehmenden vorher auch ausführlich aufgeklärt. Auf der deutschen Webseite der Bewegung findet sich eine 26-seitige Broschüre mit Tipps und Hinweisen zur rechtlichen Situation (Rechtshilfebroschüre). Zur Vorbereitung gibt es zudem sogar ein eigenes Handbuch. In der deutschen Ausgabe "Wann, wenn nicht wir - Ein Extinction Rebellion Handbuch" gibt es zudem mehrere Kapitel über den zivilen Ungehorsam. Unter anderem werden Tipps zu Straßenblockaden oder dem Verhalten bei einer Festnahme durch die Polizei gegeben.
Ab Montag wird sich dann zeigen, ob der kalkulierte Gesetzesbruch durch die Extinction Rebellion tatsächlich zu den angestrebten Solidarisierungseffekten führt oder ob der erneut erhöhte Druck von der Straße für den Durchschnittsbürger eher abschreckend wirkt. Oder ob die Berliner von den Blockaden aufgrund des normalen Verkehrschaoses in der Hauptstadt im Ergebnis eventuell überhaupt nichts mitbekommen.
Der Autor Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Anwalt in Hamburg.
Extinction Rebellion will Berlin blockieren: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37993 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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