EZB-Mandat vor dem EuGH: Ankauf von Staats­an­leihen zulässig

von Prof. Dr. Joachim Wieland

11.12.2018

Der EuGH hat das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm der EZB zur Bekämpfung der Deflation nach der BVerfG-Vorlage für zulässig erklärt. Joachim Wieland erläutert, warum die Bedenken aus Karlsruhe in Luxemburg kein Gehör gefunden haben.

Das Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten verstößt nicht gegen das Unionsrecht. Es geht nicht über das Mandat der EZB hinaus und verletzt auch nicht das Verbot der monetären Finanzierung. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag (Urt. v. 11.12.2018, Az. C-493/17).

Am 4. März 2015 hatte die EZB ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten beschlossen (Public Sector Asset Purchase Programme, kurz: PSPP). Die so ermöglichten Käufe sollen Deflationsgefahren begegnen, das wirtschaftliche Wachstum fördern, dem Rückgang der Realzinssätze entgegenwirken und die die Kreditvergabe der Geschäftsbanken ausweiten.

Die Zentralbanken der Mitgliedstaaten kaufen seitdem jeden Monat für 60 Milliarden Euro öffentliche Anleihen ihres Landes auf den Finanzmärkten. Im Mai 2017 betrug das Volumen dieser Käufe bereits mehr als 1.534 Milliarden Euro. 

Nicht die erste Vorlagefrage des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinen Vorlagefragen, die der EuGH am Dienstag beantwortete, Zweifel daran geäußert, ob der Beschluss der EZB sich innerhalb ihrer Kompetenzen in Währungsfragen befindet. Zudem könne eine Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung vorliegen, befürchteten die Karlsruher Richter. Mit seinem Vorlagebeschluss vom 18. Juli 2017 hat das BVerfG damit an seinen ersten Vorlagebeschluss an den EuGH vom 14. Januar 2014 angeknüpft.

Bereits damals hatte der Zweite Senat beim EuGH angefragt, ob der – nie umgesetzte – Beschluss der EZB zur Durchführung von Offenmarktgeschäften (Outright Monetary Transactions, kurz: OMT) über das Mandat der EZB zur Währungspolitik hinausgehe und gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verstoße. Der EuGH hatte den OMT-Beschluss am 16. Juni 2015 über den Ankauf von Staatsanleihen gebilligt. Das Programm gehöre zur der EZB erlaubten Geld- und Währungspolitik und habe nur indirekt wirtschaftspolitische Auswirkungen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei ebenso beachtet wie das Verbot der Staatsfinanzierung, hieß es 2015.

Der EuGH schreibt in seinem Urteil vom Dienstag diese Grundsätze fort. Danach geht das PSPP nicht über die ausschließliche Zuständigkeit der EZB für die Währungspolitik hinaus und achtet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch verstößt das PSPP nach Auffassung der Luxemburger Richter nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung, das dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) die Gewährung von Krediten an Mitgliedstaaten untersagt. Zudem habe es weder die gleiche Wirkung wie der Ankauf von Anleihen an den Primärmärkten noch nehme es den Mitgliedstaaten den Anreiz zur Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik.

EuGH lässt der EZB weiten Spielraum

Der EuGH begrenzt seine Prüfung dabei auf offensichtliche Beurteilungsfehler der EZB, lässt ihr also weiten Handlungsspielraum. Er stellt fest, dass das Ziel des PSPP die Gewährleistung der Preisstabilität ist. Die Inflationsrate soll sich mittelfristig wieder dem Ziel von unter, aber nahe der Zwei-Prozent-Marke annähern. Damit fällt das PSPP nach Auffassung der Luxemburger Richter unter das währungspolitische Mandat der EZB. Zwangsläufige Auswirkungen des Programms auf die Realwirtschaft seien dabei unschädlich, da das ESZB seine ihm nach dem Primärrecht obliegende Aufgabe der Deflationsbekämpfung ansonsten nicht erfüllen könne. Aus dem Primärrecht geht laut dem Urteil auch eindeutig hervor, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken auf den Finanzmärkten Staatsanleihen der Mitgliedstaaten erwerben dürfen.

Nach Auffassung des EuGH weist die Analyse der EZB, dass das PSPP geeignet und erforderlich zur Gewährleistung der  Preisstabilität ist, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler auf. Die Gefahr eine Deflation habe durch andere dem ESZB zur Verfügung stehende Mittel nicht abgewendet werden können. Auch hält es der EuGH nicht für offensichtlich, dass eine Beschränkung des Umfangs oder der Dauer des PSPP genauso wirkungsvoll und schnell vergleichbare Wirkungen gezeigt hätte.

Das Programm sei dabei weder selektiv ausgestaltet noch trage es besonderen Finanzierungsbedürfnissen einzelner Mitgliedstaaten Rechnung. Ebenso gebe es strenge Vorgaben, auf die die Luxemburger Richter verweisen: Mit einem hohen Risiko behaftete Wertpapiere dürfen nicht gekauft werden und es gelten strenge Ankaufobergrenzen pro Emission und Emittent. Zusätzlich genössen private Marktteilnehmer Vorrang beim Anleihenkauf. So ergeben sich nach Auffassung der Luxemburger Richter aus dem PSPP schließlich auch keine Nachteile, die offensichtlich außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen.

EuGH: Gesund wirtschaften müssen die Mitgliedstaaten immer noch

Der EuGH hält das Verbot, Mitgliedstaaten durch Zentralbankkredite zu finanzieren, für nicht verletzt. Das PSPP sei so ausgestaltet, dass private Marktteilnehmer nicht sicher sein könnten, dass das ESZB auch wirklich Staatsanleihen in absehbarer Zeit ankauft. Entsprechend könnten die übrigen Marktteilnehmer auch nicht wie Mittelspersonen des ESZB für den unmittelbaren Ankauf von Staatsanleihen agieren, so der EuGH. Umgekehrt wiederum könnten die Mitgliedstaaten nicht sicher sein, wie lange die EZB am PSPP festhalten wird. Deswegen könnten sie in ihrer Haushaltspolitik mittelfristig nicht sicher mit dem Geld aus weiteren Ankäufen planen, argumentieren die Luxemburger Richter.

Ein Anreiz für die Mitgliedstaaten, trotz der Ankäufe von Staatsanleihen eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, besteht nach Auffassung des EuGH vor allem auch deshalb, weil nur Anleihen der sogenannten Kreditqualitätsstufe 3 nach dem Ratingskala des Eurosystems gekauft werden können. Wendet sich ein Mitgliedstaat von einer gesunden Haushaltspolitik ab, wird er in der Qualitätsstufe herabsinken und damit aus dem PSPP ausscheiden.

Außerdem, so heißt es in dem Urteil, erfolgen die Ankäufe nach dem Schlüssel für die Kapitalzeichnung der EZB und nicht etwa nach der Wirtschaftslage oder Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten. Das bedeute, dass das Risiko der möglichen Verluste aus dem Anleihengeschäft in Höhe von 80 Prozent auf den örtlichen Steuerzahlern oder anderen Gläubigern lasten. Damit besteht nach Auffassung des EuGH auch unter dem PSPP genügend Anreiz für die Mitgliedstaaten, gesund zu wirtschaften.

Ein Kunstgriff des EuGH, der das BVerfG einschränkt

Das BVerfG muss nun auf der Grundlage des EuGH-Urteils über die noch anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die EZB-Politik entscheiden. Es wird deshalb zur von ihm in Anspruch genommenen Ultra-vires-Kontrolle und zur Kontrolle der Wahrung der Verfassungsidentität greifen.

Dabei wird es den Luxemburger Kollegen aber nicht vorwerfen, die Grenze ihrer Befugnisse mit einer "offensichtlich schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren und daher objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge" – so der Maßstab des BVerfG – überschritten zu haben.

Dass sich der EuGH bei seiner Beurteilung vom Dienstag auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkt, ist ein geschickter Kunstgriff. Er lässt dem BVerfG somit wenig eigenen Entscheidungsspielraum. Voraussichtlich werden die Verfassungsbeschwerden damit erfolglos bleiben. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass das BVerfG in seiner Interpretation des EuGH-Urteils die Maßstäbe für die Vereinbarkeit des EZB-Beschlusses mit dem Unionsrecht noch etwas verschärfen wird.

Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Zitiervorschlag

EZB-Mandat vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32661 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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