Der EuGH hat am Donnerstag ein Urteil gefällt, das weitreichende Folgen für die Praxis der deutschen Energieversorger haben wird. Strom- und Gaskunden müssen nun vor einer Preiserhöhung vom Versorger rechtzeitig über den Anlass, die Voraussetzungen und den Umfang der Preiserhöhung informiert werden. Und damit nicht genug, erklärt Andreas Klemm.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutschen Rechtsvorschriften beanstandet, auf deren Grundlage die Energieversorger bisher ihre Preisänderungen gegenüber Tarifkunden vorgenommen haben. Das sind solche Kunden, die den Standardtarif des örtlichen Energieversorgers in Anspruch nehmen, also weder bei diesem einen besonderen Tarif gewählt noch mit einem auswärtigen Strom- bzw. Gasanbieter einen Bezugsvertrag geschlossen haben.
Gegenüber diesen Kunden haben die ihre Preisanpassungen bisher auf die Vorschriften der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) und der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV), beide aus dem Jahr 2006, gestützt. Diese machen Preisänderungen möglich, wenn sie mindestens 6 Wochen im Voraus öffentlich bekannt gemacht werden und zeitgleich eine briefliche Mitteilung an den Kunden erfolgt.
Zudem hat der Kunde im Falle von Preisänderungen ein Sonderkündigungsrecht. Gegenüber den Kunden, die davon Gebrauch machen und und einen Versorgerwechsel nachweisen, werden die Preisänderungen nicht wirksam (vgl. § 5 Abs. 2 und 3 StromGVV / GasGVV).
Der EuGH will mehr: mehr Information, mehr Mittel gegen Preisänderung
Der EuGH legt die Messlatte mit seinem Urteil vom Donnerstag (Az. C-359/11 und C-400/11) höher. Nach Auffassung der Luxemburger Richter sind die Regelungen im deutschen Recht mit den Vorgaben aus der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2003 und der Gasbinnenmarktrichtlinie 2003 nicht vereinbar.
Der Gerichtshof führt insbesondere aus, dass die Mitgliedstaaten gemäß diesen beiden Richtlinien in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen einen hohen Verbraucherschutz gewährleisten müssen. Neben dem Recht, sich aus dem Vertrag zu lösen, müsste den Strom- und Gaskunden auch das Recht zugestanden werden, gegen die Preisänderungen vorzugehen.
Um diese Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen und voll informiert eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob sie den Vertrag beenden oder gegen die Preisänderung vorgehen wollen, müssen die betreffenden Kunden nach dem Urteil der Luxemburger Richter rechtzeitig vor der Preisänderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Alles bleibt anders – mit Rückwirkung
Dem EuGH-Urteil liegen Preisstreitigkeiten zugrunde, an denen auf Versorgerseite die Stadtwerke Ahaus und die Technischen Werke Schussental beteiligt waren. Die Kläger waren jeweils Privatleute. Beide Streitigkeiten durchliefen den Instanzenzug bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Dieser setzte das Verfahren aus und legte die Frage der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit der europäischen Strom- bzw. Gasrichtlinie dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Der deutsche Gesetzgeber ist nun aufgerufen, die Vorschriften in der StromGVV und der GasGVV entsprechend anzupassen. Aber schon ab sofort werden die deutschen Energieversorger ihre Preisänderungspraxis den Anforderungen des Urteils anpassen und ihre Kunden über den Anlass, die Voraussetzungen und den Umfang von Preisänderungen informieren müssen.
Die Erfüllung dieser Voraussetzungen stellt dabei keine unüberwindbare Hürde dar. Insbesondere die Mitteilung von Anlass und Umfang der Preisänderung wird bei den meisten Energieversorgern bereits in der Vergangenheit – trotz fehlender gesetzlicher Vorgabe – gängige Praxis gewesen sein. Was genau unter den Voraussetzungen einer Preisänderung zu verstehen ist, wird in Fachkreisen sicherlich noch ausgiebig diskutiert werden.
Dem heutigen Urteil kommt vermutlich sogar eine rechtsbefriedende Wirkung zu. Wenn der Energieversorger seine Preisänderungen ordnungsgemäß begründet, wird sich der Kunde sorgfältig überlegen, ob er gegen die Preisänderung vorgeht, etwa indem er die Rechnung kürzt oder einen Prozess über die Billigkeit der Preiserhöhung anstrengt.
Gravierend ist das Urteil für die Energieversorger vor allen Dingen deshalb, weil es auch für zurückliegende Preiserhöhungen Geltung beansprucht. Der EuGH hat es ausdrücklich abgelehnt, die zeitliche und finanzielle Wirkung seines Urteils zu begrenzen. Damit werden auf die deutschen Energieversorger voraussichtlich noch Rückforderungsansprüche in erheblicher Höhe zukommen.
Der Autor Dr. Andreas Klemm ist Rechtsanwalt in Düsseldorf und berät insbesondere in den Bereichen Energie-Contracting, Erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und Recht der Fernwärmeversorgung. Er ist außerdem Vorsitzender des Forums Contracting e.V.
Strom- und Gaspreiserhöhungen: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13581 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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