Juristen und Vertreter von Interessensorganisationen kritisieren das Gesetz der Bundesregierung zum dritten Geschlecht. Trans- und intersexuelle Menschen würden als Kranke stigmatisiert. Ein Antrag im Bundesrat soll das ändern.
Die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg wollen das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht von trans- und intersexuellen Menschen stärken und einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom August ändern. Diese hatte zwar ein drittes Geschlecht im Geburtenregister beschlossen, Opposition und Betroffene kritisierten den Entwurf aus dem Hause von Bundesinnenminister Seehofer jedoch als zu kurz gesprungen. Außerdem setze er die Diskriminierung von trans- und intersexuellen Menschen fort.
Als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Oktober 2017 in einer spektakulären Entscheidung die Einführung einer weiteren Geschlechtskategorie im Personenstandsrecht neben "männlich" und "weiblich" bis zum Ende dieses Jahres gefordert hatte, war der Jubel bei nicht-binären Menschen – also Personen, die sich selbst nicht als Mann oder Frau beziehungsweise als Mädchen oder Junge wahrnehmen – über ein historisches Urteil groß. Deutschlands höchstes Gericht hatte ein starkes Signal für die Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt und Selbstbestimmung gesetzt und entschieden, dass die Angabe "Mann" und "Frau" als Angabe im Personenstand nicht ausreiche, der Gesetzgeber müsse vielmehr eine weitere Option zulassen – und zwar bis Ende 2018.
Der Senat machte in seiner Entscheidung deutlich, dass der geschlechtlichen Zuordnung gerade im Hinblick auf die individuelle Identität eine "herausragende Bedeutung" zukomme und eine Schlüsselposition im Selbstverständnis einer Person einnehme. Dabei sei auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen seien. Und sogar für eine weitgehende Lösung zeigte sich Karlsruhe offen: Statt eines dritten positiven Geschlechtseintrags könne der Geschlechtseintrag im Personenstand alternativ auch ganz gestrichen werden.
Regierungsentwurf "Klatsche" für intergeschlechtliche Menschen
Doch während es Rechtsordnungen gibt, die überhaupt kein Personenstandsrecht kennen oder das Geschlecht nicht als personenstandsrechtlich relevant einstufen, wie etwa das kanadische, englische oder indische Recht*, entschied sich die Bundesregierung am Ende für eine Schmalspurlösung. Im federführend im BMI ausgearbeiteten Gesetzentwurf wird auf eine Eintragung des Geschlechts im Geburtenregister nicht verzichtet; vielmehr soll fortan neben "männlich" und "weiblich" auch der Eintrag "divers" möglich sein.
Aber nicht allein das ist es, was Juristen und Vertreter von Interessensverbänden kritisieren: Wie auf einer Tagung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am Freitag deutlich wurde, stört sie vor allem, dass Betroffene bei der Änderung des Personenstandes zu "divers" ihre Intersexualität durch ein ärztliches Gutachten belegen müssen. Diese "Zwangsbegutachtung" wiederspreche dem geschlechtlichen Selbstbestimmungsrecht, monierte etwa die Frankfurter Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold. Die Bonner Familienrechtlerin Susanne Lilian Gössl, die sich mit dem Thema auch rechtsvergleichend befasst, wies darauf hin, dass bereits Länder wie Dänemark, Belgien oder Portugal bei der Geschlechtsänderung auf ein derartiges Gutachten verzichten würden.*
Lucie Veith vom Verein intersexueller Menschen e.V. bezeichnete die von der Bundesregierung geforderte Einschaltung von Medizinern gar als "Klatsche" und für die Betroffenen "entwürdigend". Die Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Petra Follmar-Otto, kritisierte die Voraussetzung medizinischer Nachweise als eine "unzumutbare Barriere für intergeschlechtliche Menschen". Familienrechtlerin Gössl hält diese auch nicht für erforderlich, sprach sich aber für gesonderte Schutzbestimmungen für Minderjährige aus. Gegenüber LTO forderte sie außerdem ein Ende von Zwangsoperationen an Kindern, bevor sich diese selbst entscheiden können.
Politiker der Grünen warfen der Bundesregierung vor, die Diskriminierung von Trans- und Intersexuellen mit der Neuregelung fortzuschreiben. Die Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann und Monika Lazar forderten, die Eintragung als "divers" müsse eine "selbstbestimmte Entscheidung werden, die allen offen steht".
Eintrag "divers" auch für Transsexuelle gefordert
Dieser Aspekt ist gleichzeitig ein weiterer Kritikpunkt, der von Vertretern der Queer-Szene am Gesetzentwurf der Bundesregierung geübt wird. Er umfasse nur einen engen Personenkreis, indem er etwa transsexuelle Menschen ausschließe. So soll laut Gesetzentwurf der Bundesregierung die Option "divers" nur für Menschen mit "Varianten der Geschlechtsentwicklung" offenstehen. Damit ist allein eine Gruppe von intergeschlechtlichen Menschen gemeint: Bei ihnen sind die Geschlechtsmerkmale, also zum Beispiel Chromosomen, Hormone und Genitalien, nicht eindeutig ausgeprägt. Intersexuelle verfügen über männliche und weibliche Merkmale, etwa weibliche Geschlechtsteile und männliche Chromosomen. Transsexuelle hingegen haben zwar eindeutige Geschlechtsmerkmale, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig und somit als Mensch im falschen Körper.
Der Antrag der vier Bundesländer, der am Dienstag im Familienausschuss des Bundesrates behandelt wird, könnte nun die Weichen dafür stellen, dass ein größerer Kreis von nicht-binären Menschen von der Änderung des Personenstandsrechts umfasst wird: Der Eintrag "divers" im Personenstandsregister soll künftig allen Personen offenstehen, "die sich einem anderen als dem eingetragenen Geschlecht oder keinem Geschlecht zugehörig fühlen", wie es der Entwurf formuliert. Die Länder kritisieren die Bundesregierung explizit dafür, dass sie in ihrem Gesetzentwurf "einen Teil der intersexuellen Menschen sowie alle weiteren Menschen, die sich nicht der binären Geschlechterkonstellation zuordnen (z.B. transgeschlechtliche Menschen), von der Möglichkeit des neuen Geschlechtseintrags 'divers' ausschließt".
Schriftliche Erklärung statt Arztbesuch
Weiter wenden sich Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg gegen die bislang vorgesehene Pflicht, bei einer Änderung ihres Personenstandes einen Arzt aufsuchen zu müssen. Ausreichend solle vielmehr eine schriftliche Erklärung gegenüber dem Standesamt sein. So stellen die Weltgesundheitsorganisation und die Bundesärztekammer fest, dass Trans- und Intergeschlechtlichkeit keine Krankheiten sind. Durch das Erfordernis eines medizinischen Attestes bestehe jedoch die Gefahr, "dass Trans- und Intergeschlechtlichkeit fälschlicherweise als Krankheiten wahrgenommen werden", heißt es im Entwurf. Durch die Nachweispflicht werde die betroffene Person zudem gezwungen, ihre körperliche Konstitution zu offenbaren, was einen erheblichen Eingriff in die geschlechtliche Intimsphäre und damit in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt.
Ob der Änderungsantrag am Ende auch eine Mehrheit in der Länderkammer bekommt, bleibt abzuwarten. Um jedenfalls der von Karlsruhe geforderten Umsetzungsfrist bis Ende des Jahres zu genügen, soll die Änderung im Personenstandsrecht noch im November im Bundestag beschlossen werden. Und wohl erst danach wird sich die Bundesregierung dann einer Verbesserung der Rechte von Transsexuellen annehmen. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hatte angekündigt, "in einem nächsten Schritt rasch" weitere unzeitgemäße Regelungen für Transsexuelle zu beseitigen.
* Anm. d. Redaktion: Die rechtsvergleichenden Passagen wurde am 02.10.2018, 9.51 Uhr, präzisiert.
Gesetzentwurf zum dritten Geschlecht: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31255 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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