Der Ausgang der Europawahl wird auch die Rechtspolitik in Deutschland beeinflussen. Die EU hat nämlich gar nicht so wenige Kompetenzen, wenn es um Justiz und Bürgerrechte geht. Beispiele sind der Verbraucher- und Datenschutzschutz, die Rechte von Beschuldigten und Opfern im Strafverfahren oder das Asyl- und Einwanderungsrecht. Und der EuGH entwickelt sogar seine eigene Grundrechte-Rechtsprechung.
Seit der Bundestagswahl hat Deutschland einen neuen Justizminister, der recht ambitioniert startete, fünf Monate nach Amtsantritt liegen bereits einige Gesetzentwürfe auf dem Tisch: Heiko Maas hat sich unter anderem Kinderpornografie, Hate Crimes, Mietpreisbremse und die doppelte Staatsbürgerschaft vorgenommen. Außerdem will er auf längere Sicht eine Reform der Tötungsdelikte und das Unternehmensstrafrecht in Angriff nehmen.
Auf EU-Ebene macht einen vergleichbaren Job seit dem Lissabon-Vertrag die Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft Viviane Reding. Die streitbare Luxemburgerin ist bereits seit 1999 Mitglied der Kommission und sicherlich eine der bekanntesten EU-Politikerinnen. Bei der Europawahl tritt sie als nationale Spitzenkandidatin der luxemburgischen Christsozialen an. Eines ihrer wichtigsten Projekte in den vergangenen Jahren war die Datenschutzreform, auf welche EU-Abgeordnete über die Fraktionsgrenzen hinweg stolz sind, deren endgültige Version aber noch ausgehandelt werden muss.
Die Reform besteht aus einer Verordnung, die unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten wird und ein einheitliches Datenschutzregime schaffen soll, um internationalen Unternehmen wie Facebook oder Google besser Herr zu werden. Außerdem enthält sie eine Richtlinie für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. Abgelöst werden soll damit die bisherige Datenschutz-Richtlinie von 1995.
Freundlicher als erwartet: die Grundrechte-Politik
Zunehmend an Bedeutung gewinnen auch die EU-Grundrechte. Die Befürchtungen zahlreicher Skeptiker, der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte sich in diesem Bereich zu viele Kompetenzen zusprechen und anschließend keinen ausreichenden Grundrechtsschutz gewähren, wurden mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung und zum sogenannten Recht auf Vergessenwerden im Internet zumindest für den Moment zerstreut.
Auch die Generalanwälte am höchsten europäischen Gericht erwiesen sich bislang als grundrechtsfreundlich, als sie beispielsweise die Vereinbarkeit der deutschen Praxis bei der Abschiebungshaft mit den EU-Grundrechte anzweifelten. Auch den Sprachtest als Voraussetzung für den Ehegatten-Nachzug sehen sie kritisch.
Die EU soll außerdem weiterhin der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beitreten, Art. 6 Abs. 2 EUV. Durch eine Integration der EMRK in das EU-Grundrechteregime soll die Rechtsprechung der beiden europäischen Gerichtshöfe in Menschenrechtsfragen harmonisiert werden. Anfang Mai wurde vor dem EuGH über die Vereinbarkeit eines Beitrittsentwurfs mit den Unionsverträgen verhandelt (Az. 2/13).
Ein Herz für Verbraucher: Reise- und Kaufrecht
Besonders aktiv ist die EU auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass der EuGH über Entschädigungen für Fluggäste wegen Verspätungen oder ausgefallener Flüge entscheiden muss.
Aber nicht nur das Reiserecht ist durch und durch geprägt vom Unionsrecht. Ein weiteres Beispiel ist der E-Commerce. Zum Juni 2014 treten erneut Änderungen zum Online-Shopping in Kraft, die auf der EU-Verbraucherschutzrichtlinie beruhen: Widerrufsfrist, Versand- und Rücksendekosten sowie die Rückgabe von Apps, E-Books und anderen Downloads werden damit neu geregelt. Die Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zum Widerruf von Fernabsatzverträgen beruhten auch schon zuvor auf europäischen Vorgaben.
Bereits 2011 legte die Kommission einen Entwurf für eine Verordnung zu einem Gemeinsamen europäischen Kaufrecht vor. Mittlerweile hat das Europäische Parlament zugestimmt. Die Regeln sollen von den Vertragsparteien alternativ zu den nationalen Vorschriften gewählt werden können. Und schon heute beruhen die §§ 433 ff. BGB auf Unionsrecht.
Strafrecht: Mehr Rechte für Opfer und Beschuldigte
Das europäische Recht durchdringt aber nicht nur das Zivilrecht, sondern auch das Strafrecht. Die Mitgliedstaaten haben sich darauf verständigt, Gerichtsentscheidungen in Strafsachen grundsätzlich gegenseitig anzuerkennen. Prominentes Beispiel ist der Europäische Haftbefehl, der die Auslieferung von Beschuldigten innerhalb der EU vereinfachen soll, indem die Mitgliedstaaten die Rechtmäßigkeit ihrer Haftbefehle grundsätzlich anerkennen.
Damit das System funktioniert, sollen Mindeststandards gelten, die Betroffenen ein faires Verfahren gewährleisten: So schreiben mittlerweile zwei Richtlinien das Recht auf einen Dolmetscher sowie einen Anwalt und die Belehrung des Beschuldigten über seine Rechte vor. Die Umsetzungsfristen dieser Richtlinien laufen teilweise noch. An einer Harmonisierung der Prozesskostenhilfe, der Achtung der Unschuldsvermutung sowie dem Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung arbeiten die EU-Institutionen noch. Daneben hat die EU auch die Rechte der Opfer gestärkt, etwa wenn es um Entschädigungen geht.
Im Juli 2013 hat die Kommission außerdem einen Vorschlag zur Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft gemacht. Die neue Behörde soll Straftaten zulasten des EU-Haushaltes verfolgen und vor nationalen Gerichten anklagen. Das Europaparlament stimmte dem Vorschlag im März 2014 mit Änderungswünschen zu.
Asylrecht: Trotz Reform nicht viel reformiert
Neben Reding agiert noch die Kommissarin für Inneres, die Schwedin Cecilia Malmström. In ihr Aufgabengebiet fallen das Asyl- und Einwanderungsrecht, die Grenzkontrollen und die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung.
2013 einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine europäische Asylrechtsreform. An der Grundregel der Dublin-Verordnung hat sich trotz Kritik aus den besonders betroffenen Ländern wie Griechenland und Italien aber nichts geändert. Asylbewerber müssen ihren Antrag weiterhin immer in dem Land stellen, in dem sie in die EU eingereist sind.
Die Mitgliedstaaten einigten sich lediglich auf ein "Frühwarnsystem", das Defizite im Asylsystem eines Landes frühzeitig erkennen soll. Außerdem regelt künftig eine Richtlinie Mindeststandards für das Asylverfahren. Unbegleitete Minderjährige sollen besonders geschützt, Anträge schneller bearbeitet werden.
Die rechtspolitischen Themen, über die EU-Politiker entscheiden, sind also vielfältig und nicht wenige. Trotzdem steht die europäische Rechtspolitik noch nicht bei allen Parteien unbedingt im Vordergrund.
Claudia Kornmeier, Rechtspolitik in der EU: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12033 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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