Ein Bundesgericht in Florida hat das Verfahren gegen Donald Trump eingestellt, weil der Sonderermittler nicht verfassungsgemäß ernannt worden sei. Russell Miller im Interview über die möglichen Folgen für Trumps weitere Strafverfahren.
Donald Trump, der in diesem Jahr erneut für das Präsidentenamt kandidiert, hat turbulente Wochen hinter sich. Zunächst wurde der Republikaner bei einem Attentat während einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania beinahe getötet. Dann trat US-Präsident Joe Biden von seiner Präsidentschaftskandidatur zurück. Damit wird Trump voraussichtlich gegen die derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten antreten, was eine neue Dynamik in den Wahlkampf bringt. Was Trump am meisten schaden könnte, ist eine weitere strafrechtliche Verurteilung. Er wurde bereits vor einem New Yorker Gericht für schuldig befunden, Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben, um eine Bundeswahl zu beeinflussen. Gegenstand der Anklage war eine Schweigegeldzahlung an Stormy Daniels, um eine frühere Affäre während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 geheim zu halten. Darüber hinaus sitzt Trump derzeit in drei weiteren Fällen auf der Anklagebank. In zwei Fällen geht es um die "Big Lie", die "große Lüge", dass die Präsidentschaftswahl 2020 manipuliert worden sei.
Außerdem wurde Trump vor einem Bundesgericht in Florida vorgeworfen, nach seiner Amtszeit geheime Dokumente falsch aufbewahrt zu haben. Vergangene Woche stellte das Gericht das Strafverfahren jedoch ein.
Herr Prof. Miller, Donald Trump hat nun einen Strafprozess weniger am Hals, nachdem ein Gericht in Florida das Verfahren eingestellt hat. Wie hat das Gericht diese Entscheidung begründet?
Die Richterin kam zu dem Schluss, dass der gesamte Prozess einem Verfahrensfehler unterliegt. Der mit den Ermittlungen und der Anklage betraute Sonderermittler Jack Smith ist nach ihrer Auffassung unrechtmäßig ernannt worden.
Was ist die Funktion eines Sonderermittlers? Wann und wozu wurde dieses Amt eingeführt?
Es handelt sich um einen unabhängigen Staatsanwalt, der vom Attorney General in besonderen Fällen ernannt wird. Nämlich dann, wenn es um Ermittlungen gegen hochrangige Regierungsvertreter geht und deshalb der Attorney General meint, dass ein unabhängiger Staatsanwalt erforderlich ist. Der Sonderermittler arbeitet nicht mit den regulären Staatsanwälten zusammen und unterliegt nicht den Weisungen des Justizministeriums.
Die Rolle wurde in den 1970er Jahren nach dem Watergate-Skandal durch neue Kongressgesetze eingeführt, um Fälle wie das "Saturday Night Massacre" zu verhindern. Damals wies Präsident Nixon den Attorney General an, den mit den Watergate-Ermittlungen betrauten Staatsanwalt zu entlassen.
Seitdem waren Sonderermittler immer wieder für Ermittlungen zuständig, unter anderem für die Vorwürfe, die 1998 zum Amtsenthebungsverfahren* gegen Bill Clinton führten.
Die Richterin in Miami beanstandete die Ernennung von Smith zum Sonderermittler. Was ist nach ihrer Meinung konkret falsch gelaufen?
Sie beanstandet die Rechtsgrundlage für die Ernennung. Der Sonderermittler hat nach der US-Verfassung den Status eines "untergeordneten Beamten" (inferior officer). Die Verfassung besagt ausdrücklich, dass für die Ernennung von untergeordneten Beamten eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich ist.
Wurde Smith rechtswidrig ernannt?
Was erfordert eine "gesetzliche Ermächtigung"?
Es bedeutet im Wesentlichen, dass man eine gesetzliche Rechtsgrundlage braucht, um jemanden zum "inferior officer" zu ernennen. Dies ist vergleichbar mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts im deutschen Recht.
Und es gibt keine gesetzliche Regelung, die es dem Attorney General erlaubt, jemanden als Sonderermittler zu ernennen?
Das alte Gesetz aus den 70er Jahren, mit dem die Rolle des Sonderermittlers geschaffen wurde, ist 1999 außer Kraft getreten. Die Position wurde durch interne Verordnungen des Justizministeriums neu geschaffen. Diese Verordnungen dienen seit 1999 als Rechtsgrundlage für die Ernennung von Sonderermittlern, wie etwa Robert Mueller, der die Vorwürfe untersuchte, dass Trumps Wahlkampfteam 2016 mit den Russen zusammengearbeitet hat.
Und Jack Smith.
Ja, er wurde nach demselben Schema ernannt, um gegen Trump zu ermitteln und ihn strafrechtlich zu verfolgen, zunächst in Washington DC wegen Einmischung in die Auszählung der Stimmzettel 2020 und dann in Florida wegen des fehlerhaften Umgangs mit Dokumenten nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus.
Dann liegt die Richterin in Miami also richtig?
Das ist umstritten. Der Attorney General kann sich auf einige vage Formulierungen im Gesetz berufen. Zum Beispiel erlaubt 28 U.S. Code § 515(b) die Ernennung eines "jeden Anwalts, der speziell unter der Befugnis des Justizministeriums beauftragt wurde". Die Richterin war jedoch nicht davon überzeugt. Diese Bestimmung, so argumentierte sie, beziehe sich nicht speziell auf die formale Position eines Sonderermittlers. Sie kam daher zu dem Schluss, dass es keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Ernennung eines Sonderermittlers gibt. Deshalb sah sie in Smiths Ernennung einen Verstoß gegen die Verfassung.
Ist Trump immun gegen Strafverfolgung in Fällen von "Wahlbetrug"?
Wenn die Ernennung von Smith tatsächlich verfassungswidrig wäre, würde das dann nicht auch für die anderen Strafverfahren gegen Trump gelten? Müssten dann auch diese Verfahren eingestellt werden?
Wenn die Richterin in Florida Recht hat, dann würde das gleiche Problem auch die Ermittlungen betreffen, die Jack Smith in Washington DC geleitet hat. Das ist das wichtigste Bundesstrafverfahren im Zusammenhang mit Trumps Weigerung, die Wahlergebnisse zu akzeptieren. Das Gericht in Washington DC könnte aber auch zu einem völlig anderen Schluss hinsichtlich Smiths Ernennung kommen. Dann hätten wir zwei sich widersprechende Gerichtsentscheidungen zu derselben strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Frage.
Besteht in dem Verfahren in Washington DC nach der jüngsten Entscheidung des Supreme Court zur Immunität überhaupt noch eine Chance, dass Trump verurteilt wird?
Das ist noch nicht klar.
Anfang dieses Monats entschied der Supreme Court, dass der Präsident eine gewisse Immunität vor Strafverfolgung genießt. Er stellte eine dreistufige Regel auf. Die Immunität des Präsidenten sei absolut, wenn es in einem Strafverfahren um die Ausübung zentraler verfassungsrechtlicher Befugnisse des Präsidenten geht. Für andere "Amtshandlungen" gelte zumindest eine Vermutung der Immunität. Nur rein private Handlungen des Präsidenten genießen nach Auffassung des Supreme Court sicher keine Immunität.
Der Supreme Court wendete diese Regel aber nicht auf den Fall in Washington DC an, sondern verwies die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurück. Dort muss geklärt werden, welche Handlungen Trump genau vorgeworfen werden, damit das Gericht bestimmen kann, ob dieses Verhalten Immunität genießt.
Handelte Trump am 6. Januar "als Präsident oder als Kandidat"?
Wenn das Urteil aus Miami Bestand hat und das Gericht in Washington DC das angeklagte Verhalten als Amtshandlung bewertet, wäre alle Strafverfahren gegen Trump dann vom Tisch?
Es gibt noch zwei weitere Strafverfahren gegen Trump, beide auf bundesstaatlicher Ebene. Da ist zum einen der New Yorker "Schweigegeld"-Fall, für den Trump bereits verurteilt worden ist. Zum anderen gibt es einen weiteren Fall in Georgia im Zusammenhang mit der “gestohlenen Wahl”. Dort wird Trump beschuldigt, versucht zu haben, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020 zu manipulieren.
In beiden Fällen spielt die Ernennung von Jack Smith keine Rolle. Denn sie ist nur für die Bundesstrafverfahren relevant, die er leitet. Die Fälle in New York und Georgia werden von Staatsanwälten der Bundesstaaten und der Kommunen geführt. Sie haben nichts mit der Position des Sonderermittlers zu tun.
Aber sie könnten von der Entscheidung des Supreme Court zur Immunität betroffen sein.
Das könnten sie, ja. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs hat eine allgemeine Regel des Bundesverfassungsrechts aufgestellt. Es gilt damit für alle strafrechtlichen Anklagen gegen Trump, egal ob auf Bundes- oder Bundesstaatsebene.
Ob hier zugunsten von Trump seine Immunität die Strafverfolgung verhindert, wird jeweils durch Anwendung der dreistufigen Regel bestimmt. Jedes Gericht muss nun den Sachverhalt feststellen und prüfen, ob das vorgeworfene Verhalten als Amtshandlung oder privates Verhalten einzustufen ist. Der Supreme Court hat angedeutet, dass Handlungen, die als Kandidat oder Parteivorsitzender unternommen werden, wahrscheinlich als privat angesehen werden würden. Das dürfte für Trumps Verhalten im "Schweigegeld"-Fall in New York gelten. Wahrscheinlich genießt er also in diesem Fall keine Immunität und die Verurteilungen bleiben bestehen. Bei dem Fall in Washington DC aber ist das viel schwieriger zu klären.
Ist es denn eine Amtshandlung des Präsidenten, wenn er fälschlicherweise behauptet, eine demokratische Wahl sei "gestohlen" worden?
Die Frage ist etwas irreführend. Die strafrechtlichen Vorwürfe in Washington DC sind etwas differenzierter: Trump wird nicht der "Lüge über eine gestohlene Wahl" beschuldigt. Vielmehr werden ihm Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten, Zeugenbeeinflussung, Verschwörung gegen die Rechte der Bürger und Behinderung und versuchte Behinderung eines offiziellen Verfahrens vorgeworfen. Hier fragt sich: Welche konkreten Handlungen hat Trump vorgenommen? Genießt er Immunität, weil die Handlungen als "offizielles Verhalten" zu klassifizieren sind?
Der Supreme Court war der Auffassung, dass Trumps Kommunikation mit seinem Attorney General über die "große Lüge" als verfassungsrechtliche Kernkompetenz angesehen werden sollte, die absolute Immunität genießt. Das Gericht schien der Meinung zu sein, dass Trumps Kommunikation mit Vizepräsident Pence über die Bestätigung der Wahlergebnisse im Kongress als offizielles Verhalten gilt. Dann würde immerhin eine Vermutung der Immunität gelten. Der Oberste Gerichtshof erklärte jedoch auch, dass das erstinstanzliche Gericht die Fakten feststellen und bestimmen müsse, ob Trumps Reden und Tweets vom 6. Januar als offizielles oder privates Verhalten gelten. Handelte er als Präsident oder als Kandidat? Diese komplizierten Fragen werden sowohl im Bundesverfahren in Florida als auch im Verfahren im Bundesstaat Georgia geklärt werden müssen.
"Es ist erst Halbzeit"
Wie würden Sie die aktuelle Situation beschreiben? Bislang scheint alles nach Trumps Geschmack zu laufen.
Trump erringt in diesen frühen Phasen der Strafverfahren einige wichtige Siege. Aber er ist noch nicht aus dem Schneider. Man kann wohl sagen, dass Trump zum jetzigen Zeitpunkt mehr Tore erzielt hat als die verschiedenen Staatsanwälte, auch wenn die Verurteilungen wegen der Schweigegeldzahlungen in New York sehr viel ausmachen. Aber es ist erst Halbzeit.
Das gilt auch für den Fall in Florida – jetzt da klar ist, dass Sonderstaatsanwalt Smith Berufung gegen das Urteil einlegen wird, mit dem das Verfahren eingestellt wurde. Ähnlich wie bei Richterin Cannon in der ersten Instanz kann Trump jedoch auch in der zweiten Instanz mit wohlwollenden Richtern rechnen. Der Eleventh Judicial Circuit gilt als recht konservativ. Und es ist eines der Bundesberufungsgerichte, in das Trump während seiner Amtszeit die meisten Richter berufen hat. Ich würde erwarten, dass die Berufung scheitern wird.
Das Gleiche könnte vor dem Supreme Court passieren, der den Fall schließlich nach der Entscheidung des Eleventh Judicial Circuit verhandeln würde. Trump ist mit der konservativen Mehrheit im Supreme Court, die er während seiner Zeit im Weißen Haus mit drei ernannten Richtern aufgebaut hat, bisher gut gefahren. Aber das ist nur eine grobe politische Einschätzung und keine abschließende Bewertung der komplexen rechtlichen Fragen in diesem Fall.
Vielleicht ist all das aber auch gar nicht entscheidend.
Sondern?
Unabhängig davon, ob Trump in diesen technischen Rechtsfragen am Ende gewinnt oder verliert, haben die Probleme zu erheblichen Verzögerungen geführt. Es ist nun offensichtlich, dass er sich vor der Wahl im November weder diesen Strafverfahren stellen wird, geschweige denn einer neuen Verurteilung. Und wenn er wieder ins Weiße Haus gewählt wird, könnte Trump vom Gnadenrecht des Präsidenten Gebrauch machen, um sich selbst in den Bundesstrafverfahren zu begnadigen.
Herr Prof. Miller, vielen Dank für Ihre Zeit.
Ich danke Ihnen.
Russell Miller ist J.B. Stombock Professor of Law an der W&L University (Virginia), wo er mit einem Forschungsschwerpunkt auf öffentlichem Recht und Rechtsvergleichung lehrt. Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber des German Law Journal. Von 2020-2022 war er Leiter des Max Planck Law Network.
Hinweis: Dieses Interview wurde im Original auf Englisch geführt und am 25.07.2024 hier veröffentlicht. Bei dieser Version handelt es sich um eine nachträgliche Übersetzung.
* Hier hieß es zunächst aufgrund eines Übersetzungsversehens, die Vorwürfe hätten “zur Amtsenthebung” von Clinton geführt. Zur tatsächlichen Amtsenthebung kam es natürlich nicht (korrigiert am 29.07.2024, 17:13 Uhr, Red.).
Nach Einstellung des Strafverfahrens: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55084 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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