2/2: Klage als Notwehr?
Die Bundesnetzagentur hat dem Energieversorger EnBW im Dezember letzten Jahres verboten, einige Kraftwerksblöcke wie geplant stillzulegen. Bis Sommer dieses Jahres muss er die Kraftwerkskapazitäten ohne Entschädigung weiter betreiben. Danach sollen ihm nach eigenen Berechnungen etwa 70 bis 75 Prozent der Kosten erstattet werden. Diese Regelung will EnBW nicht hinnehmen und hat dagegen im Januar beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf Klage eingereicht, die dort vom dritten Kartellsenat bearbeitet wird (Az. VI-3k 14/14(V)).
Konzernchef Mastiaux spricht öffentlich von "Notwehr". Es könne nicht sein, dass EnBW eine gesellschaftlich unverzichtbare Leistung erbringe, dafür aber nicht angemessen entschädigt werde. Daneben fühlt sich der Konzern ungleich behandelt. Kraftwerksbetreibern in Norddeutschland sei das Abschalten unrentabler Kapazitäten schon genehmigt worden. Diese seien meist nicht systemrelevant, weil im Norden viel Strom aus Windkraftanlagen im Netz verfügbar sei.
Sind die einschlägigen Passagen des EnWG und der darauf basierenden ResKV mit der Verfassung vereinbar? Die Klage von EnBW schürt Zweifel daran. Immerhin tangieren die Regelungen einige Grundrechte – die Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG), die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG und den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 GG.
Verletzung der Unternehmerfreiheit?
Zur Berufsfreiheit gehört auch die Unternehmerfreiheit und damit die Freiheit, ein Unternehmen zu gründen und zu führen. Das Verbot, ein Kraftwerk stillzulegen, ist ein Eingriff in diese Freiheit. Er kann aber gerechtfertigt sein, wenn er verhältnismäßig ist. Das EnWG greift in die Unternehmerfreiheit ein, um eine Netzreserve zu gewährleisten und damit die Versorgungssicherheit der Bevölkerung sicherzustellen. Das sind sicherlich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, die den Eingriff legitimieren können. Auch an der Geeignetheit der Maßnahme gibt es wohl keine Zweifel.
Die Verhältnismäßigkeit entscheidet sich damit an einer Frage: Ist der Eingriff wirklich erforderlich? Oder gibt es mildere Mittel, mit denen der Staat die Versorgungssicherheit gewährleisten könnte? Aus praktischen Gründen ist es nicht denkbar, dass der Staat eigene Kraftwerke betreibt. Er ist auf die Kraftwerke der Energieversorger angewiesen. Was bleibt ihm also anderes übrig, als auf die privaten Kraftwerke zuzugreifen? Solange er das gegen eine angemessene Vergütung tut, ist der Grundrechtseingriff eher milde und verhältnismäßig.
Faire Kostenregelung in der ResKV
Was eine angemessene Vergütung ist, definiert § 6 der ResKV eindeutig: Die Kosten, die dem Unternehmen entstehen, werden erstattet. Abgezogen werden allerdings die Kosten, die auch bei einer Stilllegung angefallen wären. Das erscheint nicht unangemessen. Warum sollte das Unternehmen von Kosten entlastet werden, die es auch unabhängig vom staatlichen Stilllegungsverbot hätte tragen müssen?
Ebenfalls nicht erstattet werden die sogenannten Opportunitätskosten – also die möglicherweise entgangenen Gewinne. Diese Regelung greift EnBW auch an, was allerdings kaum nachvollziehbar ist. Opportunitätskosten entstehen bei Anlagen, die zwangsweise stillgelegt werden. Sie hätten bei vollem Weiterbetrieb möglicherweise Gewinne gemacht, die dem Unternehmen jetzt entgehen. Hier geht es aber um den umgekehrten Fall: Anlagen, die an sich stillgelegt werden sollen, müssen weiter betrieben werden. Wie dabei Opportunitätskosten anfallen sollen, bleibt dunkel. Bei Stilllegung der Anlage wäre überhaupt kein Gewinn mehr gemacht worden. Es gibt also keinen entgangenen Gewinn, wenn die Anlage zwangsweise weiter betrieben werden muss.
Ähnlich ist die Rechtslage auch bei einem anderen Grundrecht, das hier tangiert ist, nämlich der Eigentumsfreiheit. Einem Eigentümer zu verbieten, seine Anlage stillzulegen – das ist ein geradezu klassischer Eingriff in das Eigentumsgrundrecht. Aber auch hier gilt: Eingriffe sind erlaubt, wenn sie verhältnismäßig sind. Und an der Verhältnismäßigkeit gibt es, wie bei der Unternehmerfreiheit, wenig Zweifel.
Verfassungswidrige Ungleichbehandlung?
Aber bemängelt EnBW nicht zu Recht eine Ungleichbehandlung, die dem Gleichheitssatz in Art. 3 GG widerspricht? Bisher ist es nur eine unbewiesene Behauptung, dass Kraftwerke in Norddeutschland eher nicht systemrelevant sind und stillgelegt werden dürfen. Selbst wenn dies zutreffen sollte, kann eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Art. 3 GG lässt Ungleichbehandlungen dann zu, wenn es einen sachlichen Grund für sie gibt. Systemrelevanz kann einen solchen Grund allemal darstellen. Warum sollte es nicht sachlich gerechtfertigt sein, Kraftwerke, die für die Versorgungssicherheit unterschiedlich wichtig sind, unterschiedlich zu behandeln?
Die Klage, die EnBW gegen die Bundesnetzagentur eingereicht hat, hat eher geringe Erfolgschancen. Das wissen die Unternehmensjuristen auch. Ihr Hintergrund dürfte deshalb eher taktischer Natur sein. Die Klage will Fristen wahren und Spielräume für weitere Verhandlungen mit der Bundesnetzagentur über die Höhe der Entschädigung offenhalten.
Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Staats- und Verfassungsrecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Volker Boehme-Neßler, Abschaltung unrentabler Kraftwerke: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10783 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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