Debatte um AfD-Verbot: Ber­lins Jus­tiz­se­na­torin rät von Ver­bots­ver­fahren ab

von Hasso Suliak

04.01.2024

Vor allem die SPD diskutiert aktuell über ein Verbot der AfD durch das BVerfG. Staatsrechtler warnen jedoch vor Schnellschüssen. Dezidiert gegen die Einleitung eines Verbotsverfahrens ist Berlins Justizsenatorin und AfD-Expertin Badenberg.   

Seit ihrer Gründung 2013 konstatieren Beobachter bei der Alternative für Deutschland (AfD) zunehmend eine Radikalisierung von einer vermeintlich wirtschaftsliberalen und rechtskonservativen Haltung hin zum rechtsextremen Milieu. Derzeit wird die AfD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt von den Landesämtern für Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.  

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Thomas Haldenwang sieht die Partei schon länger auf dem Weg "nach rechts außen". Ein Rechtsstreit, der die Beobachtung der AfD durch das BfV betrifft, geht im Februar in die nächste Runde

Unterdessen stört Millionen von Bundesbürgerinnen und -bürgern die zunehmende Radikalisierung der Partei nicht. Wären kommenden Sonntag Bundestagswahlen, würde die AfD nach der Union mit Abstand zweitstärkste Kraft. Umfragen sehen sie aktuell bei rund 23 Prozent. Wenn im September Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt werden, rechnet die Mehrheit der Deutschen damit, dass die AfD dann in mindestens einem dieser Länder die absolute Mehrheit erreicht und damit – zumindest theoretisch – auch den Ministerpräsidenten stellen könnte. 

SPD-Landesministerin: "AfD ist Gefahr für die Demokratie" 

Vor dieser Gemengelage mehren sich aktuell die Stimmen aus dem politischen Raum, vor allem aus der SPD, gegen die Partei ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einzuleiten oder dieses zumindest ernsthaft zu prüfen. Das Verfahren ist in Art. 21 Abs. 2 GG und §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt. Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. 

Am Donnerstag sprach sich der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dafür aus, ein Verbotsverfahren zu prüfen. "Wenn der Verfassungsschutz in drei Bundesländern die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft, dann hat der Staat die Pflicht, ein Verbot der AfD zu prüfen", sagte der SPD-Politiker dem Berliner Tagesspiegel. Man müsse "aber ganz nüchtern bedenken: Für ein Parteiverbot existieren in Deutschland hohe Hürden, ein Verbotsverfahren dauert lange, wohl viele Jahre, und die AfD würde dies propagandistisch erheblich ausschlachten, sich als Opfer stilisieren". 

Ähnlich hatte sich zuvor auch die sächsische Sozialministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Petra Köpping, gegenüber dem Spiegel geäußert. "Wir sollten die Chancen eines AfD-Verbots regelmäßig prüfen", sagte sie und stellte sich damit an die Seite der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken. Eine Parallele zum seinerzeit missglückten NPD-Verfahren will Köppen nicht ziehen: Das Verbotsverfahren sei nur deshalb gescheitert, weil die Partei nur auf geringe Wahlergebnisse gekommen sei und damit keine Gefahr darstellte. "Das sehe ich bei der AfD anders", argumentierte Köpping. "Die AfD ist stark, sie ist eine Gefahr für die Demokratie", so Köpping. 

Esken hatte sich zuvor ebenfalls für eine regelmäßige Prüfung eines AfD-Verbots ausgesprochen. Ihr Parteifreund Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, warnte dagegen davor. Ein solches Verfahren hätte kaum Chancen und würde die Solidarisierung mit der AfD verstärken.  

Auch Köpping schränkte ein, man müsse nicht ohne Wenn und Aber ein Verbotsverfahren anstreben, "denn ein Scheitern wäre fatal für das gesellschaftliche Klima". Die Stärke der AfD in Sachsen sei nicht neu, sagte Köpping. "In der Corona-Pandemie gab es massive Kampagnen gegen das Impfen, gegen die Schutzmaßnahmen. Dieser heftige Populismus zerfrisst die Demokratie." Die demokratischen Parteien müssten dagegenhalten, "auch die Union", mahnte Köpping. 

Berliner Justizsenatorin: "Partei inhaltlich stellen"   

Wer in der Politik die AfD wohl wie keine zweite kennt, ist die Berliner Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg. Sie hatte sich einst als "AfD-Jägerin" beim Verfassungsschutz einen Namen gemacht. Die Beobachtung der Partei durch den Nachrichtendienst ist maßgeblich auf sie zurückzuführen. Auf Vorschlag der CDU kam Badenberg im vergangenen Jahr zu ihrem aktuellen Posten als Justizsenatorin.  

Badenberg hält die Einleitung eines Verbotsverfahrens politisch für falsch: "Nicht alle Menschen, die in der AfD ihre Partei sehen, sind Rechtsextremisten. Wir müssen die Partei inhaltlich stellen. Ihre Anhänger und deren Themen aus dem politischen Diskurs auszuschließen, ist nicht die Lösung, sondern vielmehr müssen wir ihre Sorgen ernst nehmen, ehrlich diskutieren und sie inhaltlich überzeugen", erklärte Badenberg gegenüber LTO

Und auch hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Verbots ist die AfD-Expertin skeptisch: "Zum einen sind die rechtlichen Hürden für ein Parteiverbot hoch. Für die gesamte Partei müsste eine gesicherte Verfassungswidrigkeit nachgewiesen werden." Der Senatorin zufolge müsste zudem nachgewiesen werden, dass die Partei planvoll und aktiv darauf hinwirkt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen. "Aus früheren Verbotsverfahren wissen wir, wie rechtlich anspruchsvoll es ist, diesen Nachweis zu erbringen." 

Badenberg plädiert dafür, statt eines Verbotsverfahrens eher die staatliche Parteienfinanzierung in den Blick zu nehmen: "In Bezug auf die Förderung parteinaher Stiftungen hat der Bundestag kürzlich ein Gesetz beschlossen, wonach nur Stiftungen staatlich finanziert werden, wenn sie für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Dies geschah auch im Hinblick auf die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Auch könnte man darüber nachdenken, die Junge Alternative als Jugendorganisation der AfD zu verbieten." 

Staatsrechtler: "Verbotsverfahren zu lassen, könnte fahrlässig sein"   

Von LTO befragte Staats- und Verfassungsrechtler beurteilen ein Verbotsverfahren der AfD vor dem BVerfG mit gemischten Gefühlen, so z.B. Prof. Ulrich Battis von der HU Berlin. Zwar stünde die Frage, ob ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, im Ermessen der Antragsberechtigten, Battis warnt aber vor Schnellschüssen: "Ein Antrag vor den Landtagswahlen in diesem Jahr würde der AFD mehr nutzen als schaden. Vor den Wahlen würde es keine Verbotsentscheidung geben. Ein Antrag könnte als Eingeständnis verstanden werden, nicht in der Lage zu sein, die AFD im politischen Wettstreit schlagen zu können." 

Eine sorgsame Vorbereitung eines Verbotsverfahrens mahnte der Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele im Gespräch mit LTO an: "Ein Verbotsverfahren sollte jedenfalls nicht leichtfertig angegangen werden, da ein Misserfolg vor dem BVerfG – aus welchen Gründen auch immer – natürlich eine Katastrophe wäre", so Thiele, der an der Berliner Business and Law School Staatstheorie und Öffentliches Recht lehrt. 

Seiner Einschätzung zufolge sind die Berichte der Verfassungsschutzämter zwar hilfreich, belegen aber nicht aus sich heraus die Begründetheit eines solchen Verfahrens. "Die Maßstäbe vor Gericht sind strenger, gerade im Hinblick auf Zurechnungsfragen, und die Wertungen der Behörden für das Gericht nicht verbindlich." 

Thiele hält ein Verbotsverfahren nach sorgfältiger Prüfung durchaus für erfolgsversprechend: "Zumindest im Hinblick auf einige der Landesverbände würde ich mich eher für ein Verbotsverfahren aussprechen." Pauschal undemokratisch wäre ein solches nicht, meint er, auch, wenn die AfD vorrangig im politischen Diskus bekämpft werden müsse. "Dennoch ist ein Verbot in Art. 21 GG als Ausdruck der wehrhaften Demokratie vorgesehen. Es stimmt zwar, dass damit der politische Kampf nicht ersetzt werden kann – beides muss auch während eines Verfahrens parallel erfolgen. Und ebenso ist es richtig, dass nach einem Verbot die Wählerinnen und Wähler und die entsprechenden Gesinnungen nicht verschwunden sind." Aber ein Aspekt sollte nach Meinung Thieles nicht vergessen werden: "Die Abgeordneten der jeweiligen Partei verlieren ihr Mandat. Sie können zwar eine neue Partei gründen, aber dieser Mandatsverlust ist dann doch eine Folge, die wirklich effektiv ist: Denn zur Umgestaltung des Staates muss man in den Parlamenten sitzen." 

Hinsichtlich des Zeitplans sieht es Thiele ähnlich wie Battis. Bis zu den anstehenden Wahlen wäre ein Verbot nicht zu schaffen. "Es deshalb aber ganz zu lassen, wäre aus meiner Sicht fahrlässig, sofern die Vorprüfung ergibt, dass ein Verbot möglich ist." 

AfD: "Völlig absurde Debatte" 

Sein Bundestagsmandat verlieren würde im Fall eines Verbots dann z.B. der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner. Der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses hält die Verbotsdebatte für "völlig absurd".

Gegenüber LTO erklärt Brandner: "Seit ihrer Gründung steht die AfD für freiheitliche, demokratische, rechtsstaatliche Politik. Wie keine andere Partei haben wir auch und vor allem in der Zeit der Coronahysterie aktiv die Grundrechte unseres Grundgesetzes und die Gewaltenteilung eingefordert. Alle anderen Parteien sahen und sehen das anders. Das war und ist falsch. Die Bürger wissen, dass wir die Grundgesetzpartei sind. Der Zuspruch wächst täglich. Das macht die anderen, die politisch versagt haben, nervös und aggressiv. Sie lassen daher nichts aus, um und zu diskreditieren, auszugrenzen und zu stigmatisieren."  

Unterdessen empfiehlt das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) die Einleitung eines Verbotsverfahrens. In einer im Juni vorgestellten Analyse kam das DIMR zu einem klaren Ergebnis: "Die AfD hat in ihrer Gefährlichkeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung mittlerweile einen Grad erreicht, sodass sie gemäß Art. 21 Grundgesetz (GG) durch das BVerfG verboten werden könnte", so das Institut. Die Partei ziele auf die Abschaffung der in Art. 1 Abs. 1 GG verbrieften Garantie der Menschenwürde ab. 

Mit Material von dpa 

Zitiervorschlag

Debatte um AfD-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53555 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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