Netflix wollte das deutsche Filmförderungsrecht unter Berufung auf das Beihilfeverbot zum Kippen bringen. Der EU stellte sich allerdings schützend vor die Kommission – und vor Deutschland. Die Gründe erläutert Ulrich Soltész.
Das deutsche Filmförderungsgesetz sieht eine finanzielle Unterstützung der Produktion, des Vertriebs und der Aufführung von deutschsprachigen Filmen vor. Finanziert wird das Ganze durch eine Sonderabgabe, die Unternehmen der Kino-, der Video- und der Rundfunkbranche zu entrichten haben. Die Einnahmen aus der Abgabe fließen in einen Fonds, der von der Filmförderungsanstalt verwaltet wird.
Da es sich hierbei nach der Rechtsprechung um eine staatliche Beihilfe für die begünstigten Unternehmen handelt, musste diese von der Europäischen Kommission nach Art. 107f. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) genehmigt werden. Dies hatte die Kommission getan.
Erstreckung der Filmförderung auf "video on demand"
Was Netflix hierbei störte: Mit einer Änderung im Jahre 2014 wurde das System auch auf Anbieter von Videoabrufdiensten erstreckt, die im Ausland ansässig sind, aber mit Kunden in Deutschland Erträge erzielen. Diese konnten dann zwar auch Fördermittel erhalten, unterlagen aber ebenso der Abgabepflicht. Weil dieses Gesamtsystem Beihilfen enthielt und hiermit eine wesentliche Änderung verbunden war, musste der Segen aus Brüssel erneut erteilt werden. Die Kommission genehmigte diese Änderung am 1. September 2016.
Diesen Beschluss zur Freigabe der Beihilfen griff Netflix vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg an. Denn aufgrund der Änderung in 2016 muss das Unternehmen eine Abgabe auf den Umsatz entrichten, den es mit Kunden in Deutschland anhand von deutschsprachigen Internetangeboten wie Filme, Fernsehshows, Dokumentationen usw. mit einer Mindestlänge von 58 Minuten erzielt. Dem Vernehmen nach ging es um ein zusätzliches Abgabevolumen von 13 Millionen Euro, das aus der Einbeziehung von "video on demand"-Angeboten resultierte.
Netflix nicht unmittelbar betroffen
Diese Klage wies das Gericht der EU jedoch als unzulässig ab, ohne dass die Filmförderung vom Gericht einer Sachprüfung unterzogen wurde (Urt. v. 16.05.2018, Az. T-818/16). Das Argument der Richter war hierbei rein formaler Natur. Denn Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtigkeitsklage eines Unternehmens ist nach Art. 263 AEUV, dass der Kläger – hier Netflix – durch den Beschluss der Kommission unmittelbar betroffen ist.
Mit anderen Worten: wenn sich die Betroffenheit des Klägers direkt aus dem Beschluss der Kommission ergibt, dann ist die Klage zulässig. Bedarf es hingegen noch nationaler Umsetzungsmaßnahmen, so ist die Klage unzulässig. Denn in den letztgenannten Fällen resultiert die Belastung des Klägers aus einer nationalen Umsetzungsmaßnahme und nicht unmittelbar aus dem Beschluss der Kommission. Daher sollten sich die Kläger in derartigen Fällen an die nationalen Gerichte wenden.
Hier meinten die Richter, dass sich „die spezifischen und tatsächlichen Folgen“ die vom Kläger geltend gemacht wurden, also die Abgabepflicht, erst aus nationalen Durchführungsmaßnahmen ergäben, wie etwa Abgabebescheiden. Die könnten vor den nationalen Gerichten angefochten werden. Nur diese Umsetzungsmaßnahmen würden die Zahlungspflichten der betroffenen Unternehmen präzise und verbindlich festlegen.
Die Luxemburger Richter verwiesen Netflix also auf den nationalen Rechtsweg: Das Unternehmen können die belastenden Bescheide vor den deutschen Gerichten anfechten. Sollten sich hierbei EU-rechtliche Fragen stellen, so könne der nationale Richter diese dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen.
Zudem stellten die Richter ihr abweisendes Urteil rein hilfsweise auf ein weiteres Standbein. Denn neben der unmittelbaren Betroffenheit setzt Art. 263 AEUV auch eine individuelle Betroffenheit des Klägers voraus. Auch fehle es hieran, meinten die Richter in Luxemburg, denn Netflix habe nicht dargetan, dass ihre Marktstellung durch das Inkrafttreten der streitigen Änderung wesentlich beeinträchtigt worden sei.
Zulässigkeitshürden in Luxemburg liegen hoch
Das Urteil bestätigt zum wiederholten Mal, dass die Zulässigkeitshürden vor den Unionsgerichten hoch liegen. Zwar kann die Kommission im Rahmen ihrer beihilferechtlichen Zuständigkeit weitreichende Entscheidungen treffen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer solche Maßnahmen auch ohne weiteres vor den Unionsgerichten anfechten können. Das Urteil dürfte einen gewissen Abschreckungseffekt für Kläger in Luxemburg haben, was wohl auch bezweckt war.
Unternehmen müssen sich also ihren Weg durch ein komplexes Zuständigkeitsgestrüpp suchen, das mittlerweile nur noch wenige Experten durchschauen. Hierbei kommt es nicht selten vor, dass Rechtsschutzsuchende durch die Lücken im System fallen. Das trägt leider nicht unbedingt zur größeren Akzeptanz des EU-Rechts bei.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.
Deutsche Filmförderung und EU-Beihilferecht: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28661 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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