2/2: Deutliche Ansage des EuG
Aus genau diesem Grund hat das EuG die Untersagungsentscheidung am Dienstag für nichtig erklärt, weil die in der Entscheidung "herangezogene ökonometrische Analyse auf einem anderen Modell als dem im Verwaltungsverfahren kontradiktorisch erörterten" beruhe. Das EuG bestätigt insoweit die Klage von UPS, weil die von der Europäischen Kommission an dem von UPS vorgetragenen ökonometrischen Modell vorgenommenen Änderungen "erheblich" gewesen seien. Aufgrund dieser Änderungen sei sie verpflichtet gewesen, UPS auch "das endgültige ökonometrische Analysemodell vor Erlass des angefochtenen Beschlusses mitzuteilen".
Indem sie es nicht tat, habe die Europäische Kommission die "Verteidigungsrechte von UPS missachtet". Dies führe zur Nichtigkeit der Entscheidung, weil "UPS seine Interessen im Verwaltungsverfahren besser hätte wahrnehmen können, wenn es die abschließende Fassung der ökonometrischen Analyse, auf die sich die Europäische Kommission festgelegt hatte, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses gekannt hätte".
Die Entscheidung des EuG ist in ihrer Deutlichkeit zu begrüßen. Nachdem der EuGH Verfahrensrechte wie beispielsweise die Möglichkeit, entlastende Zeugen zu benennen, jüngst eingeengt hat, setzt das EuG ein entgegengesetztes Zeichen für den Bereich der Fusionskontrolle. Das Gericht verdeutlicht, dass es rechtsstaatlich unerlässlich ist, die Beteiligten umfassend zu den Grundlagen einer Entscheidung anzuhören. Dies entspricht auch den Vorgaben der Fusionskontrollverordnung, wonach die Europäische Kommission ihre "Entscheidungen nur auf die Einwände [stützen darf], zu denen die Betroffenen Stellung nnehmen konnten" und das "Recht der Betroffenen auf Verteidigung während des Verfahrens [...] in vollem Umfang" gewährleisten muss (Art. 18 Abs. 3 S. 1 Fusionskontrollverordnung).
Zwar scheint sich das EuG nicht näher mit den Anforderungen an die Verwertbarkeit ökonometrischer Gutachten auseinandergesetzt zu haben. Klar wird aber, dass die Europäische Kommission den Beteiligten zur Wahrung ihrer Verteidigungsrechte sämtliche entscheidungserheblichen Umstände einschließlich ökonometrischer Wertungen offenlegen muss.
Amtshaftung wegen rechtswidriger Untersagung der Übernahme?
Das Urteil wirft – sofern es rechtskräftig wird – die Frage auf, welchen Wert es für UPS hat. Denn eine Neuauflage des Fusionskontrollverfahrens, das gegebenenfalls zu einer Freigabe führt, ist faktisch ausgeschlossen, weil FedEx zwischenzeitlich TNT übernommen und damit Tatsachen geschaffen hat. Hat UPS nun die Möglichkeit, Schadensersatz von der Europäischen Kommission zu verlangen, weil diese den Zusammenschluss unter Verletzung der Verteidigungsrechte von UPS verboten hat?
Dass UPS durch die Untersagung Schäden erlitten hat, liegt auf Hand: Zusammenschlussbedingte Synergien können nicht gehoben werden, das erhoffte Umsatzwachstum bleibt aus, das Gerichtsverfahren dürfte erhebliche Verteidigungskosten verursacht haben. Unbestätigten Quellen zufolge musste UPS darüber hinaus eine erhebliche "Strafzahlung" an TNT leisten, weil das Vorhaben von der Europäischen Kommission nicht genehmigt wurde.
Das EuG (Urt. v. 09.09.2008, Az. T-212/03) und der EuGH (Urt. v. 16.07.2009, Az. C-440/07) haben in verschiedenen Entscheidungen zumindest im Grundsatz bestätigt, dass die Europäische Kommission bei offenkundigen, erheblichen und ernsthaften Beurteilungsmängeln und Verfahrensfehlern für dadurch verursachte Schäden haften kann.
Insoweit sind die Voraussetzungen mit jenen in Deutschland vergleichbar hoch. So hat das Landgericht Köln (Urt. v. 26.02.2013, Az. 5 O 86/12) etwa die Klage von GN Resound A/S gegen das Bundeskartellamt abgewiesen. Das Unternehmen hatte vom Bundeskartellamt Schadensersatz wegen der untersagten Veräußerung seines Hörgerätegeschäfts an Phonak verlangt, nachdem die behördliche Untersagung des Vorhabens rechtskräftig aufgehoben wurde. Das Landgericht Köln stellte aber fest, dass nicht jeder Rechtsverstoß Amtshaftungsansprüche zur Folge haben könne, solange nur die Behörde gewissenhaft gearbeitet habe.
Die von UPS zu überwindenden Hürden erscheinen allerdings sehr hoch: UPS würde nachweisen müssen, dass die Übernahme von TNT bei Wahrung der Verteidigungsrechte freigegeben worden wäre, UPS also das Blatt hätte wenden können, wenn hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre. Zudem müsste die Ernsthaftigkeit und Offenkundigkeit des Verfahrensfehlers, also eine hinreichende Schwere des Verstoßes, nachgewiesen werden.
Dr. Christian Karbaum ist Partner bei GLADE MICHEL WIRTZ im Bereich Competition. Er berät internationale Mandanten in Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf Fusionskontrollverfahren.
EuG hebt Verbot der Übernahme von TNT durch UPS auf: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22305 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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