Bundesrepublik klagt erfolgreich gegen NRW: EuGH kassiert Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen

von André Siedenberg

18.09.2014

Der EuGH hat die in Nordrhein-Westfalen bei öffentlichen Aufträgen geltende Lohnuntergrenze von 8,62 Euro pro Stunde gekippt. Ein Mindestlohn sei nur dann vereinbar mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit, wenn er den privaten und den öffentlichen Sektor gleichermaßen betreffe. Zahlreiche weitere Bundesländer werden ihre Gesetze nun ebenfalls anpassen müssen. Von André Siedenberg.

Seit dem 1. Mai 2012 mussten sich nach § 4 Abs. 3 des Tariftreuegesetzes Nordrhein-Westfalen (TVgG – NRW) Bieter auf einen öffentlichen Auftrag im Land NRW bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Angestellten bei der Auftragsdurchführung mindestens einen Stundenlohn von 8,62 Euro zu zahlen – auch dann, wenn die eigentliche Arbeitsleistung im Ausland stattfand. Diese Vorgabe galt für alle öffentlichen Aufträge, sofern kein anderer (höherer) Mindestlohn aufgrund anderer Rechtsvorschriften zu zahlen war.

Seit ihrer Einführung waren immer wieder Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Vorgabe laut geworden, insbesondere vor dem Hintergrund der "Rüffert"-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2008 (Az. C-346/06). Schon damals hatte der EuGH eine ähnliche Regelung des Landes Niedersachsen kassiert. Allerdings lag dieser Entscheidung noch der Vertrag von Maastricht und nicht der erst Ende des Jahres 2008 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon zugrunde, welcher der Berücksichtigung sozialer Belange eine höhere Bedeutung einräumt.

Ungewöhnliche Konstellation: Bund verklagt Land vor dem EuGH

Virulent wurde das Problem dann in einer durchaus pikanten Konstellation. Auf eine Ausschreibung der Stadt Dortmund zur Aktendigitalisierung bewarb sich unter anderem die zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes stehende Bundesdruckerei. Diese wollte die Digitalisierung von einem Nachunternehmer mit Sitz in Polen durchführen lassen. Dort allerdings sei ein Stundenlohn von 8,62 Euro schlicht unangemessen hoch.

Die Stadt schloss die Bundesdruckerei daraufhin von dem Vergabeverfahren aus, und musste sich für diese Entscheidung zunächst vor der Vergabekammer Arnsberg rechtfertigen. Dort wiederum beschloss man, die Sache dem EuGH vorzulegen, wo sich das Land Nordrhein-Westfalen – als Gesetzgeber der Mindestlohnvorgabe und Beklagte – und die Bundesrepublik Deutschland – als Eigentümerin der Bundesdruckerei und Klägerin – gegenüber standen.

Mindestlohn ausschließlich bei öffentlichen Aufträgen ist mit Europarecht unvereinbar

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom Donnerstag (Az. C-549/13) entschieden, dass die streitige Regelung des TVgG – NRW der Dienstleistungsfreiheit zuwiderläuft, sofern ein Bieter auf einen öffentlichen Auftrag zur Zahlung eines Mindestlohns verpflichtet wird, wenn er beabsichtigt, den Auftrag ausschließlich durch Arbeitnehmer auszuführen, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz im Ausland beschäftigt sind.

Die Entscheidung bezieht sich unmittelbar nur auf den Fall, dass der Nachunternehmer sich im EU-Ausland befindet. Es ist aber davon auszugehen, dass das Gericht die gleichen Erwägungen auch dann zur Anwendung bringen würde, wenn der Bieter selbst seinen Sitz im EU-Ausland hätte.

Zwar war der EuGH der Ansicht, dass eine Mindestlohnvorgabe mit dem Arbeitnehmerschutz als zwingenden Grund des Allgemeinwohls grundsätzlich gerechtfertigt werden kann. Er sah es jedoch nicht als ausreichend an, diesen Schutz nur Arbeitnehmern im Rahmen öffentlicher Aufträge zuzugestehen. Damit bleibt der EuGH bei seiner Linie aus der Rüffert-Entscheidung, dass ein gesetzlicher Mindestlohn zwar zulässig ist, dieser aber nicht zwischen öffentlichen und privaten Aufträgen trennen darf.

Weitreichende Konsequenzen für andere Landestariftreugesetze

Die Entscheidung des EuGH betrifft zwar zunächst nur das Vergabeverfahren in Dortmund, welches nun wohl neu aufgerollt werden muss. Zugleich hat sie jedoch weitreichende Konsequenzen für das TVgG NRW und weitere, ähnliche Regelungen in anderen Bundesländern. Seit Erlass des TVgG – NRW haben fast alle Bundesländer bis auf Bayern, Hessen und Sachsen vergabespezifische Mindestlöhne in verschiedenen Varianten eingeführt. Die Lohngrenzen reichen von 8,50 Euro in Mecklenburg-Vorpommern über 9,18 Euro in Schleswig-Holstein bis zu den von Bodo Ramelow, dem Kandidaten der Linkspartei im Wahlkampf in Thüringen, favorisierten 10,00 Euro.

Alle diese Vorgaben müssen nun nach der Entscheidung des EuGH entweder ausschließlich auf das Inland beschränkt oder aber komplett gestrichen werden. Welche dieser beiden Varianten sie wählen, bleibt den Bundesländern jeweils selbst überlassen. Es ist daher zu erwarten, dass das ohnehin unübersichtliche Flickwerk föderaler vergaberechtlicher Vorschriften noch ein Stück weiter ausfranst.

Der bundesweite Mindestlohn ab 2015 ist von dieser Entscheidung nicht betroffen, da er den privaten und den öffentlichen Sektor gleichermaßen umfasst.

Zitiervorschlag

Bundesrepublik klagt erfolgreich gegen NRW: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13227 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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