Löschpflichten von Host-Providern: Lässt der EuGH Face­book und Co. aus der Ver­ant­wor­tung?

Gastbeitrag von Elena Lehrke

13.02.2019

Die Löschpflichten sozialer Netzwerke werden nach wie vor heiß diskutiert. Eine Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs könnte nun das Ende der deutschen Störerhaftung für Host-Provider wie Facebook bedeuten, meint Elena Lehrke.

Müssen Plattformbetreiber ihre Portale aktiv nach rechtswidrigen Inhalten durchforsten? Am heutigen Mittwoch geht der Europäische Gerichtshof (EuGH) genau dieser Frage nach, wenn er über eine Vorlage aus Österreich verhandelt, welche die Störerhaftung von Host-Providern grundsätzlich in Frage stellt. Facebook und andere Plattformbetreiber könnten in Zukunft nur noch verpflichtet sein, konkret beanstandete Posts zu löschen, ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Konkret geht es um das Verbot, Anbietern von Internetdiensten allgemeine Verpflichtungen zur Überwachung von Informationen und proaktive Nachforschungspflichten aufzuerlegen. Dazu hat der Österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) den EuGH zur Auslegung des Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie angerufen.

Eine österreichische Politikerin war auf Facebook u.a. als "korrupter Trampel" und "miese Volksverräterin" bezeichnet worden. Die Politikerin verklagte Facebook auf Unterlassung. Die Vorinstanz verpflichtete die Plattform nicht nur, die Veröffentlichung von konkret beanstandeten Kommentaren zu unterlassen, sondern auch wort- und sinngleiche Inhalte zu löschen (Oberlandesgericht Wien, Beschl. v. 26.04.2017, 5 R 5/17t). Der OGH legte dem EuGH die Frage vor, ob letzteres den Mitgliedsstaaten verboten sei. Darüber hinaus möchte der OGH wissen, ob eine Verpflichtung zur Nachforschung territorial oder auf den jeweiligen Autor der Information zu begrenzen sei.

Die Brisanz der Vorlagefrage besteht auch in der Reichweite der anstehenden Entscheidung. Eine weite Auslegung des Verbots proaktiver Verhinderungspflichten – also aktiv nach rechtswidrigen Inhalten zu suchen – würde sich nicht auf Social Media-Anbieter beschränken, sondern beträfe auch andere Anbieter von Internetdiensten, etwa Plattformbetreiber wie Ebay, ebenso wie Sharehoster, also Plattformen, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke unmittelbar und ohne vorherige Anmeldung gespeichert werden können.

BGH legt Verbot eng aus     

Das Verbot, Anbietern solche proaktive Verhinderungspflichten aufzuerlegen – in Deutschland umgesetzt in § 7 Absatz 2 Telemediengesetz – wird in der deutschen Rechtsprechung bislang eng ausgelegt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) haftet der Host-Provider grundsätzlich nicht für fremde Inhalte, er ist also kein Gehilfe, sondern allenfalls mittelbarer Störer. Ihn trifft daher keine allgemeine proaktive Prüfungspflicht von Inhalten (BGH, Urt. v. 27.02. 2018, Beschl. v. VI ZR 489/16).

Wird er jedoch auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen, kann der Provider verpflichtet werden, auch gleichartigen Rechtsverletzungen vorzubeugen. Nach dem Verständnis des BGH handelt es sich hierbei um eine spezifische Verhinderungspflicht, die an die vorherige Anzeige des rechtswidrigen Inhalts anknüpft. Sie verstoße daher nicht gegen Artikel 15 der E-Commerce Richtlinie (BGH, Urt. v. 18.11.2010, Az. I ZR 155/09). Die von einem Anbieter in diesem Zusammenhang zu ergreifenden Maßnahmen seien abhängig vom konkreten Einzelfall und Ausdruck einer Interessenabwägung am Maßstab der Zumutbarkeit für den Anbieter. Der BGH hat daher im Fall von Sharehostern angenommen, dass sowohl wort- als auch hashwert-basierte Filter und eine händische Nachkontrolle zumutbar sein können (BGH, Urt. v. 12.07.2012, Az. I ZR 18/11; LG Hamburg, Urt. v. 20.04 2012, Az. 310 O 461/10). Missachtet der Anbieter die im Einzelfall zumutbaren Verhinderungsmaßnahmen, haftet er als Störer und hat insbesondere die Kosten einer Abmahnung zu erstatten.

Der BGH weiß um die essentielle Bedeutung von Suchmaschinen für die Nutzbarmachung des Internets und hat sich deshalb diesbezüglich klar gegen allgemeine Kontrollpflichten positioniert (BGH, Urt. v. 27.02 2018, Az. VI ZR 489/16). Auch Social Media-Anbieter können als neue Medien der Meinungsfreiheit und politischen Partizipation eine wichtige Funktion innerhalb einer Demokratie erfüllen. Die ihnen inhärenten Gefahren wurden in der Vergangenheit allerdings ebenfalls deutlich.

BGH-Rechtsprechung auf dem Prüfstand

Die Entscheidung des EuGH könnte die deutsche Auslegung des Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie nun aber zunichtemachen. Sollte der EuGH das Verbot allgemeiner Verhinderungspflichten weit auslegen, könnten die Provider womöglich nicht mehr verpflichtet werden, Maßnahmen zu ergreifen, um gleichartige Verletzungen zu verhindern. Der BGH könnte an seiner derzeitigen Rechtsprechung nicht festhalten.

Ein Beispiel: Ein Sharehoster, auf dessen Website urheberrechtsverletzende Filmdateien angeboten werden, könnte lediglich verpflichtet werden, die konkret von dem Inhaber des Urheberrechts bezeichneten Dateien zu entfernen. Inhaltsgleiche Dateien, die einen anderen Dateinamen haben oder von einem anderen Nutzer bereitgestellt wurden, müssten nicht aufgespürt und entfernt werden.

Sofern der EuGH das Verbot proaktiver Verhinderungspflichten hingegen eng auslegt, ergeben sich wohl keine Widersprüche zur hiesigen Rechtsprechung.

Eine solche Entscheidung erscheint auch durchaus möglich: Der EuGH hat in einem anderen Verfahren entschieden, dass von einem Anbieter auch Maßnahmen erwartet werden, die nicht nur zur Beendigung von Rechtsverletzungen, sondern auch zur Vorbeugung erneuter derartiger Verletzungen beitragen (EuGH, Urt. v. 12.7.2011, Az. C-324/09 Rn. 144 - L‘Oreal/Ebay). Für diese Auslegung sprechen auch die Erwägungsgründe der E-Commerce-Richtlinie. Danach ist es den Mitgliedstaaten unbenommen, in spezifischen Fällen Anbietern Überwachungspflichten aufzuerlegen.

Eindeutige Entscheidung zum Umfang der Verhinderungspflichten nicht zu erwarten

Im Hinblick auf den Umfang möglicher Verhinderungspflichten wäre eine eindeutige Entscheidung des EuGH eine Überraschung. Ob diese territorial oder auf einen konkreten Nutzer begrenzt werden müssen, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und sollte sich an der Zumutbarkeit für den beklagten Host-Provider orientieren. Konkrete Kriterien, anhand derer die Zumutbarkeit bewertet werden kann, lässt auch die Rechtsprechung des BGH bisher vermissen.

Die Vorlagefrage des OGH steht in fundamentaler Diskrepanz zu der aktuellen Diskussion, Host-Provider stärker in die Verantwortung für fremde Inhalte zu nehmen. Die Europäische Kommission hat hierzu im letzten Jahr eine nicht rechtsverbindliche Empfehlung ausgesprochen (Empfehlung (EU) 2018/334 der KOM vom 1. März 2018). Empfohlen wurden darin u. a. proaktive Verhinderungsmaßnahmen, beispielsweise durch automatische Filtersysteme. Zudem kündigte die Kommission weitere Maßnahmen an, sollten die Empfehlungen an die Anbieter keine Wirkung zeigen.

Somit steht nun nicht nur die traditionelle Zuweisung der Verantwortlichkeit für fremde Inhalte im deutschen Recht auf dem Prüfstand. Die Entscheidung des EuGH dürfte auch Auswirkungen auf die generelle Regulierung von Host-Providern in diesem Bereich haben.

Elena Lehrke ist Rechtsanwältin bei Noerr LLP in Berlin. Sie berät zu Rechtsfragen der Digitalisierung.

Zitiervorschlag

Löschpflichten von Host-Providern: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33825 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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