Bundesregierung zur Einstufung als Gefährder: Ein­heit­lich, aber fol­genlos?

von Dr. jur. Michael Jasch

11.05.2017

2/2: Wer Gefährder ist, bestimmt die Polizei

Der Schriftwechsel zwischen Regierung und Linken-Fraktion macht deutlich, wie Kriminalpolitik in postfaktischen Zeiten funktioniert: Jeder spricht von "Gefährdern", täglich ist von ihnen in den Medien die Rede – aber niemand weiß wirklich zu sagen, welche Menschen damit eigentlich gemeint sind - und welche nicht.

Die Einstufung ist Sache der jeweiligen Landespolizeibehörden. Sie ist vielfach abhängig von deren Erfahrungen, den Ermittlungszugängen und ihren Ressourcen. Die Ungenauigkeit der bestehenden Begriffe führt zu einer schlichen Konsequenz: Wer Gefährder ist, bestimmt die Polizei. Und das kann sich unter Umständen auf eine kleine Gruppe von Beamten in den Staatsschutzabteilungen und Landeskriminalämtern beschränken.

Die Parlamente und Regierungen haben sich bei der Begriffsbestimmung das Heft weitgehend aus der Hand nehmen lassen. Noch unsicherer wird die Lage, wenn man über die deutschen Grenzen hinausblickt. Auf europäischer oder gar internationaler Ebene gibt es gar keine abgestimmte Begrifflichkeit, die den deutschen Ansatz aufgreift.   

Dabei sind nicht alle politischen Kräfte so zufrieden mit der Terminologie wie die Bundesregierung. In Brandenburg wird eine europaweite Vereinheitlichung des Begriffes zumindest für "grundsätzlich wünschenswert", wenn auch nur schwer zu realisieren gehalten. Und in Niedersachsen will die Landesregierung künftig nach Angaben des Innenministeriums eine Legaldefinition für terroristische Gefährder in ein reformiertes Polizeigesetz aufnehmen. Vorgelegt hat die niedersächsische Regierungskoalition bereits eine – bundesweit einmalige und längst überfällige – gesetzliche Regelung für so genannte Gefährderansprachen, in der eine präzisere Bestimmung der Voraussetzungen für dieses polizeiliche Alltagsinstrument versucht wird. 

Die Länder entscheiden

Zudem macht die Antwort auf die Anfrage der Linken deutlich, dass die Macht bei der Terrorismusprävention klar bei den Bundesländern liegt. "Aus der Vergangenheit sind seit der Einführung präventivpolizeilicher Befugnisse für das BKA keine Fälle bekannt, in denen gefahrenabwehrrechtlich gegen einen 'Gefährder' oder 'Relevante Personen' ermittelt wurde (...)", schreibt die Regierung.

Das überrascht insoweit, als diese Befugnis für das BKA bereits seit 2009 existiert – allerdings beschränkt auf Fälle des internationalen Terrorismus. Auch eigenständige Einstufungen als Gefährder habe das BKA bisher nicht vorgenommen. Bundesweit werden derzeit rund 1.600 Personen dem islamistisch-terroristischen Personenspektrum zugeordnet. Das Bundesamt sieht den Schwerpunkt seiner Tätigkeit vielmehr in der Koordination und dem Datenaustausch.

Der letztgenannte Punkt ist allerdings prekär: In den acht europäischen Staaten, mit denen das BKA regelmäßig Gefährder-Daten austauscht, befinden sich zum Teil Kooperationspartner "mit sowohl polizeilichen als auch nachrichtendienstlichen Befugnissen", jedoch keine rein nachrichtendienstlichen Ämter.

Die Datenübermittlung aus Deutschland erfolge, so die Bundesregierung, mit einer Verwendungsbeschränkung auf die Zwecke der Verfolgung und Verhütung von Straftaten. Darüber hinaus finde eine "regelmäßige" Datenübermittlung an das Terrorist Screening Center in den USA sowie an die Ausrichterstaaten von sportlichen Großereignissen statt. Die Rechtsgrundlage für diesen internationalen Datenaustausch hatte das Bundesverfassungsgericht 2016 für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber aber eine Frist zur Nachbesserung bis zum Sommer 2018 gewährt.  

Auf andere Fragen erhielt die Fraktion der Linken keine oder nur eine nichtöffentliche Antwort. Dennoch macht die Antwort auf die Kleine Anfrage eines deutlich: In der Bundesregierung gibt es keine Neigung dazu, den Gefährderbegriff genauer zu bestimmen. Dahinter steht vermutlich die Motivation, der polizeilichen Praxis eine möglichst große Flexibilität zu erhalten.

Der Preis dieser Flexibilität ist, dass es von Zufällen und lokalen Besonderheiten abhängen kann, wer als Terrorgefährder in das Visier der Ermittler gerät. Eine genauere Eingrenzung dieses Begriffes ist daher erforderlich. Allerdings kann auch sie keine Sicherheit vor falschen Zuordnungen bieten. Politik und Gesellschaft müssen sich daran gewöhnen, dass menschliches Verhalten nur sehr eingeschränkt und unsicher zu prognostizieren ist.

Der Autor Dr. jur. Michael Jasch ist Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen.

Der Beitrag gibt allein seine persönliche Einschätzung wieder.

Zitiervorschlag

Bundesregierung zur Einstufung als Gefährder: . In: Legal Tribune Online, 11.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22883 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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