Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft mittellose Schuldner härter als Personen, die zu einer Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt wurden und die mehr Schuld auf sich geladen haben. Dabei gäbe es Alternativen, meint Bernd-Dieter Meier.
Der vom Bundesjustizministerium (BMJ) im Juli 2022 veröffentlichte Referentenentwurf zur Reform des Sanktionenrechts soll u.a. eine "substanzielle Reduzierung der zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen" bewirken. Vorgesehen ist eine Änderung des Umrechnungsmaßstabs von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafe, wenn die Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann. Bisher ersetzt ein Tag Freiheitsentziehung nach § 43 Satz 2 Strafgesetzbuch (StGB) "nur" einen Tagessatz der ausgeurteilten Geldstrafe. Künftig sollen zwei Tagessätze ersetzt werden. Von dieser Halbierung der Strafdauer verspricht sich die Bundesregierung Einsparungen in Höhe von 60 bis 70 Millionen Euro.
Marco Buschmann greift damit eine Diskussion auf, die in den Justizverwaltungen, aber auch in der Wissenschaft seit langem geführt wird und deren Problematik in jüngerer Zeit auch durch zivilgesellschaftliche Aktivitäten wie den "Freiheitsfonds" ("Wir kaufen Gefangene frei") bekannt geworden ist.
Einsparungen für die Länder
Im Wesentlichen sind es zwei Argumente, die nach dem Referentenentwurf die Reform vorantreiben: Zum einen steht die Ersatzfreiheitsstrafe im Widerspruch zu der Entscheidung des erkennenden Gerichts. Die vom Gericht im konkreten Fall verhängte und als schuldangemessen bewertete Strafe ist eben "nur" die Geldstrafe und gerade nicht die in ihrer Schwere deutlich belastendere Freiheitsstrafe. Zum anderen ist die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für den Fiskus teuer. Das BMJ geht davon aus, dass die Ersatzfreiheitsstrafe die Landeshaushalte gegenwärtig etwa 545.000 Euro pro Tag kostet, bezogen auf ein Jahr knapp 200 Millionen Euro. Durch die angedachte Reform lasse sich etwa ein Drittel dieser Kosten einsparen.
Auf den ersten Blick wirkt das Vorhaben geradezu wie ein genialer Schachzug. Durch eine einfache Änderung des Umrechnungsschlüssels lassen sich ohne großen verwaltungstechnischen Aufwand in nennenswertem Umfang Kosten einsparen und eine im bisherigen Recht angelegte Ungerechtigkeit beseitigen. Mit ernsthaftem politischem Gegenwind ist nicht zu rechnen.
Bei einem genaueren Blick zeigt sich indes, dass die mit der Ersatzfreiheitsstrafe verbundenen Probleme durch eine solche Reform zwar abgemildert, aber nicht gelöst werden. Die Ersatzfreiheitsstrafe leidet im letztlich unter drei Problemen, die alle bei einer Reform zu berücksichtigen sind. Zwei dieser Probleme sind vorgelagert, d.h. sie haben nur mittelbar mit der Ersatzfreiheitsstrafe zu tun. Diese beiden Probleme betreffen die Bemessung der zuvor verhängten Geldstrafe.
Das größte Problem bei der Bemessung der Geldstrafe ist, dass sich der Gesetzgeber bei der Großen Strafrechtsreform von 1969/74 dazu entschieden hat, als Grundlage für die Bemessung der Tagessatzhöhe auf das Nettoeinkommen abzustellen, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB). Indem das gesamte Nettoeinkommen als Bezugspunkt genommen wird, wird dem Verurteilten mit einem Tagessatz bewusst auch das Geld genommen, das er an dem Tag für sein Leben braucht: für Miete, Essen, Trinken, den Weg zur Arbeit.
Die Konsequenz ist klar: Derjenige Verurteilte, der keine Rücklagen hat, wird dadurch härter getroffen als ein Verurteilter, der über ausreichend Rücklagen verfügt und den die vorübergehende Einschränkung seines Konsums nicht schmerzt. Die Bewilligung von Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB, § 459a Strafprozessordnung [StPO]) löst das Problem nicht, sondern verlängert das Strafleiden nur.
"Ins Blaue hinein" geschätztes Nettoeinkommen
Das zweite Problem besteht darin, dass in der Praxis die tatsächliche Höhe des Nettoeinkommens nur unzureichend ermittelt wird. Dabei handelt es sich nicht um ein Problem der Gesetzeslage, da insbesondere die Staatsanwaltschaften von Gesetzes wegen sehr wohl verpflichtet sind, diejenigen Umstände zu ermitteln, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind (§ 160 Abs. 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft hat auch die rechtlichen Möglichkeiten, um die Höhe des Einkommens zu ermitteln, wie ein Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt (Beschl. v. 13.2.2015, Az. 4 Ws 19/15).
Für die Praxis ist es indes gerade in den vielen Fällen wie Ladendiebstahl, Beförderungserschleichung oder Trunkenheit im Verkehr einfacher, von der Schätzungsbefugnis (§ 40 Abs. 3 StGB) Gebrauch zu machen als die tatsächlichen Grundlagen aufzuklären. Kriminologische Aktenauswertungen zeigen, dass diese Schätzungen oft ohne konkrete Anhaltspunkte erfolgen: Oft ist weder der Beruf des Verurteilten bekannt noch gibt es Erkenntnisse zu etwaigen Unterhaltspflichten, und auch Erkenntnisse über frühere Verurteilungen zu Geldstrafe liegen nicht vor, bei denen die damaligen Tagessatzhöhe als Anhaltspunkt für das aktuelle Nettoeinkommen genommen werden könnte.
Unverteidigte, meist sozial schwächere Beschuldigte, die das Strafjustizsystem nicht verstehen, können ihre Interessen in diesem Zusammenhang oft nicht wirksam wahrnehmen; häufig nehmen sie widerspruchslos alles hin, was ihnen abverlangt wird. Für die Justiz sind es dabei oft Schätzungen "ins Blaue hinein", die vom Bundesverfassungsgericht schon 2015 für unzulässig erklärt worden sind (Beschl. v. 1.6.2015, 2 BvR 67/15).
Keine Aussetzung zur Bewährung möglich
Das dritte Problem betrifft die von der Ersatzfreiheitsstrafe ausgehende Strafwirkung. Die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe ist für den Verurteilten ein deutlich, wenn auch nur schwer quantifizierbar härteres Strafübel als die Zahlung der Geldstrafe, zu der er vom Gericht eigentlich verurteilt worden ist. Das sieht auch das BMJ so. Es kommt aber noch ein Zweites hinzu: Die Ersatzfreiheitsstrafe ist auch härter als die normale Freiheitsstrafe, zu der ihn das Gericht im Hinblick auf die geringe Schwere der Schuld gerade nicht verurteilt hat.
Die Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe erfolgt unabhängig von den Voraussetzungen des § 47 StGB: Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten darf nur unter sehr engen Voraussetzungen angeordnet werden; sie muss aus präventiven Gründen "unerlässlich" sein, was bei der Ersatzfreiheitsstrafe gerade nicht verlangt wird. Anders als die normale Freiheitsstrafe kann die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe auch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 StGB). Der mittellose Geldstrafenschuldner wird damit auch gegenüber demjenigen benachteiligt, der mehr Schuld auf sich geladen hat und deshalb zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wird.
Mit der bloßen Halbierung der Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe werden diese Probleme nunmehr nicht gelöst. Notwendig wäre vielmehr ein grundsätzlich anderer Umgang mit Verurteilten, die die Geldstrafe nicht bezahlen können.
Wiedergutmachung, gemeinnützige Arbeit oder Hausarrest als Alternative
Wenn man die Ersatzfreiheitsstrafe grundsätzlich beibehalten will, wie es beispielsweise auch im schwedischen Strafrecht der Fall ist, dann kann die Alternative nur darin bestehen, dass der Ultima Ratio-Charakter deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht wird. Eine Möglichkeit wäre insoweit, dass das Vollstreckungsverfahren gestärkt wird, indem der Katalog derjenigen Maßnahmen, die an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe treten können, erweitert wird.
Fantasielos ist es dagegen, an die Stelle einer Geldstrafe wie im geltenden Recht nur die Ersatzfreiheitsstrafe treten zu lassen. Bei der normalen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zeigt der Gesetzgeber deutlich mehr Fantasie, da hier bei der Strafaussetzung zur Bewährung ambulante Maßnahmen an die Stelle der Freiheitsstrafe treten können. Von Interesse sind für die Reform dabei insbesondere die Auflagen, die dem Ausgleich dienen und mit denen Schuld abgetragen werden kann. Denken kann man etwa an die Schadenswiedergutmachung und die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, aber auch der Hausarrest könnte eine Alternative sein, der angesichts der geringen Schuld nicht elektronisch überwacht zu werden bräuchte. Erst wenn diese ambulanten Möglichkeiten ausgeschöpft wären, könnte an eine Ersatzfreiheitsstrafe gedacht werden.
Der Vorteil einer solchen Lösung läge darin, dass bei der Vollstreckung der Geldstrafen das Gericht wieder eine größere Bedeutung erlangen würde; das Verfahren läge nicht mehr allein in der Hand der Rechtspfleger. Über die Auswahl der Maßnahmen, die an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe treten würden, müsste in einem gerichtlichen Beschlussverfahren entschieden werden, in dem der Verurteilte anzuhören wäre. Hier könnte ermittelt werden, warum die ausgeurteilte Geldstrafe nicht gezahlt werden kann, und es könnte eine passendere Ersatzsanktion gefunden werden, die nicht notwendig in der Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafe zu bestehen bräuchte. Für den Fiskus wäre dieser Weg unzweifelhaft mit Mehraufwand verbunden, der aber dadurch aufgewogen werden würde, dass es deutlich seltener zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen käme.
Die vom BMJ derzeit angedachte Lösung leidet ersichtlich darunter, dass mit der Halbierung der Ersatzfreiheitstrafen nur die Dauer dieser Strafen verkürzt wird; die Halbierung führt nicht dazu, dass die Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt seltener zur Anwendung gebracht wird. Marco Buschmanns Vorschlag kuriert allenfalls Symptome, leistet aber keinen nachhaltigen Beitrag zu einer guten Kriminalpolitik.
Prof. Dr. Bernd-Dieter Meier ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover.
Beim Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung des wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen aus der Zeitschrift "StV Strafverteidiger, Heft 11, 2022. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie können hier kostenlos zwei Probehefte erhalten, u.a. die aktuelle Ausgabe. Ein Abo ist hier erhältlich.
Reform des Sanktionensystems: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50101 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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