Stalleinbrüche von Tierschützern: Kommt neue Straftat "Hof­frie­dens­bruch"?

von Dr. Markus Sehl

07.03.2018

Der Satz im Koalitionsvertrag gibt Rätsel auf: Einbrüche in Tierställe sollen effektiver bestraft werden – sogar mit einem neuen Tatbestand? Dabei gab es zuletzt einen OLG-Freispruch für einbrechende Tierschützer. Was plant der Gesetzgeber?

Als das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg vor zwei Wochen die Freisprüche von drei Tierschützern bestätigte, brandete Jubel erst im Saal und dann vor dem Gericht auf.

Die wegen Hausfriedensbruchs nach § 123 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) angeklagte Frau und zwei Männer waren in die Ställe eines großen Tierzüchters eingedrungen und hatten dort herrschende Missstände fotografiert und gefilmt. Über 60.000 Schweine lebten dort in zu engen Anlagen.

Bauernverband zu Freispruch: "Skandal" und "Bankrotterklärung"

Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied ist das Urteil ein "Skandal" und eine "Bankrotterklärung". Er sagte nach dem Urteil in einer Presseerklärung: "Umso wichtiger ist es, dass die neue Bundesregierung dieses Thema gesetzgeberisch aufnimmt." Und sein Wunsch scheint erhört zu werden.

Der Freispruch des OLG ist die bislang höchste gerichtliche Entscheidung zu den Stalleinbrüchen in Deutschland - und sie kommt zu einer Zeit, in der CDU/CSU und SPD einen ganz anderen Ton anschlagen.

Auf Seite 87 des Papiers heißt es: "Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden". Genau neun Wörter, aber kein Wort mehr finden sich dazu im Koalitionsvertrag.

Neues Delikt oder Strafverschärfung?

Was planen die Koalitionspartner mit diesem Satz genau? Einen eigenen Straftatbestand für Einbrüche in Tierställe, ein neues Sonderdelikt "Hoffriedensbruch"? Ein höheres Strafmaß?

Die stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann will sich nicht festlegen. Sie verweist auf Nachfrage von LTO auf den Satz im Koalitionsvertrag und ergänzt knapp: "Denn es darf nicht sein, dass jeder Bürger auf einen Hof eindringen kann, weil er einen Verdacht hegt."

Das hatte aber auch das OLG Naumburg schon festgehalten. Der Vorsitzende Richter sagte zur Begründung, das Urteil sei "kein Freibrief für tatsächliche oder selbst ernannte Tierschützer".

CDU/CSU-Fraktionspolitikerin: "Kontrolle muss Aufgabe der Behörden bleiben"

Connemann betont weiter: "In einem Rechtsstaat muss die Kontrolle der Einhaltung der Gesetze und Verordnungen Aufgabe der staatlichen Behörden bleiben."

Das OLG Naumburg hatte argumentiert, dass die Tierschützer wussten, dass sie ohne Beweise die staatlichen Behörden nicht zu einem Eingreifen hätten bewegen können. Und damit die privaten Tierschützer als eine Art aktivistische Amtshelfer anerkannt.

Will der Gesetzgeber mit einer Verschärfung des Strafrechts nun die Deutungshoheit in der Diskussion um Stalleinbrüche zurückgewinnen?

SPD: Unklar, wann Thema in Bundestag kommt

Beim Koalitionspartner in der SPD-Fraktion gibt es noch keine Verständigung über die konkrete Ausgestaltung, heißt es aus der Pressestelle. Wann das Thema den Bundestag erreichen werde, sei noch unklar.

Das OLG Naumburg hat mit seiner Entscheidung zum Stalleinbruch für geplante Gesetzesänderungen ein grundsätzliches Problem eröffnet. Nach Ansicht des OLG war der Tierschutz notstandsfähig. Würde die Rechtsprechung dieser Auffassung folgen, würde die Rechtfertigungsargumentation auch auf neu gefasste Strafverschärfungen oder neue Tatbestände zum Stalleinbruch durchschlagen. Wie die Große Koalition damit umgehen will, dazu lässt sich nichts erfahren.

Die rechtspolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Katja Keul, sagt: "Wir werden uns als Grüne im Bundestag dagegen wehren, in dieser Sache die Gesetzgebungsmaschinerie in Bewegung zu setzen." Für sie fügt sich die Aussage im Koalitionspapier in ein größeres Bild.

Grünen-Rechtspolitikerin warnt vor neuem Straftatbestand

"Ich kann nur davor warnen, ausgehend von Einzelfällen hier neue Straftatbestände zu schaffen. Das sind die Erfahrungen aus den letzten vier Jahren Große Koalition zur Strafrechtspolitik und sie lassen befürchten, dass es nun genauso weitergeht", so Keul.

Die Fraktionen der Partei DIE LINKE und der AfD ließen Anfragen von LTO zu diesem Thema unbeantwortet.

Bislang scheint also niemandem klar zu sein, was der rätselhafte Satz im Koalitionsvertrag konkret für die neue Legislaturperiode bedeuten soll. Das nährt den Verdacht, dass er am Ende doch nur ein leeres Versprechen ist.

Nach Urteil mehr Lobbydruck auf Gesetzgeber?

Achim Stammberger, Vorstand bei den Tierschutzaktivisten von Animal Rights Watch, sagt: "Es geht bei den Plänen der Großen Koalition nicht darum, Strafbarkeitslücken zu schließen. Es geht darum, die Tierindustrie zufriedenzustellen und durch größtmögliche Abschreckung das Aufdecken von Tierschutzverstößen zu verhindern." Nach dem Freispruch durch das OLG Naumburg befürchtet Stammberger, dass der Lobbydruck auf den Gesetzgeber nun noch weiter steigen könnte.

Der Regensburger* Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller warnt in einem Blogbeitrag davor "jede Einzellobby mit strafrechtlichen Zückerchen zu befrieden". So könne man dann "schnell auf eine 'schiefe Ebene'" geraten. "An deren Ende stünde kein rationales, nach Strafrechtsgütern geordnetes und in der ganzen Welt für seine Abstraktionsstärke und Systematik gerühmtes deutsches Strafrecht mehr, sondern ein StGB, das aus vielen Einzelnormen zusammengestückelt ist, um Einzelinteressen zu befrieden."

Die Diskussion könnte schon bald weiter an Fahrt aufnehmen. In Baden-Württemberg wandert ein Fall, in dem Tierschützer in eine Putenmastanlage eingedrungen sind, gerade zum OLG Stuttgart. Das Landgericht hat die Aktivisten wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Diese legten Revision ein. Der Pressesprecher des OLG sagte auf Anfrage von LTO, dass der Fall bislang in Stuttgart noch nicht eingetroffen sei.

Eine Tierschutzstiftung hat bereits angekündigt, einen der Angeklagten in dem Fall aus Baden-Württemberg unterstützen zu wollen, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht. 


*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hieß es "Der Augsburger...". Professor Henning Ernst Müller ist aber natürlich an der Uni in Regensburg, geändert am 08.03.2018 um 09.30 Uhr.

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Stalleinbrüche von Tierschützern: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27387 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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