Die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters durch einen katholischen Arbeitgeber wegen einer Wiederheirat kann eine verbotene Diskriminierung darstellen. Das entschied der EuGH. Die Konsequenzen der Entscheidung erläutert Michael Fuhlrott.
Wen der Arbeitnehmer liebt oder gar heiratet, ist seine Privatangelegenheit. Für kirchliche Arbeitnehmer gilt dies aber nicht, wie ein angestellter katholischer Chefarzt eines durch die Caritas betriebenen katholischen Krankenhauses am eigenen Leib erfahren musste. Da die Wiederheirat das Sakrament der Ehe verletzt, kündigte der kirchliche Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Wohl zu Unrecht, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) nunmehr entschied (Az. C-68/17). Für die Kirchen bedeutet das Urteil einen erheblichen Einschnitt in ihre Autonomie.
Die Kirchen genießen im deutschen Recht eine besondere Rolle. Diese ist einerseits historisch gewachsen, andererseits aber auch verfassungsrechtlich abgesichert. Nach Art. 140 Grundgesetz (GG) sind die Vorschriften der Weimarer Reichverfassung (WRV) über die Rechte der Kirchen Bestandteil des GG. Art. 137 Abs. 3 WRV gibt den Kirchen das Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbständig zu regeln. So sind Besonderheiten im Arbeitskampf wie etwa das fehlende Streikrecht und eine nur sehr gering ausgeprägte Mitbestimmung der Arbeitnehmergremien im Bereich der Kirchen zu erklären.
Anstelle von Betriebs- oder Personalräten bestehen dort sog. Mitarbeitervertretungen, die aber im Vergleich zum den intensiven im deutschen Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelten Mitbestimmungsrechten nur sehr abgeschwächte Beteiligungsrechte vorsehen. Streikende Arbeitnehmer widersprechen dem Bild der Kirche vom gemeinsamen Dienst am Nächsten – das hat das Bundesverfassungsgericht erst vor einigen Jahren bestätigt und eine Verfassungsbeschwerde von ver.di zurückgewiesen (BVerfG, Beschl. v. 15.07.2015, Az. 2 BvR 2292/13).
Sonderrolle auch im Kündigungsrecht
Auch im Kündigungsrecht können sich die Kirchen auf für sie geltende Besonderheiten berufen: Verstöße katholischer Arbeitnehmer gegen das Kirchenrecht, wie etwa das Sakrament der Ehe oder gelebte Homosexualität in Form der Eingehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, können als Pflichtverletzung angesehen werden. Mitarbeiter in katholischen Einrichtungen haben sich nämlich "an der Glaubens - und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten", wie es die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse". Verstöße können im Extremfall auch eine Kündigung nach sich ziehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der betroffene Arbeitnehmer eine sog. "verkündungsnahe" Tätigkeit ausübt und damit einer besonderen Loyalitätspflicht gegenüber seinem kirchlichen Arbeitgeber unterliegt.
Ein Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus, der als wichtiger Repräsentant des Arbeitgebers fungiert und demnach eine exponierte Stellung aufweist, muss sich daher an die kirchlichen Regeln halten. Tut er es nicht, droht ihm die Kündigung. Die Diskriminierungsvorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) finden insoweit keine Anwendung.
Der wiederverheiratete katholische Chefarzt wehrte sich aber gegen seine Kündigung. Vor Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 8.9.2011, Az. 2 AZR 543/10) war er auch zunächst erfolgreich: Zwar könne die Wiederheirat eines in einem katholischen Krankenhaus angestellten Chefarztes eine Kündigung im Grundsatz rechtfertigen. Allerdings seien, so die Gerichte, die staatlichen Gerichte dennoch zur eigenen Prüfung verpflichtet, ob nach kirchlichem Verständnis ein schwerer Loyalitätsverstoß vorliege. Auch sei eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers unumgänglich. Hiernach gelangten die Arbeitsgerichte zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Dabei wollte es das katholische Krankenhaus aber nicht bewenden lassen und legte Verfassungsbeschwerde ein: Die Gerichte hätten die kirchliche Autonomie und den Prüfungsmaßstab der Kirchen nebst Beurteilungsprärogative verkannt. Zurecht, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied. Unter Verweis auf die nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfung von Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen durch staatliche Gerichte hob das BVerfG damit das Urteil des BAG auf (Beschl. v. 22.10.2014, Az. 2 BvR 661/12). Das BAG überzeugten diese Argumente der Verfassungsrichter aber nicht. Es legte daraufhin die Sache dem EuGH vor und wollte wissen, ob die Kirche selbst verbindlich bestimmen könne, welche Anforderungen an loyales und aufrichtiges Verhalten von im Kirchendienst beschäftigten Arbeitnehmern zu richten seien (Beschl. v. 28.7.2016, Az. 2 AZR 746/14 (A)).
EuGH: Kein Freibrief für Kirchen
Der EuGH urteilte nunmehr weitestgehend im Sinne des Chefarztes. Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung könne eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Die Entscheidung einer Kirche an ihre leitenden Mitarbeiter bestimmte Anforderungen im Sinne der kirchlichen Vorgaben zu stellen, müsse Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein. Die nationalen Gerichte müssten bei dieser Kontrolle prüfen, ob die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle.
Das BAG müsse daher zwar nochmals prüfen, ob dies im Fall des Chefarztes der Fall sei. Das vom EuGH für richtig befundene Ergebnis dieser Prüfung lassen die Luxemburger Richter aber auch bereits anklingen: Es erscheine dem Gerichtshof zweifelhaft, ob die Akzeptanz des von der katholischen Ehe befürworteten Eheverständnisses für die ärztliche Tätigkeit des Chefarztes wirklich eine wesentliche berufliche Anforderung darstelle. Für die von diesem ausgeübte ärztliche Tätigkeit erscheine es nicht als notwendig, das katholische Eheverständnis zu befolgen. Nach der dem EuGH vorliegenden Akte erweise sich diese Anforderung daher als nicht gerechtfertigt. Ebenfalls müsse das BAG noch prüfen, ob durch womöglich eine Beeinträchtigung des Ethos oder des Rechts auf Autonomie der Kirche wahrscheinlich und erheblich sei.
Der Ausgang der heutigen Entscheidung des EuGH kam nicht unerwartet. Bereits die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts Waltheret (Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH v. 31.5.2018, Az. C-68/17) gaben eine Vorahnung, dass der EuGH der besonderen Rolle der Kirchen enge Grenzen setzen könnte. Waltheret hatte ebenfalls ausgeführt, dass eine Ungleichbehandlung wegen der Religion nur dann nicht als Diskriminierung anzusehen sei, wenn die Religion für die Art der Tätigkeit und ihre Ausübung eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung" darstelle. Bei einem katholischen Chefarzt sei die Befolgung kirchlicher Vorgaben zur Wiederheirat keine solche Anforderung.
Hat das BVerfG das letzte Wort?
Die heutige Entscheidung liegt zudem auf der Linie eines erst kürzlich vom EuGH entschiedenen Falles zum kirchlichen Arbeitsrecht: Erst im April dieses Jahres hatten die Luxemburger Richter geurteilt, dass die Kirchen nicht frei in der Festlegung von Stellenprofilen für Bewerber sind (Urt. v. 17.4.2018, Az. C-414/16). Das Verlangen einer Kirchenzugehörigkeit sei bei Stellenausschreibungen nur dann erlaubt, wenn dies für die Ausübung der Tätigkeit eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" darstelle, was von staatlichen Gerichten voll überprüfbar sei.
Wie die deutschen Gerichte die Vorgaben aus Luxemburg im Einzelnen umsetzen werden, bleibt mit Spannung zu erwarten. Der den nationalen Gerichten verbleibende Spielraum ist aber nicht allzu groß, sind die Vorgaben des EuGH doch recht detailliert. Kirchliche Arbeitgeber werden sich nunmehr künftig bei Vornahme arbeitsrechtlicher Maßnahmen eine Prüfung durch staatliche Gerichte dahingehend gefallen lassen müssen, ob das kanonische Recht und ihre internen Vorgaben jeweils Ausfluss einer gerechtfertigten beruflichen Anforderung sind. Die Grundordnung kann folglich so wie bisher nicht mehr angewendet werden. All dies stellt einen empfindlichen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der internen Organisationshoheit der Kirchen dar.
Es ist daher davon auszugehen, dass nicht die nationalen Arbeitsgerichte, sondern erneut das BVerfG auf Anrufung durch die Kirchen in Deutschland das letzte Wort haben wird. Dies hatte in seiner vormaligen Befassung mit dem Chefarzt-Fall bereits auf die große verfassungsrechtliche Bedeutung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts hingewiesen. Hierbei ist im Ergebnis alles möglich: So ist es möglich, dass das BVerfG die neuerlichen Vorgaben aus Luxemburg als mit der deutschen Verfassung für vereinbar ansieht und Vorgaben für deren Umsetzung in Deutschland vorschreibt. Genauso ist es aber möglich, dass die Verfassungsrichter in letzter Konsequenz den Vorrang des Unionsrechts vor dem Grundgesetz erneut diskutieren und bewerten. Bislang geht in Deutschland das Unionsrecht auch dem deutschen Grundgesetz vor. Dies gilt jedenfalls solange, wie durch das Europäische Recht und die Rechtsprechung des EuGH ein wirksamer Grundrechtsschutz generell gewährleistet wird, der mit dem Schutzniveau des Grundgesetzes "im wesentlichen gleichzuachten ist" (sog. "Solange-Rechtsprechung", Beschl. v. 22.10.1986, Az.: 2 BvR 197/83). Sollte das BVerfG meinen, dass die aktuelle Entscheidung des EuGH dies nicht mehr gewährleistet und wesentlich unterhalb des deutschen Schutzniveaus liegt, dann käme dem heutigen Urteil eine über das Arbeitsrecht weit hinausgehende Bedeutung und Sprengkraft zu.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Hamburg.
EuGH zur Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30859 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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