EuGH zu Rekordbußgeld für Intel: Die Krux mit den Treu­era­batten

von Dr. Christian Karbaum

07.09.2017

2/2: Richtungswechsel durch die Schlussanträge?

Intel legte gegen das Urteil des EuG Rechtsmittel ein. Daraufhin forderte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 20. Oktober 2016 die Aufhebung des Urteils des EuG. Dieses hätte zwingend prüfen müssen, ob die von Intel verwendeten Treuerabatte wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hatten.

Dieser Vorschlag hatte für Aufsehen gesorgt, denn nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH war es in der Tat entbehrlich, wettbewerbsschädigende Wirkungen von Per-se-Verstößen nachzuweisen. Allerdings war gleichermaßen anerkannt, dass dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verhaltensweise tatsächlich keine wettbewerbsschädigenden Effekte hat, solche Wirkungen näher zu prüfen sind und ein Verstoß gegebenenfalls zu verneinen ist.

EuGH behält Rechtsprechung bei

Der EuGH folgt mit seinem Urteil den Schlussanträgen im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Zwar hoben die Luxemburger Richter das Urteil des EuG auf und verlangten von ihm, "das gesamte Vorbringen von Intel zu diesem Test [dem AEC-Test] - insbesondere zu den Fehlern, die die Kommission im Zusammenhang mit diesem Test begangen haben soll - zu prüfen, wovon das Gericht aber abgesehen hat." Der EuGH fordert sogar ausdrücklich, dass zu prüfen ist, "ob die streitigen Rabatte geeignet waren, den Wettbewerb zu beschränken".

Dabei sind die Luxemburger aber – anders als der Generalanwalt – nicht der Auffassung, dass stets zu prüfen wäre, ob Treuerabatte den Wettbewerb auch tatsächlich beschränken. Damit bleibt der Gerichtshof bei seiner bisherigen Rechtsprechung zum Fall Hoffmann-LaRoche (Urt. v. 13.02.1979, Az. C-85/76). Damals entschieden die Richter, dass eine Einzelfallprüfung wettbewerbsbeschränkender Wirkungen nur dann notwendig sei, wenn das betroffene Unternehmen belastbare Anhaltspunkte dafür beibringe, dass die vermuteten wettbewerbsbeschränkenden Effekte tatsächlich nicht gegeben sind.

Schuldprinzip wird gewahrt

Mit Blick auf den Fall Intel hätte das EuG also eine solche Prüfung durchführen müssen, weil auch die Europäische Kommission zumindest ergänzend auf die tatsächlichen Wirkungen der Rabatte abgestellt und einen AEC-Test durchgeführt hatte. Zudem hatte Intel die Klage gegen die Bußgeldbescheidung maßgeblich mit Fehlern begründet, die die Europäische Kommission in Anwendung des Tests begangen habe. Aufgrund dieser Umstände war eine Analyse konkreter Wirkungen damit geboten – aber eben nicht generell.

Es ist zu begrüßen, dass sich der EuGH nicht dem Urteil des EuG angeschlossen hat und bei seiner Linie geblieben ist. Ein Umschwenken hätte zur Folge gehabt, dass die Europäische Kommission – wie das Beispiel Intel zeigt – erhebliche Bußen verhängen darf, ohne prüfen zu müssen, ob der Wettbewerb überhaupt beeinträchtigt wurde - selbst wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil bestehen. Dies wäre mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbaren. Einer prinzipiellen Abkehr vom sogenanntne more economic approach im Rahmen der Anwendung von Art. 102 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist damit ein Riegel vorgeschoben.

Der Autor Dr. Christian Karbaum ist Partner bei GLADE MICHEL WIRTZ im Bereich Competition. Er berät internationale Mandanten in Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts. Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen auf Bußgeldverfahren, Fusionskontrollverfahren und streitigen Auseinandersetzungen (vor allem im Bereich Kartellschadensersatz).

Zitiervorschlag

EuGH zu Rekordbußgeld für Intel: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24375 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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