EuGH zum Urheberrechtsschutz: Über Gesch­mack lässt sich doch streiten

Gastbeitrag von Dr. Heike Blank und Martin-Lukas Landmann

14.11.2018

Kein Urheberschutz für einen Geschmack, das hat der EuGH für den Fall eines Streichkäses nun entschieden. Das Gericht bewahrte die Lebensmittelindustrie damit vor einer Revolution, erläutern Heike Blank und Martin-Lukas Landmann

Dass menschliches Geschmacksempfinden subjektiv ist, bewahrt die Lebensmittelindustrie vor einer Revolution: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass der Geschmack eines Lebensmittels nicht urheberrechtlich geschützt ist (Urt. v. 13.11.2018, RechtssacheC-130/17, Levola Hengelo BV / Smilde Foods BV).

Im Ausgangsverfahren streiten zwei niederländische Lebensmittelhersteller über den Geschmack von Streichkäse, genauer gesagt um seine urheberrechtliche Schutzfähigkeit. Es handelt sich um einen typischen Konflikt in der Branche: Auf der einen Seite steht der Hersteller des Markenartikels, auf der anderen Seite der Hersteller des später eingeführten Nachahmerprodukts (sog. "me-too-Produkte").

Der Markenartikel wird unter dem Namen "Heks'nkaas" von der Levola Hengelo BV (Klägerin) seit 2012 produziert und über niederländische Supermärkte vertrieben. Laut der Klägerin stammt das Originalrezept des "Heks'nkaas" von einem niederländischen Gemüse- und Frischwarenhändler. Von diesem hat sie sich 2011 sämtliche Rechte, einschließlich des Urheberrechts in Bezug auf Rezept, Zubereitungsmethode und die geschmacksempfindlichen Merkmale des Streichkäses gegen eine Umsatzbeteiligung exklusiv gesichert. Bereits ein Jahr nach der Markteinführung verkaufte die Klägerin vier Millionen Becher "Heks'nkaas" über Supermärkte in den Niederlanden.

2014 brachte die Smilde Foods BV (Beklagte) sodann ihren Streichkäse mit dem Namen "Witte Wievenkaas" auf den Markt und vertreibt ihn seit dem vor allem über den Discounter Aldi.

Klägerin legt schutzwürdige Geschmackskomponenten nicht dar

Levola Hengelo ist der Auffassung, dass der Geschmack des "Witten Wievenkaas" eine unberechtigte urheberrechtliche Vervielfältigung des Geschmacks ihres "Heks'nkaas" darstellt. Daher verlangte sie vor einem niederländischen Gericht von der Smilde Foods den Vertrieb zu unterlassen und Schadensersatz zu leisten. Das Gericht wies die Klage jedoch ab. Die niederländischen Richter taten dies jedoch nicht mangels urheberrechtlicher Schutzfähigkeit des Geschmacks. Vielmehr habe die Klägerin, nach Auffassung des Gerichts, nicht hinreichend dargelegt, welche Elemente des Geschmacks den urheberrechtlichen Schutz des "Heks'nkaas" denn nun genau begründeten. Die Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit konnte nach Auffassung des Gerichts daher offen bleiben.

Anders die Berufungsinstanz Arnhem-Leeuwarden (Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden): Auf die Berufung der Klägerin stellte das Gericht fest, dass es für den Rechtsstreit genau auf die Frage ankomme, ob der Geschmack eines Lebensmittels urheberrechtlich geschützt sein könne. Dabei handele es sich auf Grund der (Teil-)Harmonisierung des Urheberrechts vor allem um eine Frage der Auslegung von Unionsrecht. Da die Rechtsprechung der nationalen Obergerichte in der Union in Bezug auf die vergleichbare Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Düften außerdem uneinheitlich sei, legte das Gericht dem EuGH die Frage vor, ob der Geschmack eines Lebensmittels nach Unionsrecht urheberechtlichen Schutz genieße und die nationalen Vorschriften entsprechend ausgelegt werden müssen.

Kein Urheberrechtsschutz für Lebensmittelgeschmack

Das verneinte der EuGH nunmehr und schloss sich damit im Ergebnis der ablehnenden Auffassung des Generalanwalts Melchior Wathelet in seinem Schlussantrag vom 25. Juli 2018 an.Der Geschmack ist nach Auffassung des EuGH kein urheberrechtliches "Werk" im Sinne der Richtlinie 2001/29, da er als einer der fünf menschlichen Sinne nicht so präzise objektiviert werden könne, wie dies etwa bei akustischen oder optischen Wahrnehmungen der Fall sei. Nach Auffassung des Gerichts liege bei literarischen und bildnerischen, aber auch bei filmischen und musikalischen Werken eine solch präzise Ausdrucksform vor. Dadurch könne das Werk objektiv identifiziert werden.

Der Geschmack dagegen kann nicht so dargestellt werden, dass seine Besonderheiten durch jedermann gleich festgestellt und damit von anderen Geschmäckern einheitlich abgegrenzt werden können. Das Rezept eines Lebensmittels ist hierzu in jedem Fall nicht geeignet, da es nur den Weg zum Ziel beschreibt, nicht aber das Ergebnis selbst. Da aber weder Ideen noch Verfahren und Arbeitsweisen urheberrechtlichen Schutz genießen, sondern nur die auf ihren basierenden Ausdrucksformen – eben das Werk –, mag das Rezept Schutz als Geschäftsgeheimnis genießen, nicht aber denjenigen des Urheberrechts.

Weder das menschliche Empfinden noch technische Mittel sind geeignet, den Geschmack genau und objektiv zu identifizieren. Beim Menschen ist das Geschmacksempfinden durch Alter, Ernährungsvorlieben und Konsumgewohnheiten so unterschiedlich entwickelt, dass dies nach Auffassung des Gerichts der Objektivierung entgegensteht. Ergänzend begründet der EuGH seine Entscheidung damit, dass es zumindest gegenwärtig auch mit technischen Mitteln nicht möglich sei, den Geschmack eines Lebensmittels genau und objektiv zu identifizieren.

Geschmack dank technischer Entwicklung zukünftig doch ein Werk?

Der EuGH erspart es damit einer gesamten Branche, die Herstellung und Vermarktung jedes einzelnen Produkts neu zu legitimieren: Wäre urheberrechtlicher Schutz des Geschmacks anerkannt worden – und sogar für ein Allerweltsprodukt wie Streichkäse –, so wäre wohl jedes verarbeitete Lebensmittel in der EU auf den Prüfstand gekommen: Wer hat den Geschmack entwickelt? Was gilt im Falle von Parallelschöpfungen? Haben die Unternehmen die erforderlichen Rechte von ihren Arbeitnehmern erworben?

Neue Markteinführungen wären damit noch schwieriger geworden, als sie es ohnehin sind, da es Register und andere zuverlässige Recherchemöglichkeiten für Geschmäcker von Lebensmitteln nicht gibt.

Die Entscheidung des EuGH lässt allerdings auch erkennen, dass sich diese Fragen künftig doch noch stellen könnten. Wenn nämlich die technische Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass der Lebensmittelgeschmack "gemessen" werden kann. Dann wäre es unter Umständen möglich einen Geschmack objektiv zu beschreiben und festzustellen, ob er die Kopie eines anderen ist. Durch eine solche technische Weiterentwicklung könnte das Ergebnis der Lebensmittelherstellung zu einer eigenständigen urheberrechtlichen Ausdrucksform werden und – ausgehend von den Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung – doch noch als Werk im Sinne des Unionsrecht zu qualifizieren sein. Wann ein Geschmack allerdings dann die für einen Schutz außerdem notwendige Schöpfungshöhe aufweisen würde und ob dies sogar im Falle eines Streichkäses der Fall sein könnte, lässt das Urteil des EuGH nicht erkennen.

Dr. Heike Blank ist Rechtsanwältin und Partnerin und auf die Gebiete Lebensmittel-, Wettbewerbs-, Pharma-, Kosmetik- und Markenrecht spezialisiert. Martin-Lukas Landmann ist Rechtsanwalt und hat seinen Fokus im Urheber- und Medienrecht. Beide beraten vom Kölner Standort der Kanzlei CMS Deutschland.

Zitiervorschlag

EuGH zum Urheberrechtsschutz: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32067 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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