EuGH zur Verteilung von Flüchtlingen: Unge­recht – aber für wen?

von Tanja Podolski

06.09.2017

2/2: Das Problem der Einvernehmlichkeit

Tatsächlich aber hat der Rat auch nach Auffassung des EuGH noch wesentliche Änderungen an dem Beschluss vorgenommen. Über diese Änderungen sei das EU-Parlament vor der Abstimmung am 17. September 2015 indes ordnungsgemäß informiert worden, sie hätten den Kern des Kommissionsvorschlags auch nicht beeinträchtigt.

Zudem habe die Kommission den geänderten Vorschlag durch zwei ihrer Mitglieder, die vom Kollegium hierzu ermächtigt worden seien, gebilligt. Auch eine Einstimmigkeit der Entscheidung sei nicht erforderlich gewesen. Das habe der Rat zwar bei dem ersten Beschluss zur Umsiedelung von 40.000 Flüchtlingen ursprünglich mal so gesehen, das Erfordernis würde aber nicht generell gelten.

Gute Idee, wenig Wirkung

Die Intention der Regelung enthalte auch keine Beurteilungsfehler, entschied der EuGH. Mit der Umverteilung könne die EU dem  Flüchtlingsstrom begegnen – so habe es zumindest im Sommer 2015 ausgesehen. Die Maßnahme müsse nur nach den Umständen des Moments beurteilt werden, in dem sie zu treffen gewesen sei, so die Luxemburger Richter. Und damals habe der Rat alle zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt.

Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Zahl der Umsiedlungen gering geblieben sei. Denn dies ließe sich durch mehrere Faktoren erklären, so die Richter, die zum damaligen Zeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen seien. Dazu zähle auch "namentlich die mangelnde Kooperation bestimmter Mitgliedstaaten".

Und jetzt?

Die Slowakei will die Ablehnung ihrer Klage gegen die verpflichtende Aufteilung von Flüchtlingen in der EU – wenn auch zähneknirschend - akzeptieren. Das erklärte Regierungschef Robert Fico am Mittwoch in Bratislava. Die Slowakei wolle zum Kern der Europäischen Union gehören und solidarisch sein, erklärte Fico. Das Urteil erachte er aber gleichwohl für "ungerecht".

Sollten Ungarn, die Slowakei oder andere EU-Staaten sich nun weiterhin gegen den Beschluss und die Aufnahme von Flüchtlingen sperren, könnte die EU-Kommission sogenannte Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben, die letzten Endes in hohen Geldstrafen münden können. Gegen Ungarn, Polen und Tschechien hatte die Brüsseler Behörde bereits im Juni erste entsprechende Schritte eingeleitet.

Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte (OVG) in Deutschland hatten in Bezug auf Ungarn immer wieder festgestellt, dass es dort sogenannte systemische Mängel gebe. Das Asylverfahren in Ungarn weise erhebliche Mängel auf und Flüchtlingen drohe die Inhaftierung ohne Prüfung von Gründen, stellte etwas das OVG Lüneburg fest (Urt. v. 29.11.2016, Az. 8 LB 92/15). Sie hatten daher keine Flüchtlinge nach Ungarn verwiesen, auch wenn das Land nach der Dublin-Verordnung zuständig gewesen wäre. Die EU scheint indes gegen eine Umverteilung von Flüchtlingen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, keine Bedenken zu haben.

Die ungarische Regierung kündigte bereits an, trotz der Luxemburger Entscheidung auch künftig keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. "Dieses Urteil ist empörend und verantwortungslos", sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. "Es ist ein politisches Urteil, dass das europäische Recht und die europäischen Werte vergewaltigt."

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, EuGH zur Verteilung von Flüchtlingen: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24349 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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