Diskussion um neues Verbotsverfahren: NPD rückt wieder ins juris­ti­sche Faden­k­reuz

Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht arbeitet an einem neuen Antrag für ein Verbot der Partei und hat die anderen Länder dazu eingeladen, sich an dem Vorhaben zu beteiligen. Nicht nur wegen der Rechtsprechung des BVerfG, auch mit Blick auf Sinn und Zweck des Parteiverbotsverfahrens ist der Neuanlauf jedoch mehr als fragwürdig, meint Sebastian Roßner.

Bereits 2003 musste die damalige Bundesregierung leidvoll erfahren, wie risikoreich das Unternehmen NPD-Verbot ist: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellte das zwei Jahre zuvor eingeleitete Verbotsverfahren ein, nachdem sich eine erhebliche Zahl führender Partei-Funktionäre, darunter der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Landesverbandes, als V-Leute der Verfassungsschutzbehörden entpuppt hatten.

Dadurch, so damals das Gericht, sei die Führungsebene der NPD nicht mehr staatsfrei gewesen, die Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei habe nicht mehr selbstbestimmt stattfinden können. Da die Behörden die Identität von weiteren V-Leuten nicht gegenüber dem Gericht aufdecken wollten, sah es sich auch außerstande, die Äußerungen von NPD-Mitgliedern, auf die sich der Verbotsantrag in weiten Teilen stützte, klar und eindeutig der Partei zuzuordnen: Schließlich bestand die Möglichkeit, dass die Urheber zugleich Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden waren. Diese Umstände, so das Gericht, stellten ein absolutes Verfahrenshindernis dar (Beschl. v. 18.03.2003, Az. 2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01, 2 BvB 3/01).

Verbot bräuchte in Karlsruhe faktisch Drei-Viertel-Quorum

Endete also der erste Anlauf für ein Verbot schmählich, müssen nun für die Erfolgsaussichten eines neuen Verfahrens drei Punkte hervorgehoben werden:

•    Das Gericht hat 2003 das Verbotsverfahren wegen der geschilderten Mängel des entsprechenden Antrags eingestellt. Es hat also über die Frage der Verfassungswidrigkeit der NPD noch nicht materiell entschieden.

•    Die Behörden haben auf ihren Misserfolg reagiert. So hat das Innenministerium von Sachsen-Anhalt unter Beteiligung der Innenressorts von Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein bereits 2009 einen Bericht über die antidemokratischen und rassistischen Tendenzen der NPD vorgelegt, der nicht durch die V-Mann-Problematik kontaminiert ist, sondern aus öffentlichen Quellen zusammengestellt wurde.

•    Auch ging die Entscheidung 2003 auf das Votum einer Sperrminorität von drei Richtern innerhalb des entscheidenden Senates zurück, die mittlerweile aus dem Gericht ausgeschieden sind. Es ist daher nicht sicher, ob das Gericht in einem neuen Verfahren in der Frage der Verwertung von durch V-Leute gewonnenen Erkenntnissen bei der damaligen strengen Linie bliebe.

Der letzte Punkt weist auf eine wichtige Besonderheit des Parteiverbotsverfahrens hin: Für die Partei nachteilige Entscheidungen müssen nach § 15 Abs. 4 Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) mit einer Mehrheit von zwei Drittel der Senatsmitglieder getroffen werden. Das bedeutet faktisch ein Drei-Viertel-Quorum, da die Senate jeweils acht Mitglieder haben, von denen damit sechs für ein Verbot stimmen müssen.

Absichtserklärungen reichen für Gefährdung der demokratischen Ordnung aus

Inhaltlich setzt ein Verbot voraus, dass die betreffende Partei "darauf ausgeht", die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu gefährden oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen dabei die Elemente der Volkssouveränität, der Demokratie, der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Freiheit und Gleichheit der Menschen. Es gibt also eine starken inhaltlichen Zusammenhang der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit Art. 1 und Art. 20 GG, in denen die Menschenwürdegarantie und Grundprinzipien des Staates niedergelegt sind.

Eine Partei "geht darauf aus", dieses Schutzgut von Art. 21 Abs. 2 GG zu beeinträchtigen, wenn sie eine "aktiv-kämpferische Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" einnimmt, wie es das BVerfG vor fast sechzig Jahren im KPD-Verbotsurteil ausdrückte (Urt. v. 17.08.1956, Az. 1 BvB 2/51). Der Kurs der betreffenden Partei muss danach langfristig auf die Bekämpfung der Grundordnung ausgerichtet sein und in konkreten Handlungen Ausdruck findet. Als solche Handlungen lässt das Gericht auch Reden führender Parteiangehöriger genügen, so dass im Ergebnis auch bloße Absichtserklärungen oder Aufforderungen umfasst werden.

Ein "Darauf-Ausgehen" wird nach Art. 21 Abs. 2 GG anhand der "Ziele der Partei" und des "Verhaltens ihrer Anhänger" festgestellt. Die Ziele ergeben sich aus dem Parteiprogramm oder aus anderen Äußerungen der Partei, etwa Parteitagsbeschlüssen oder auch geheimen Strategiepapieren.

Der Anknüpfungspunkt des "Verhaltens der Anhänger" erfasst drei unterschiedliche Fallgruppen: Das Verhalten ihrer Organe kann der Partei dabei ohne Probleme zugerechnet werden. Ihre sonstigen Anhänger hingegen kann sich eine Partei nicht immer aussuchen und die Betreffenden auch nur begrenzt steuern. Eine Zurechnung bezüglich der Parteimitglieder kommt daher nur in Betracht, wenn deren Verhalten von der Partei geduldet wird, obwohl sie zumutbare Möglichkeiten der Beeinflussung hat. So können unter Umständen Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Ausschluss der Betreffenden ergriffen werden.

Das Verhalten von Außenstehenden schließlich kann der Partei kaum zugerechnet werden - es sei denn, sie hat im konkreten Fall wirksamen Einfluss ausgeübt, beispielsweise durch Geld oder über persönliche Beziehungen.

Neues Verbotsverfahren brächte NPD nur mehr Publicity

Da die NPD sich auf die Drohung mit dem Parteiverbot seit langem einstellen und ihr öffentliches Verhalten anpassen konnte, wird es nicht einfach sein, ihr ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel die Verfassungswidrigkeit nachzuweisen. Die Verwertbarkeit von auf diesem Wege gewonnenen Erkenntnissen hat aber das BVerfG 2003 eben deutlich eingeschränkt.

Insgesamt entsteht durch die Rechtsprechung das Dilemma, dass ohne intensive Beobachtung ein Verbotsverfahren schwer zu begründen ist, der Einsatz von V-Männern zu diesem Zweck aber das Verfahren torpedieren kann. Ein Vorgehen gegen die NPD ist so zwar nicht ohne Erfolgschance, wegen der insgesamt hohen Hürden aber riskant.

Es ist jedoch auch aus anderen Gründen fragwürdig: Von seiner Konzeption her ist das Parteiverbotsverfahren ein außergewöhnliches Mittel zur Abwehr von gravierenden Gefahren für die Gemeinschaft. Nur so sind auch die scharfen Folgen zu erklären, die sich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG verbinden: Die verbotene Organisation verliert dauerhaft ihren Status als Partei und wird aufgelöst, ihr Vermögen kann vom Staat eingezogen werden, die Gründung einer Ersatzorganisation wird verboten, § 46 Abs. 3 BVerfGG. Weiterhin fallen alle Mandate weg, die die Partei vor ihrem Verbot errungen hat, § 45 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz, § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz und die Landeswahlgesetze.

Ob die NPD, die sich in einem deutlichen Niedergang befindet und in finanziellen Schwierigkeiten steckt, eine gravierende Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt, ist zweifelhaft. Jedenfalls aber verschaffte ein langwieriges Verbotsverfahren der NPD erst einmal die dringend benötigte Publicity, um wieder Protestwähler anzuziehen. Das dürfte nicht im Sinne der Befürworter eines Verbotsantrags sein.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf.

 

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Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Diskussion um neues Verbotsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3145 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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