EuGH zu deutscher Mitbestimmung: Kein Ver­stoß gegen Uni­ons­recht

von Dr. Thomas Gennert

18.07.2017

2/3: Vorlagebeschluss des Kammergerichts

Das hiernach angerufene KG hat das Verfahren hingegen ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt (Beschl. v. 16.10.2015), ob im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 45 AEUV mit dem Unionsrecht zu vereinbaren sei, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind.

Nach Auffassung des KG sei es durchaus vorstellbar, dass im Unionsausland beschäftige Arbeitnehmer aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert und in ihrer Freizügigkeit beschränkt werden. Hierfür wurde das Kammergericht in der Rechtsliteratur zum Teil heftig kritisiert.

Kein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit

Nachdem in einer schriftlichen Stellungnahme der Kommission noch Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelungen zum Wahlrecht des MitbestG mit dem Unionsrecht erkennbar waren, relativierte sich diese Haltung im Nachgang zur mündlichen Verhandlung und den Schlussanträgen des Generalanwalts. Letztere gingen schließlich von einer Vereinbarkeit des MitbestG mit dem Unionsrecht aus.

Der EuGH folgt nun im Wesentlichen der Argumentation des Generalanwalts und unterscheidet hierbei zwei Konstellationen:

Für Arbeitnehmer der Tui, die bei einer Tochtergesellschaft mit Sitz im EU-Ausland beschäftigt sind, fehle es bereits an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt. Einen solchen setze der speziellere und damit gegenüber dem Diskriminierungsverbot vorrangige Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV aber voraus. Bei der Situation dieser Arbeitnehmer handele es sich mithin um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, der nicht am Unionsrecht zu messen sei.

Für Arbeitnehmer der Tui und ihrer Tochtergesellschaften im Inland, die sich dazu entschließen eine Stelle bei einer Gesellschaft im EU-Ausland anzutreten, sei zwar ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben. Dieser stelle allerdings keine Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.

Das Unionrecht könne einem Arbeitnehmer nicht garantieren, dass ein solcher Umzug in einen anderen Mitgliedstaat in sozialer Hinsicht "neutral" sei, weil die Mitgliedstaaten für verschiedene Bereiche unterschiedliche Regelungen vorsehen. Deutschland sei danach nicht daran gehindert, den Geltungsbereich des MitbestG im Hinblick auf das aktive und passive Wahlrecht auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe zu beschränken.

Zitiervorschlag

EuGH zu deutscher Mitbestimmung: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23489 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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