Die Bundesanwaltschaft und das VStGB: "Global Player" der Straf­ver­fol­gung mit Per­so­nalnot

von Dr. Christian Rath

19.01.2012

Droht sich Deutschland mit dem Völkerstrafgesetzbuch zu "verheben"? BGH-Präsident Klaus Tolksdorf hat jüngst davor gewarnt, die Bundesanwaltschaft als "global player" zu sehen. Doch davon ist die Karlsruher Anklagebehörde weit entfernt. Christian Rath beschreibt das eher bescheidene Selbstverständnis der obersten Ermittler im Völkerstrafrecht.

Völkermorde, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit können in Deutschland vor Gericht gebracht werden - auch wenn die Tat im Ausland stattfand und keine Deutschen als Täter oder Opfer beteiligt waren. Das sieht das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) vor, das am 1. Juli 2002 in Kraft trat und bald zehnten Geburtstag feiert.

Als Anklagebehörde ist die Bundesanwaltschaft für das VStGB zuständig. Sie sei damit zu einem "global player der Strafverfolgung" geworden, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger jüngst bei der Verabschiedung von Generalbundesanwältin Monika Harms.

Wenige Wochen später, bei der Einführung von Nachfolger Harald Range, widersprach Klaus Tolksdorf, der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH). Angesichts der "begrenzten Aufklärungsmöglichkeiten" seien doch "Maß und Vorsicht" angebracht. Auf den rechtsstaatlichen Standard dürfe bei derartigen Strafverfahren jedenfalls nicht verzichtet werden - auch wenn das für die Opfer der Straftaten oft schwer verständlich sei. Es klang wie ein Appell, doch besser die Finger von solchen Prozessen zu lassen.

Tolksdorf bezog sich dabei wohl auf die Beweisschwierigkeiten, die derzeit beim ersten deutschen VStGB-Prozess am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart offenbar werden. Angeklagt ist dort u.a. Ignace Murwanashyaka, der von seinem Wohnort Mannheim aus die Hutu-Miliz FDLR im Kongo befehligt und dabei Kriegsverbrechen angeordnet haben soll.

Wenig Personal, viele Kriegsverbrechen

Dabei sind solche Prozesse für die deutsche Strafjustiz gar kein Neuland. Völkermord war im Strafgesetzbuch (StGB) (§ 220a StGB a.F.) schon seit Jahrzehnten strafbar, unabhängig vom Tatort. In den 90er-Jahren gab es deshalb in Deutschland rund 150 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Kriegen in Ex-Jugoslawien, und auch einige Verurteilungen. Und derzeit läuft am OLG Frankfurt/Main ein zweiter Prozess gegen einen Hutu. Onesphore Rwabukombe soll 1994 am ruandischen Völkermord beteiligt gewesen sein. Weil die Tat vor 2002 stattfand, wird hier noch der alte Völkermord-Tatbestand angewendet und noch nicht das Völkerstrafgesetzbuch.

Auch quantitativ hat das VStGB keinen Schub an neuen Prozessen ausgelöst, die die Justiz überlasten. In den ersten knapp zehn Jahren gibt es bisher nur das FDLR-Verfahren am OLG Stuttgart.  Eine Studie von amnesty international (ai) warf 2008 der Bundesanwaltschaft sogar vor, das VStGB gar nicht ernst zu nehmen. Trotz Dutzender Strafanzeigen habe es fast keine Ermittlungsverfahren gegeben. "Nicht einmal wenn die Verdächtigen sich in Deutschland aufhielten, wurden Ermittlungen aufgenommen", klagte ai-Expertin Leonie von Braun.

Angesichts der personellen Ausstattung der Bundesanwaltschaft kann dieser Befund nicht verwundern. Lange Zeit wurden die VStGB-Verfahren quasi nebenbei erledigt. Erst 2009 wurde ein eigenes Referat mit sechs Staatsanwälten eingerichtet, drei davon sind wissenschaftliche Mitarbeiter, die von ihren Anklagebehörden an die Bundesanwaltschaft abgeordnet wurden. Inzwischen umfasst das Referat acht Staatsanwälte. Beim Bundeskriminalamt steht ihnen eine kaum größere Zahl von Polizisten zur Seite. Im Verhältnis zu den Gräueln der Welt ist das lächerlich wenig.

Ermittlungen gegen Staatsgäste sind tabu

Die Bundesanwaltschaft konzentriert sich bei ihren VStGB-Aktivitäten deshalb auf Fälle, die doch einen Bezug zur Bundesrepublik haben. Sie kann sich dabei auf den ebenfalls seit 2002 geltenden § 153 f der Strafprozessordnung (StPO) stützen. Danach muss sie Kriegsverbrechen und Völkermorde nicht verfolgen, "wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist."

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch eine Verpflichtung zu ermitteln, wenn ein Verdächtiger in Deutschland weilt. Die im Staatsschutzrecht relevante Bestimmung des § 153 d StPO, der den Verzicht auf Ermittlungen erlaubt, wenn öffentliche Interessen überwiegen, gilt ausdrücklich nicht für VStGB-Fälle. Die Bundesjustizministerin könnte also nicht per Weisung verhindern, dass gegen Vertreter befreundeter Staaten ermittelt wird.

In der Praxis finden sich dann meist andere Gründe, warum die Karlsruher Ermittler nach Strafanzeigen untätig bleiben - auch wenn sich der Angezeigte in Deutschland befindet.

Ermittlungen gegen Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurden 2005 abgelehnt, weil zunächst die US-Justiz zuständig sei, Vorwürfe wegen der Foltervorfälle im irakischen Gefängnis Abu Ghreib selbst zu untersuchen. Die Bundesanwaltschaft berief sich dabei auf den Grundsatz der Subsidiarität.

Nachdem klar war, dass die US-Justiz nicht gegen Rumsfeld ermitteln wird, wurde er erneut angezeigt. Wieder erfolglos. Diesmal - 2007 - argumentierte die Bundesanwaltschaft, Ermittlungen seien nicht erfolgversprechend, weil sie auf kaum zu realisierende Rechtshilfe der USA und Iraks angewiesen wären.

Im Herbst 2005 weilte der usbekische Innenminister Zakirjon Almatow zu einer ärztlichen Behandlung in Deutschland. Daraufhin wurde er wegen seiner Verantwortung für ein Massaker in der usbekischen Stadt Andischan angezeigt. Doch bei Eingang der Anzeige in Karlsruhe war Almatow schon wieder ausgereist.

Als im Herbst 2011 der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu einem Staatsbesuch nach Deutschland kam, wurde er wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Kurdistan angezeigt. Die Bundesanwaltschaft sah sich an Ermittlungen gehindert, weil sich Erdogan auf "amtliche Einladung" in Deutschland aufhielt.

Doch was hätte die Bundesanwaltschaft machen können, wenn sie in diesen Fällen tatsächlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte? Hätte sie zum Beispiel den usbekischen Innenminister festnehmen können? Wohl kaum. Auch im Völkerstrafrecht gelten die üblichen Regeln zur Untersuchungshaft. Erforderlich ist also nicht zuletzt ein "dringender Tatverdacht". Hierfür genügen mittelbare Zeugenaussagen nicht, entschied der 3. BGH-Strafsenat im Mai 2009 im Fall Rwabukombe. Bloße Materialsammlungen von Menschenrechtsorganisationen können also noch keinen Haftbefehl begründen.

Erst Vernehmung, dann Ausreise

Allenfalls könnte die Bundesanwaltschaft einen eingereisten Verdächtigen vernehmen. Da dieser jedoch als Beschuldigter keine Angaben machen muss, wäre der Nutzen vermutlich gering. Er dürfte anschließend einfach ausreisen. Die Ermittler können deshalb auch gleich auf eine Vernehmung verzichten, um den Verdächtigen nicht vorschnell vor weiteren Besuchen in der Bundesrepublik zu warnen.

Die Bundesanwaltschaft legt allerdings vorsorglich Beobachtungsvorgänge zu allen Sachverhalten an, die Gegenstand eines VStGB-Verfahrens werden könnten. Anlass kann eine Strafanzeige sein, aber auch eine Pressemeldung. Ein Beobachtungsvorgang kann mehrere Leitz-Ordner umfassen oder nur eine schmale Mappe. Allein im Jahr 2011 wurden nach Angaben der Bundesanwaltschaft "weit über hundert" neue Beobachtungsvorgänge angelegt. Dabei ermittelt die Behörde aber noch nicht, sondern sammelt nur Informationen, auch um die Konflikte überhaupt verstehen und einschätzen zu können.

Es bleibt dabei das Dilemma, dass einerseits solche Informationssammlungen nicht für eine Verhaftung ausreichen, andererseits die Bundesanwaltschaft aber auch nicht die Ressourcen hat, vorsorglich in einer Vielzahl von Krisenherden zu ermitteln.

Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die Bundesanwaltschaft auf Beschuldigte fokussiert, die in Deutschland wohnen. In solchen Fällen ist zum Beispiel eine länger dauernde heimliche Überwachung des Telefonverkehrs möglich. Deutschland kann so jedenfalls kein dauerhafter und sicherer Rückzugsort für Kriegsverbrecher und Völkermörder werden.

Tätig wird die Bundesanwaltschaft auch, wenn sie Beweise für andere Gerichte sichern kann. Als zum Beispiel der deutsche Ex-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer bei einem Besuch in Libyen von Truppen des damaligen Gaddafi-Regimes beschossen und sein Gastgeber getötet wurde, eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Gaddafi und vernahm Todenhöfer. Die Beweise sollten aber nur für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesichert werden, wo schon Ermittlungen gegen Gaddafi liefen.

Der neue Generalbundesanwalt Harald Range hat inzwischen deutlich gemacht, dass er das Völkerstrafrecht für ein wichtiges Arbeitsfeld hält und die Skepsis von BGH-Präsident Tolksdorf nicht teilt.

Dr. Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent verschiedener Tageszeitungen, u.a. der taz.

 

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Zitiervorschlag

Christian Rath, Die Bundesanwaltschaft und das VStGB: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5350 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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