Das österreichische Justizsystem genügt den Anforderungen zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls. Obwohl auch die Staatsanwälte dort Weisungen des Ministers unterstehen, sieht der EuGH einen relevanten Unterschied zum deutschen System.
Auch Staatsanwaltschaften, die Anordnungen oder Einzelweisungen der Exekutive unterliegen, können unabhängig genug sein, um Europäische Haftbefehle auszustellen. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch zum österreichischen System, das die Richter für ausreichend erachten. Sie stellen dabei darauf ab, ob der Haftbefehl von einem Gericht bewilligt wird, das in Kenntnis der gesamten Sachlage eine eigene, unabhängige und objektive Entscheidung trifft, die dem Haftbefehl seine endgültige Form gibt (EuGH, Urt. v. 09.10.2019, Az. C-489/19 PPU).
Damit gehen die Richter in Luxemburg in die Feinjustierung ihrer Rechtsprechung zum Europäischen Haftbefehl (EuHB) in der Union. Mit dem Kammergericht Berlin hatte ausgerechnet ein deutsches Gericht die Frage vorgelegt, ob ein von der Staatsanwaltschaft Wien erlassener EuHB den Anforderungen genügt, die der EuGH im Mai dieses Jahres aufgestellt hatte – und in Deutschland nicht erfüllt sah.
Anders nun also in Österreich, wo der EuGH eine umfassende Überprüfung der Voraussetzungen des Haftbefehls durch ein Gericht sieht, bevor dieser Rechtswirkungen entfaltet und übermittelt werden kann.
Warum Deutschland strukturell nicht unabhängig ist
Der EuHB beruht auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten die Entscheidungen ihrer Justizbehörden untereinander anerkennen und möglichst schnell und unkompliziert umsetzen. Das System basiert auf gegenseitigem Vertrauen zwischen den Behörden der EU-Staaten. So können sich die Strafverfolgungsbehörden direkt an ihre Kollegen in einem anderen EU-Staat wenden, ohne dass sie ein kompliziertes Auslieferungsverfahren durchführen müssten. Das gilt, wenn es um die Strafverfolgung von Taten geht, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht, bzw. auch dann, wenn jemand bereits verurteilt ist und eine Freiheitsstrafe von mindestens vier Monaten vollstreckt werden soll.
Im Mai 2019 entschied die Große Kammer des EuGH, dass die deutschen Staatsanwaltschaften keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive böten. Es bestehe die strukturelle Gefahr, dass die Behörde, die den EUHB ausstellt, in ihrer Entscheidung durch Weisungen oder Anordnungen der Exekutive beeinflusst werde.
In Deutschland stellt in der Regel ein Staatsanwalt den Europäischen Haftbefehl aus. Die deutschen Staatsanwaltschaften unterliegen der Weisungsbefugnis der Justizministerien auf Landesebene. Zudem entscheidet nach deutschem Recht traditionell kein Gericht unmittelbar über den Erlass eines EuHB, sondern ein Gericht erlässt einen nationalen Haftbefehl, auf dem der EuHB dann basiert. Das reichte dem EuGH nicht.
Ein Gericht kann es richten
Das österreichische System beurteilen die Richter anders. Obwohl auch die dortigen Staatsanwälte den Anordnungen oder Einzelweisungen des Bundesministers der Justiz unterliegen, könnten sie einen EuHB ausstellen, so der EuGH.
Er definiert dabei die Voraussetzungen für die unabhängige Ausstellung eines EuHB: Bevor der Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft übermittelt wird, muss er von einem Gericht komplett inhaltlich überprüft und bewilligt worden sein, stellt der EuGH klar. Dieses Gericht müsse "Zugang zur gesamten, etwaige Anordnungen oder Einzelweisungen der Exekutive enthaltenden Ermittlungsakte haben" und "in unabhängiger und objektiver Weise prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausstellung der Haftbefehle vorliegen und ob sie verhältnismäßig sind", heißt es in dem Urteil. Das Gericht müsse also, "eine eigenständige Entscheidung treffen, die den Haftbefehlen ihre endgültige Form gibt".
Die Zugriffsmöglichkeit der Exekutive allein reicht dem EuGH also nicht aus, um dem System die Unabhängigkeit abzusprechen. Er stellt klar, dass es ausreicht, wenn neben der Staatsanwaltschaft als übermittelnder Behörde auch noch ein – seinerseits ja unabhängiges – Gericht komplett eigenständig Voraussetzungen und Verhältnismäßigkeit des Erlasses eines EuHB prüft.
Die deutsche Bundesregierung dürfte sich nach dem heutigen Urteil in ihrer Annahme bestätigt sehen, dass nach der EuGH-Entscheidung aus Mai kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Das Bundesjustizministerium hatte die Länder lediglich angewiesen, EuHB künftig durch einen Richter ausstellen zu lassen. Ein Argument gegen das umstrittene Weisungsrecht der Justizministerien gegenüber den deutschen Staatsanwaltschaften ist mit dem heutigen Tag jedenfalls weggefallen.
EuGH billigt Europäischen Haftbefehl aus Wien: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38083 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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