Bei Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie versucht der deutsche Gesetzgeber, es allen recht zu machen. Der praktische Nutzen dieses nationalen Alleingangs wird den Schaden für den Digitalen Binnenmarkt aber kaum aufwiegen, meint Tobias Lutzi.
Die gerade beschlossene Umsetzung der EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (EU-RL 2019/790 vom 17. April 2019 "Digital Single Market", kurz DSM-Richtlinie) in deutsches Recht ist erkennbar von dem öffentlichen Widerstand geprägt, auf den die Richtlinie 2019 vor allem in Deutschland gestoßen war. Stein des Anstoßes war dabei insbesondere Art. 17, der Plattformbetreiber für die von Nutzern hochgeladenen Inhalte schon dann haften lässt, wenn sie keine ausreichenden Maßnahmen getroffen haben, um den Upload rechtsverletzender Inhalte zu verhindern.
Als Reaktion auf diese Kritik hatte Deutschland der Richtlinie auf EU-Ebene im Rat nur unter gleichzeitiger Abgabe einer Protokollerklärung zugestimmt, in der die Bundesregierung auf Bedenken hinsichtlich des möglicherweise erforderlichen Einsatzes derartiger Uploadfilter hinwies. Sie äußerte darin zugleich den Wunsch, diese Uploadfilter im Rahmen einer europaweit einheitlichen Umsetzung "möglichst zu verhindern". Die CDU versprach gar die Umsetzung der Richtlinie in einem "Modell, das Uploadfilter verhindert."
Nationale Alleingänge
Hinter diesem Ziel – dessen Vereinbarkeit mit dem europäischen Richtlinienrecht freilich stets fraglich war – ist der Bundestag am Donnerstag aber zurückgeblieben. Stattdessen statuiert das neue Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) als Kernstück der deutschen Umsetzung der Richtlinie im Grundsatz eine urheberrechtliche Haftung für alle Nutzerinhalte, der sich der Diensteanbieter nur dadurch entziehen kann, dass er sich einerseits um den Erwerb umfassender Nutzungsrechte bemüht und andererseits den Upload einzelner Inhalte auf Verlangen der Rechteinhaber proaktiv blockiert. Hiervon macht das Gesetz allerdings zahlreiche Ausnahmen (etwa für bestimmte geringfügige und von Nutzern als "erlaubt" markierte Nutzungen), von denen wiederum diverse Rückausnahmen bestehen. Flankiert wird dieses Haftungsregime durch die Einführung interner wie externer Beschwerdeverfahren sowie eines Sanktionssystems für Missbräuche.
Dass dieses ausdifferenzierte System sowohl bei Rechteinhabern als auch bei den Vertretern von Nutzerinteressen und Zivilgesellschaft auf Kritik (freilich an unterschiedlichen Bestandteilen) gestoßen ist, mag eine gewisse Ausgewogenheit indizieren. Andere Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung der Richtlinie indes ganz andere Akzente gesetzt und sich bei der Umsetzung oft deutlich stärker am Text der Richtlinie orientiert; konkrete Detailregelungen im Stile des UrhDaG finden sich dort allenfalls punktuell.
Auf weltweit erreichbaren Plattformen stehen diese nationalen Regelungen jedoch nicht unverbunden nebeneinander. Vielmehr führen die – während der Reform kaum beachteten – Regeln des europäischen internationalen Privatrechts dazu, dass sich ihre räumlichen Anwendungsbereiche in der Praxis stark überschneiden werden.
Das urheberrechtliche Schutzlandprinzip
Gegenstand der Richtlinie und ihrer nationalen Umsetzungen ist die Haftung von Plattformbetreibern für von Nutzern eingestellte urheberrechtsverletzende Inhalte. Das anwendbare nationale Recht bestimmt sich insoweit nach Art. 8 Abs. 1 der Rom-II-Verordnung, der dem sogenannten "Schutzlandprinzip" folgt. Anwendbar sind danach die Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln des Rechts desjenigen Staates, "für den Schutz beansprucht wird".
Ob für einen bestimmten Staat Schutz beansprucht werden kann, hängt vom Ort der behaupteten Verletzungshandlung ab. Im Internet wird darunter nach herrschender Meinung jeder Staat verstanden, in dem das urheberrechtlich geschützte Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wofür grundsätzlich schon die bloße Abrufbarkeit von Online-Inhalten genügt. Plattformbetreiber, die Nutzerinhalte europaweit verfügbar machen, sehen sich damit der Gefahr ausgesetzt, nach den Haftungsregeln jedes einzelnen Mitgliedsstaats in Anspruch genommen zu werden.
In anderen Kontexten verhindert das in Art. 3 Abs. 2 der e-Commerce-Richtlinie verankerte Herkunftslandprinzip ein derartiges Mosaik an Haftungsregeln; das Urheberrecht ist von dieser Regelung jedoch ausdrücklich ausgenommen. Auch das von der Rechtsprechung entwickelte zusätzliche Erfordernis des Ausrichtens eines Internetangebots wird in den betroffenen Fällen kaum eine Einschränkung bewirken. Zudem betrifft es nur Frage, ob der Haftungstatbestand eines konkreten nationalen Rechts erfüllt ist und nicht die Frage, ob dieses Recht überhaupt zur Anwendung kommt. Schließlich nimmt auch die Geo-Blocking-Verordnung (EU-VO 2018/302 vom 28. Februar 2018) in Art. 1 Abs. 5 das Urheberrecht von ihrem Anwendungsbereich aus.
Die Zerfilterung des Binnenmarkts
Was in Deutschland als "mutmaßlich erlaubte Nutzung" nach § 9 Abs. 1 UrhDaG bis zu einer erfolgreichen Beschwerde zu veröffentlichen ist, kann etwa nach französischen Recht einer Pflicht zur Blockierung unterliegen. Angesichts der wohl geringen Haftungsrisiken im Falle eines Overblocking – also der Sperrung von jedenfalls in manchen EU-Mitgliedstaaten nach der Umsetzung zulässigen Inhalten – könnten Diensteanbieter versuchen, diesem Dilemma zu entgehen, indem sie pauschal die jeweils strengsten nationalen Filterregeln umsetzen.
Realistischer – und mit Blick auf den Ausgleich zwischen Rechteinhaber- und Nutzerinteressen auch wünschenswerter – dürfte es indes sein, dass die Anbieter hochgeladene Inhalte in jedem Mitgliedstaat zu den Bedingungen zugänglich machen oder blockieren, die sich aus der jeweiligen Umsetzung der Richtlinie ergeben. Inhalte, die etwa wegen ihrer Kürze nach § 10 UrhDaG bis zu einer Beschwerde zu veröffentlichen sind, würden dann lediglich Nutzern in Deutschland zur Verfügung stehen, während sie für Nutzer in anderen Mitgliedstaaten ggf. blockiert würden.
Die praktische Reichweite der im UrhDaG ausdifferenzierten Regel- und Ausnahmetatbestände wird dadurch zwangsläufig stark begrenzt. Im Zusammenspiel mit anderen nationalen Umsetzungen machen sie zudem komplexe Filtersysteme erforderlich, die sowohl inhaltliche wie geografische Kriterien anwenden. Die großen, zumeist US-amerikanischen Plattformen dürften über die dafür erforderliche Infrastruktur freilich längst verfügen. Für neue Anbieter wird der Eintritt in den europäischen Markt dagegen weiter erschwert.
Von einem echten Digitalen Binnenmarkt mit einem einheitlichen Urheberrechtsrahmen ist die EU auch nach Umsetzung der DSM-Richtlinie damit noch weit entfernt.
Der Autor Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur. ist Habilitand am Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln.
Urheberrechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 21.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45030 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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