EuGH zur Richterbesoldung: Keine Dis­kri­mi­nie­rung durch das neue Ber­liner Besol­dungs­recht

Das aktuelle System der Berliner Richterbesoldung ist unionsrechtskonform. Mit seiner Entscheidung vom Mittwoch bestätigt der EuGH  seine großzügige Linie, stellt jedoch Manches in das Ermessen der nationalen Gerichte, erklärt Stephan Pötters.

Mit dem Urteil von Mittwoch (Az. C-20/13 Rs. Unland) bestätigt der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine zuvor bereits in der Rechtssache "Specht" (v. 19.06.2014, Az. C-501/12 u.a.) begründete Haltung, die dem Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum bei der Rechtfertigung mittelbarer Altersdiskriminierungen einräumt. Die für die betroffenen Richter spannende Frage nach Schadensersatzforderungen bzw. Entschädigungsansprüche aufgrund von Diskriminierungen durch das frühere Besoldungssystem müssen jedoch die nationalen Gerichte entscheiden.

Das alte Recht hatte eine anhand des Lebensalters gestaffelte Besoldung vorgesehen. Damit verstieß es gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, welches durch die Richtlinie 2000/78/EG und als Unterfall des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. Art. 20, 21 EU-Grundrechtscharta) garantiert wird.

Besoldungsanstieg nach Erfahrungsstufen rechtmäßig

Rechtmäßig ist hingegen ein Modell, bei dem Gehalt oder Besoldung an die Beschäftigungs- bzw. Dienstzeit gekoppelt sind. Darin liegt zwar eine mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Alters, diese ist aber durch das legitime Ziel der Entlohnung von steigender Erfahrung gerechtfertigt (s. bereits EuGH, Urt. v. 27.04.2006, Az. C-15/05, Rs. Cadman; Urt. v. 08.09.2011, Az. C-297/10, Rs. Hennigs und Mai).

In vielen Mitgliedstaaten wurden daher die unterschiedlichen Besoldungs- und Vergütungssysteme grundlegend reformiert und von einem altersbasierten auf einen erfahrungsbasierten Anstieg umgestellt. Um die finanziellen Belastungen gering zu halten, schuf man in Deutschland Übergangsregelungen, durch die eine "Anpassung nach oben" vermieden und gleichzeitig die bislang Privilegierten vor Einkommensverlusten geschützt werden sollten.

Pech für Österreich, Glück für Deutschland

Der EuGH entschied schon vor ziemlich genau vier Jahren, dass eine solche Übergangsregelung zwar die durch das Altsystem bedingte Diskriminierung fortschreibe, dies aber durch das legitime Ziel der Besitzstandswahrung gerechtfertigt sei (Urt. v. 08.09.2011, Az. C-297/10, Rs. Hennigs und Mai).

In dem späteren Verfahren in der Rechtssache Specht ging es um eine vergleichbare Regelung im Berliner Besoldungsrecht, die vor dem EuGH ebenfalls bestehen konnte (Urt. v. 19.06.2014, Az. C-501/12). Dem Gesetzgeber wurde ein weiter Ermessensspielraum bei der Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen eingeräumt. Dabei ließ der EuGH durchblicken, dass er auch einen schwer zu bewältigenden administrativen Aufwand, der bei der rückwirkenden Anwendung des neuen Systems entstanden wäre, neben dem Ziel der Besitzstandswahrung bei der Rechtfertigung einer Übergangsregelung berücksichtigt.

In Österreich gab es ähnliche Reformen, die aber nicht die Billigung der Luxemburger Richter fanden (EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Az. C-530/13 Rs. Schmitzer; Urt. v. 28.1.2015 – C-417/13, Rs. Starjakob). Der von Österreich ebenfalls beklagte administrative Aufwand verfing als Argument nicht und das legitime Ziel der Besitzstandswahrung konnte nach Ansicht des EuGH eine "endgültige" Festschreibung der diskriminierenden Effekte des Altsystems nicht rechtfertigen. Zwar gab es durchaus Unterschiede zwischen den deutschen und österreichischen Regelungen, dennoch war es überraschend, dass der EuGH eine im Ergebnis deutlich strengere Linie als bei den deutschen Vorlagen verfolgte.

Zurück auf Los:  Bestätigung von Specht

Diese strikte Rechtsprechung hat er mit dem heutigen Urteil in der Rechtssache Unland nicht fortgeführt. Die beiden gegen Österreich ergangenen Entscheidungen werden kein einziges Mal zitiert, stattdessen wird 13 Mal auf das frühere, für Deutschland günstige Urteil in der Sache Specht verwiesen. Für das deutsche Besoldungsrecht bleibt also alles beim Alten: Ein Anstieg nach Erfahrungszeiten ist rechtmäßig, eine Überleitungsregelung (im Fall: § 5 BerlBesÜG), durch die diskriminierende Effekte von Altersstufen des vorherigen Systems perpetuiert werden, kann aus Gründen der Besitzstandswahrung gerechtfertigt sein.

Ein bislang noch nicht entschiedener Aspekt war, dass die Überleitungsregelung auch hinsichtlich des künftigen Anstiegs nach Erfahrungszeiten danach differenziert, welche Lebensaltersstufe nach dem bisherigen System erreicht worden war (§ 6 BerlBesÜG). Begünstigt werden Richter, die zum Überleitungszeitpunkt zwischen 31 und 39 Jahre alt waren. Zu dieser Lebenszeit sei, so das Argument der deutschen Regierung, der Erfahrungszuwachs und zugleich der finanzielle Bedarf der Richter besonders hoch. Ersteres ist durchaus fragwürdig, denn zur Honorierung von Erfahrung sollte auf ebendiese abgestellt werden und nicht auf das Alter – ansonsten wäre das alte System rechtmäßig gewesen. Gleichwohl akzeptierte der EuGH auch diese Regelung, nicht zuletzt unter Hinweis auf einen weiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers in der Sozial- und Beschäftigungspolitik.

Bestätigt wurde schließlich, dass eine rückwirkende "Anpassung nach oben" für die in der Vergangenheit benachteiligten Richter unionsrechtlich nicht zwingend erforderlich ist. Ebendies hatte der klagende Berliner Richter im Ausgangsverfahren verlangt.

Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, bleibt abzuwarten. In Österreich wurden erneut Reformen angestoßen, um die EuGH-Urteile umzusetzen. Ob dann eine weitere Vorlage zum neuen Recht erfolgt und wie diese entschieden wird, steht in den Sternen.

Schadensersatz und Entschädigung für nach dem alten Recht diskriminierte Richter

Eine wichtige Frage hat der EuGH den nationalen Gerichten zur Entscheidung überantwortet: So müsse geklärt werden, ob "alle vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für eine unionsrechtliche Haftung der Bundesrepublik Deutschland erfüllt sind." Damit ist Schadensersatz à la Francovich gemeint (EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Az. C-6/90 u.a.). Nicht angesprochen wurde zudem die Möglichkeit einer Entschädigung auf Grundlage des Diskriminierungsrechts, in Deutschland also § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Mit beiden Aspekten hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bereits nach der Specht-Entscheidung befasst (Urt. v. 30.10.2014, Az. 2 C 6/13 u.a.). Die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs seien erst ab dem 8. September 2011, dem Tag der Urteilsverkündung in der Rechtssache Hennigs und Mai, gegeben. Erst danach könne dem Gesetzgeber der Vorwurf gemacht werden, die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkannt zu haben. Aus denselben Gründen schloss das BVerwG auch ein Verschulden i.S.v. § 15 Abs. 1 AGG aus. Die Neuregelung des Besoldungsrechts für Berliner Richter datiert indes vom Juni 2011, ein Schadensersatzanspruch dürfte also erneut ausscheiden.

Der Anspruch auf angemessene Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist hingegen verschuldensunabhängig. Das BVerwG gewährte daher eine Entschädigung i.H.v. monatlich 100 Euro, und zwar ab Mitte August 2006, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG, bis zum Inkrafttreten des rechtmäßigen neuen Besoldungsrechts. Zudem müssen Kläger die zweimonatige Antragsfrist nach § 15 Abs. 4 AGG eingehalten haben. Diese begann ebenfalls durch das EuGH-Urteil vom 8. September 2011 zu laufen. Beamte, die sich erst jetzt um etwaige Rückforderungen bemühen, werden also voraussichtlich leer ausgehen.

Der Autor Dr. Stephan Pötters, LL.M. (Cambridge) ist akad. Rat a.Z. und Habilitand am Lehrstuhl für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn.

Zitiervorschlag

Stephan Pötters, EuGH zur Richterbesoldung: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16858 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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