EuGH-Schlussanträge zur Bewerberauswahl nach Religionszugehörigkeit: Die große Umwäl­zung im kirch­li­chen Arbeits­recht?

von Prof. Dr. Steffen Klumpp

10.11.2017

2/2: Ein Widerspruch zur Karlsruher Rechtsprechung

Diese Unterscheidung nach der Verkündigungsnähe wird vom BVerfG allerdings zu Recht abgelehnt: Weil der Staat in religiösen Fragen Neutralität zu wahren habe und eben nicht vorgeben könne, was nahe oder was fern vom jeweiligen Verkündigungsauftrag ist. Die Ansicht des Generalanwalts steht also im Konflikt mit der grundgesetzlichen Einordnung. Folgte der EuGH der Empfehlung der Schlussanträge, so stellte sich als nächstes die spannende Frage nach der Reaktion aus Karlsruhe.

Notgedrungen dunkel bleibt aus der Pressemitteilung zunächst die Beurteilung der europarechtlich wesentlichen Frage des Falles, sie ergibt sich aber mittelbar: Es geht um die Bedeutung des Art. 17 I Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), nach welchem die Europäische Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt. Was heißt das nun? Viel spricht dafür, dass Art. 17 I AEUV den Respekt des Unionsrechts vor den jeweiligen nationalen Vorgaben für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verlangt und als Datum nimmt, so dass auch europäische Rechtsakte wie etwa die Richtlinie 2000/78/EG diese Öffnung zugunsten der nationalen Vorgaben aufnehmen müssten. Dann wäre das grundgesetzliche Selbstbestimmungsrecht europarechtlich (wie alle jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelungen) zu respektieren.

Das wiederum führte zur brisanten Frage, ob Art. 4 II der RL 2000/78/EG dann nicht sogar selbst primärrechtswidrig wäre – eben weil hier eine entsprechende Anknüpfung jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Die Auffassung des Generalanwalts wäre es dann in jedem Fall. Der EuGH wird sich gerade damit auseinandersetzen müssen. 

Ab wann sind Tätigkeiten für kirchliche Einrichtungen "profan"?

Generalanwalt Tanchev ist nun offenbar einen anderen Weg gegangen, er lehnt nationale Sonderwege ab und will die zu beachtende Position der Kirchen über die in der gerichtlichen Abwägung notwendige Berücksichtigung von deren Ethos schützen – ein Terminus, der aus Art. 4 II RL 2000/78/EG abgeleitet ist. Offenbar sieht er keinen Konflikt der Gleichbehandlungsrichtlinie zu Art. 17 I AEUV, sondern "implantiert" die primärrechtliche Vorgabe abgeschwächt in deren Art 4 II.

Dieser Weg führt aber zu heiklen Folgefragen: Wo ist die Grenze, innerhalb derer die eigenen Vorgaben der Kirchen zu ihrem Ethos maßgeblich sind? In den Schlussanträgen heißt es nur, es bestehe ein weiter, aber "kein unbegrenzter" Spielraum für die Berücksichtigung im Hinblick auf die beruflichen Anforderungen. Konkret muss also jeweils geklärt werden, wo noch Verkündungsnähe besteht und wo der lediglich "profane" Bereich einer Tätigkeit in einer kirchlichen Einrichtung beginnt. Es muss damit eine Entscheidung über die religiöse Bedeutung einer Tätigkeit herbeigeführt werden, was aber gerade dann heikel wird, wenn man sich den Staat zu Recht als religiös inkompetent wünscht. Hier wird der Einzelfall maßgeblich.

Schließt sich der EuGH die Ansicht des Generalanwalts an, führte dies also zu einem Paradigmenwechsel im kirchlichen Arbeitsrecht: Das Europarecht stellt sich in einer bedeutsamen Einzelfrage gegen das bestehende kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland. Eine solche Entscheidung hätte Signalwirkung:  Der bekannte "Chefarzt-Fall" (BAG, Beschl. v. 28.07.2016, Az. 2 AZR 746/14 (A)) wurde etwa dem EuGH mit der Frage vorlegt, ob der kirchliche Arbeitgeber je nach Religionszugehörigkeit des Beschäftigten unterschiedlich intensive Loyalitätsobliegenheiten vorsehen darf. 

Der Autor Prof. Dr. Steffen Klumpp ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Erlangen.

Zitiervorschlag

EuGH-Schlussanträge zur Bewerberauswahl nach Religionszugehörigkeit: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25471 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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