Unzulässig ist die AfD-Beschwerde beim EGMR gegen die Informationsarbeit des Verfassungsschutzes. Das BfV hatte die Partei öffentlich als "Prüffall" eingestuft. Noch bevor die AfD dagegen einen Teilerfolg beim VG Köln erreichen konnte, legte sie schon Beschwerde beim EGMR ein.
Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist mit einem Beschwerdeverfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gescheitert (Urt. v. 04.07.2019, Beschw.-Nr. 57939/18). Die Partei habe nicht ausreichend begründen können, dass es für ihr Anliegen keinen Rechtsweg in Deutschland gegeben habe. Die Erschöpfung des nationalen Rechtswegs ist eine wichtige Zulässigkeitsvoraussetzung für das Verfahren vor dem EGMR, betonten die Straßburger Richter erneut.
Im Oktober 2018 teilten Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) dem Bundestag in einer Anhörung mit, dass der Dienst aktiv Informationen über die AfD sammle. Diese Informationsbeschaffung sollte als Entscheidungsgrundlage diene, ob die AfD zu überwachen ist. Eine Entscheidung sollte bis zum Ende des Jahres getroffen werden.
Im Januar 2019 teilte das BfV dann auf einer Pressekonferenz mit, dass die Jugendorganisation "Junge Alternative" sowie die Untergruppierung "Der Flügel" als Verdachtsfall eingestuft werden. Sie würden wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen verdächtigt. Insbesondere gebe es Hinweise auf eine migrationsfeindliche und islamfeindliche Einstellung. Die Programme enthielten Positionen, die klar gegen die Menschenwürde verstießen. Mitglieder der Untergruppe hätten zudem Verbindungen zu extremistischen Gruppen.
Die Einstufung als Verdachtsfall ermöglicht nach den Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie den Einsatz von V-Leuten. Zugleich betonte das BfV, dass die Gesamtpartei nicht als Verdachtsfall eingestuft, sie aber weiter als Prüffall behandelt werde.
VG Köln schränkte Öffentlichkeitsarbeit des BfV ein – nicht aber Prüfprozess
Im Februar 2019 entschied das VG Köln im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, dass es an einer Rechtsgrundlage für das BfV fehlte, die AfD öffentlich als Prüffall zu bezeichnen. Äußerungen von Hoheitsträgern wie dem Bundesamt, durch die in die Rechte einer politischen Partei eingegriffen wird, bedürften nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, die sich dem § 16 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) aber nicht entnehmen lasse.
Der Bezeichnung als Prüffall komme in der Öffentlichkeit eine negative Wirkung zu, so das VG weiter. Dieser Eingriff in die Rechte der AfD aus dem Parteiengrundrecht des Art. 21 GG und dem auch einer Partei zuzuerkennenden Persönlichkeitsrecht sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und auch unverhältnismäßig.
Wichtig dabei ist: Damit beschränkte das VG die Öffentlichkeitsarbeit des BfV – nicht aber dessen Prüfprozesse zur AfD. Das BfV hatte gegen die Entscheidung keine Rechtsmittel eingelegt. Dessen Präsident Thomas Haldenwang begründete die Entscheidung damit, dass die Klärung von Rechtsfragen "nicht vom eigentlichen Thema ablenken darf". Man wolle sich darauf konzentrieren, den rechtsnationalen Parteiflügel und die Nachwuchsorganisation der AfD, die "Junge Alternative", zu durchleuchten.
Die AfD reichte beim EGMR allerdings bereits Anfang Dezember 2018 einen Beschwerdeantrag beim EGMR ein. Sie rügte die Verletzung der Meinungsfreiheit nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 und einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gem. Art. 14 der Konvention. Die Partei befürchtete, durch das BfV als Verdachtsfall eingestuft zu werden, was aus ihrer Sicht für sie ein "de facto Verbot" bedeutet hätte. Sie argumentierte weiter, dass ihr kein wirksamer Rechtsweg auf nationaler Ebene zur Verfügung stehe, um sich gegen die Information durch das BfV zu wehren. Sie habe damit den Rechtsweg erschöpft – ohne ihn überhaupt beschritten zu haben.
Voreilig auf dem Weg zum EGMR
An diesem Punkt setzt die Entscheidung des dreiköpfigen Ausschusses des EGMR, u.a. besetzt mit der deutschen Richterin Angelika Nußberger, wenig überraschend an. Die AfD habe eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen des BVerwG und des BVerfG zitiert, welche es für gerechtfertigt hielten, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, so die Richter. Das habe die Partei wohl als Beleg verstanden wissen wollen, dass es deshalb für sie ohnehin aussichtslos sei, den Rechtsweg in Deutschland weiter zu erschöpfen.
Das Gericht habe diese aufgeführten Entscheidungen berücksichtigt, heißt es in der Entscheidung des Gerichts. Der EGMR hält dem aber entgegen, dass die Gerichte in den zitierten Fällen jeweils eine strenge Kontrolle im Einzelfall durchgeführt hätten. Indem die AfD diesen Weg schon gar nicht erst beschritten hat, hätte sie den Gerichten auch nicht die Möglichkeit geboten, sich in strenger Kontrolle mit ihrem Fall zu beschäftigen.
Der EGMR-Ausschuss merkte außerdem an, dass die ins Feld geführten Gerichtsentscheidungen - u.a. eine des BVerfG aus 2005 - zur Erwähnung der Wochenzeitung "Junge Freiheit" im Verfassungsschutzbericht andere Konstellationen und Normen betroffen hätten. So sei der § 16 BVerfSchG unterdessen entsprechend geändert und an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung angepasst worden. "Die AfD hat insoweit kein case-law aufgeboten, das zu den in ihrem Fall anwendbaren Normen passt", so die Straßburger Richter. Weiterhin stehe mit der im Februar 2019 getroffenen Entscheidung des VG Köln gerade der Nachweis im Raum, dass es einen effektiven Beschwerdeweg in Deutschland gegeben habe.
Nach alledem verhindere bereits die fehlende Rechtswegerschöpfung nach Art. 35 § 1 der Konvention, dass sich der EGMR mit den weiteren vorgetragenen Rechtsverletzungen beschäftigen muss. Die Beschwerde hat der Gerichtshof daher als unzulässig verworfen.
EGMR zu Einstufung der AfD durch Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36299 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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