Europäische Flüchtlingspolitik: Wie aus Rettern Schleuser werden

von Joachim Kretschmer

15.10.2013

Eurosur ist eine Militarisierung der Grenzüberwachung

Repression und Abschottung verdrängen mitmenschliche Hilfe und Solidarität. Zuletzt hat sich das gezeigt, als das Europäische Parlament dem Grenzüberwachungssystem Eurosur zustimmte. In dem Verordnungsvorschlag heißt es in Art. 2 Abs. 1, dass Eurosur der Überwachung der Land- und Seeaußengrenzen der Mitgliedstaaten dienen soll. Dazu zählen auch Maßnahmen zum Beobachten, Aufspüren, Identifizieren, Verfolgen und Verhindern illegaler Grenzübertritte sowie Abfang- beziehungsweise Aufgriffsmaßnahmen.

Klingt kompliziert, klingt umfassend, aber die Zielrichtung ist eindeutig: Abschottung durch Überwachung und Verhinderung von Einwanderung und Flucht. Selbst Satelliten und bemannte und unbemannte Fluggeräte finden als Überwachungsinstrumente Erwähnung (Art. 12 Abs. 3). Ist es da beruhigend, wenn es in Art. 2 Abs. 3 wenigstens heißt, dass die Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Verordnung die Grundrechte achten und den besonderen Bedürfnissen von schutzbedürftigen Personen Vorrang einräumen?

Mag auch an anderen Stellen ein Hinweis auf Schutz und Rettung von Migranten erfolgen, im Vordergrund steht doch stets, illegale Migration zu verhindern und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Insgesamt ist Eurosur eine Militarisierung der Grenzüberwachung und der Flüchtlingspolitik.

Schöne Worte, die sich nicht in den Gesetzen widerspiegeln

Die Kriminalisierung der Flüchtlinge und die – abschreckende – Strafdrohung für humanitäre Helfer, zu denen nicht allein italienische Fischer, sondern auch Ärzte, Sozialarbeiter, Sprachlehrer und andere sozial und humanitär engagierte Menschen in Europa zählen, ist nur ein Teil einer auf Abschottung und Repression gerichteten europäischen Flüchtlingspolitik.

Aber: Humanitäres Handeln, das der Lebensrettung oder einem menschenwürdigen Dasein dient, ist nicht Teil des Schlepperunwesens, des Menschenhandels oder der Organisierten Kriminalität, deren Bekämpfung die Schleusertatbestände der §§ 96 bis 97 AufenthG dienen. "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die einer Minderheit angehören" – das sind nach Art. 1a des Vertrags über die Europäische Union (EUV) die Werte, auf die sich die Union gründet.

Schöne Worte, die sich nicht in ihren Taten und Gesetzen zeigen. Das ist eines Friedensnobelpreisträgers nicht würdig. 

Der Autor Dr. Joachim Kretschmer ist Rechtsanwalt in Berlin und Privatdozent im Strafrecht mit einer Lehrstuhlvertretung an der Universität Bremen. Neben vielfachen Publikationen ist ein Schwerpunkt seiner Forschung das Ausländerstrafrecht.

Zitiervorschlag

Joachim Kretschmer, Europäische Flüchtlingspolitik: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9805 (abgerufen am: 21.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen