Um den subsidiären Schutzstatus zu verweigern, darf nicht allein auf ein gegen den Antragsteller ausgesprochenes Strafmaß abgestellt werden. Der EuGH fordert eine Einzelfallabwägung.
Einem Ausländer kann der subsidiäre Schutz verweigert werden, wenn er sich strafbar gemacht hat. Das sieht schon Art. 17 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) vor. Allerdings darf dazu nicht allein auf das Strafmaß nach dem nationalen Recht abgestellt werden, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 13.09.2018, Az. C-369/17). Die nationalen Behörden müssten vielmehr alle besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles bewerten.
Auslöser für die Entscheidung war eine Vorlage durch ein ungarisches Gericht, nämlich das Verwaltungs- und Arbeitsgericht in Budapest. Ein Afghane war im Jahr 2000 in Ungarn als Flüchtling anerkannt worden. Der Status wurde ihm aberkannt, als die ungarischen Behörden 2014 zu dem Schluss kamen, dass die Verfolgungsgefahr für den Kläger weggefallen sei. Ein erneuter Antrag 2016 wurde abgelehnt, weil der Mann nach ungarischen Recht eine Straftat begangen hatte, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht ist. Welche, ist nicht bekannt. Die Ungarn erkannten jedenfalls auf Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach Art. 17 der Qualifikationsrichtlinie, die der Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt hat. Zugleich sprachen die ungarischen Behörden jedoch ein Abschiebungsverbot aus.
Ausschlussgrund heißt nicht gleich Abschiebung
Insofern scheint die Systematik des ungarischen Rechts ähnlich derjenigen in Deutschland zu sein. Auch in Deutschland kommt es vor, dass durch die Anwendung der europarechtlich geprägten Vorschriften zum Flüchtlingsschutz sowie zum subsidiären Schutz Schutzlücken entstehen, weil etwa in der Person eines Flüchtlings persönliche Ausschlussgründe vorliegen, eine Abschiebung im konkreten Fall aber gleichwohl nicht zumutbar ist.
Auch in Deutschland werden diese Fälle durch sogenannte Abschiebungsverbote aufgefangen, die nicht im Recht der Europäischen Union verankert sind, sondern sich aus nationalem Recht ergeben. Einfachgesetzlich sind diese Abschiebungsverbote in § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) geregelt. Sie wurzeln im Grundgesetz, insbesondere dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, und auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Herr Ahmed hat nun jedoch Klage gegen die Entscheidung der ungarischen Behörden erhoben. Das ungarische Gericht wollte nun vom EuGH wissen, ob alleine aus der Tatsache, dass eine Straftat mit einem bestimmten Strafmaß bedroht ist, auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes für den subsidiären Schutzstatus geschlossen werden kann.
EuGH bleibt bei seiner Linie
Der EuGH betonte, langfristiges Ziel der Qualifikationsrichtlinie sei die Vereinheitlichung der beiden Schutzstatus, also des Flüchtlingsschutzes einerseits und des subsidiären Schutzes andererseits. Eine Differenzierung zwischen diesen Schutzstatus sei gerade nicht im Sinne der Richtlinie. Daher sei die Rechtsprechung zum Flüchtlingsschutz auf den subsidiären Schutz zu übertragen. Eine schematische Anwendung des Ausschlussgrundes, die alleine aus dem Vorliegen eines Straftatbestandes mit einem bestimmten Mindeststrafmaß auf das vorliegen eines Ausschlussgrundes schließt, verbiete sich daher.
Der EuGH hatte bereits in einem deutschen Fall entschieden, dass ein türkischer Staatsangehöriger wegen einer Zugehörigkeit zur PKK nicht automatisch vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen werden darf. Vielmehr müssten die Behördensämtliche Umstände des Einzelfalles berücksichtigen (EuGH, Urt. v. 09.11.2010, Az. C-57/09 u. C-101/09).
Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass der Kläger jetzt subsidiären Schutz erhalten wird. Vielmehr obliegt es nun dem ungarischen Gericht, dass vorliegend des Ausschlussgrundes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen.
Deutschland hat abgeschrieben
Auch der deutsche Gesetzgeber hat die hier maßgeblichen Art. 17 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie in § 4 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) in das nationale Recht übernommen. Da sich der deutsche Gesetzgeber dabei darauf beschränkt hat, die Vorschrift sinngemäß "abzuschreiben", und ihre nähere Auslegung der Rechtsprechung überlassen hat, muss der Gesetzgeber hier keine Anpassungen vornehmen.
Zu berücksichtigen ist die Rechtsprechung des EuGH freilich durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Verwaltungsgerichte. Viel ändern wird sich durch die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs an der Situation in Deutschland dennoch nicht. Dies liegt schon daran, dass sich die praktische Relevanz der Vorschrift insgesamt in engen Grenzen hält.
Der Autor Marcel Keienborg ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Uni Düsseldorf. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist das Migrationsrecht.
EuGH zu Schutzstatus nach Straftat: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30919 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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